Zur Geschichte des Kindergartens in der SBZ und der DDR (1945 - 1990)

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Etappe der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung (1945-1949)
  2. 3. Periode der sozialistischen Umgestaltung (1949-1961)
  3. 4. Übergang zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft (1962-1972)
  4. 5. Gestaltung der Sozialistischen Gesellschaft (1972-1990)
  5. 6. Schlussbetrachtung
  6. Literatur

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Gestaltung der Sozialistischen Gesellschaft (1972-1990)


Der IX. Parteitag der SED (1976) beschloss, die Anzahl der Kindergartenplätze bis zum Jahre 1980 so weit zu erhöhen, dass "alle Kinder, deren Eltern es wünschen, in Kindergärten betreut und erzogen werden" können (Krecker 1986, S. 472)

DDR-5Erziehung zur Heimatliebe. Besichtigung der Stalinallee in Berlin (Quelle: Ida-Seele-Archiv)

Das Parteiprogramm hielt zudem fest, dass "in der Deutschen Demokratischen Republik weiterhin die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten und so grundlegende Voraussetzungen zum Kommunismus zu schaffen" seien (Woick 1988, S. 269).
Damit fand ein terminologischer Wechsel von "sozialistischer" zu "kommunistischer Erziehung" statt. Dieser bekundete die verstärkte Orientierung am Niveau der sowjetischen Gesellschaftsentwicklung und -ordnung. Demnach war es Aufgabe aller Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, "junge Menschen zu erziehen und auszubilden, die, mit solidem Wissen und Können ausgerüstet, zu schöpferischem Denken und selbständigem Handeln befähigt sind, deren marxistisch-leninistisch fundiertes Weltbild die persönlichen Überzeugungen und Verhaltensweisen durchdringt, die als Patrioten ihres sozialistischen Vaterlandes und der proletarischen Internationale fühlen, denken und handeln. Das Bildungswesen dient der Erziehung und Ausbildung allseitig entwickelter Persönlichkeiten, die ihre Fähigkeiten und Begabungen zum Wohle der sozialistischen Gesellschaft entfalten, sich durch Arbeitsliebe und Verteidigungsbereitschaft, durch Gemeinschaftsgeist und das Streben nach hohen kommunistischen Idealen auszeichnen" (Woick 1988, S. 269).


Die sowjetische Vorschulpädagogik, "die in der pädagogischen Wissenschaft der Welt einen besonderen Platz" (Jadeschko/Sochin 1983, S. 16) einnahm, avancierte zur parteilich verordneten Pflichtlektüre jeder DDR-Kindergärtnerin. Für die kommunistische Erziehung, "das heißt die Aneignung der marxistisch-leninistischen Ideologie" (ebd., S. 72), nahm die "Anerziehung brüderlicher Gefühle" einen besonderen Stellenwert ein. Diese schloss auch eine Erziehung zur "Unversöhnlichkeit gegenüber allem" ein, "was der sozialen und moralisch-politischen Einheit Schaden zufügen kann, Unversöhnlichkeit gegenüber allen Erscheinungen des Nationalismus, Chauvinismus und der nationalen Beschränktheit" (ebd., S. 73).


In den folgenden Jahren wurde massiv das Netz der Kindergärten in der gesamten DDR ausgeweitet, auf dem Land wie in den Städten. Der Ministerrat der DDR brachte im April 1976 die "Verordnung über Kindereinrichtungen der Vorschulerziehung" heraus. Diese klärte für alle betreffenden Einrichtungen organisatorische Fragen, unterstrich sowohl die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Kindergarten, Elternhaus und Öffentlichkeit als auch die Verantwortung der ganzen Gesellschaft für die allseitige sozialistische Entwicklung der Kinder. Die neue Verordnung sollte vor allem aber auch dazu betragen, "die Verantwortung der staatlichen Organe und aller an der Erziehung beteiligten Kräfte für die Weiterentwicklung der Kindereinrichtungen zu erhöhen und noch günstigere Bedingungen für eine wachsende Qualität der Vorschulerziehung zu schaffen (und; M.B.) die gesellschaftliche und Familienerziehung enger zu verbinden, weil besonders die frühe Kindheit und Lebensbedingungen der Kinder im diesem Alter einen außerordentlich großen Einfluß auf den gesundheitlichen Zustand, die Stabilität des Nervensystems sowie auf die physische und psychische Belastbarkeit des Menschen in seinem zukünftigen Leben haben" (Krecker 1986, S. 474).


So sah die Verordnung u.a. vor, dass die Arbeitszeit der Eltern mit den Öffnungszeiten der Kindergärten übereinstimmte und längere Anfahrtswege für die Kinder durch die Bereitstellung von Einrichtungen in Wohnortsnähe vermieden wurden. Dabei favorisierte man den Neu- und Ausbau von kombinierten Einrichtungen, d.h. Kinderkrippe und Kindergarten waren im selben Gebäudekomplex untergebracht.


Als Anregung zur Ausgestaltung der vielen neu geplanten (als auch bereits bestehenden) Kindergärten (und Kinderkrippen) und ihrer Freiflächen erschien im Jahre 1978 das vielbeachtete Buch "Kindergarten zweckmäßig und schön. Anregungen zur Ausgestaltung des Kindergartens und seiner Freiflächen". Darin wurden Vorschläge gegeben zu:

 

  • Die Anlage und Gestaltung des Kindergartens und seiner Freiflächen (z.B. Größe des Kindergartens, Zuordnung der Räume, Standort des Kindergartens, Lärmschutz, Planung und Gestaltung der Freiflächen).
  • Die Ausstattung und Gestaltung der Räume des Kindergartens (z.B. Bedarf an Möbeln, Ausstattung des Kindergartens mit Textilien, Spielzeug und Beschäftigungsmaterialien, farbliche Gestaltung der Räume, Einrichtung eines Isolierzimmers) (vgl. Arndt 1978).

Über die Bedeutung eines zweckmäßigen und schönen Kindergartens schrieb Oberstudienrätin Marga Arndt, eine der renommiertesten WissenschaftlerInnen der DDR-Vorschulpädagogik:


"Unsere Vorschulkinder sollen in schönen und zweckmäßig gestalteten Kindergärten aufwachsen. Das Schöne sehen wir nicht als Eigenschaft einzelner Dinge an. 'Erst dadurch, daß es im sozialen Lernprozess wirksam zu werden vermag, erweist es sich als Schönes'. Als zweckmäßig und schön bezeichnen wir den Kindergarten, wenn er den Kindern ein interessantes Leben im Kollektiv ermöglicht, ihre Bedürfnisse nach sinnvoller, schöpferischer und selbständiger Betätigung erfüllt. Zweckmäßig und schön sind die Gegenstände im Kindergarten, die eine Funktion erfüllen, die den Inhalt des Lebens der Kinder, ihr Denken und Handeln positiv bereichern und ästhetische Beziehungen und Emotionen ermöglichen. Deshalb prüfen wir bei der Ausstattung und Gestaltung des Kindergartens alle Gegenstände sowie die Gesamtheit aller Arbeits- und Lebensbedingungen, inwieweit sie der Einheit und Funktion, Zweck und Schönheit entsprechen. Schön kann ein Kindergarten nur dann sein, wenn in allen Bereichen Sauberkeit und Ordnung herrschen... Das Vorschulkind fühlt sich im Kollektiv wohl, es ist gern mit mehreren Kindern zusammen. Durch die Ausstattung der Gruppenräume und des Freigeländes muß gewährleistet sein, daß sich die Kinder in kleinen Gruppen und auch einmal allein betätigen können. Um den Aufenthalt der Kinder an frischer Luft zu sichern, muß die Freifläche den Kindern viele Betätigungsmöglichkeiten bieten. Spiele verschiedener Art, einfache Garten- und Pflegearbeiten, sportliche Tätigkeiten und verschiedenartige Beschäftigungen müssen auch im Freien durchgeführt werden können" (ebd., S. 17).


Die schon zu Anfang erwähnte Zweite Zentrale Konferenz für Vorschulerziehung, an der Kindergärtnerinnen, pädagogische WissenschaftlerInnen, Partei- und Schulfunktionäre teilnahmen, stand unter dem Motto, die Kinder zu "allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten" zu erziehen:


"Wenn wir über die weitere Vervollkommnung der Vorschulerziehung beraten, dann gehen wir zugleich von der wachsenden Verantwortung der Familie für die Erziehung ihrer Kinder aus. Bekanntlich hat der IX. Parteitag die große Verantwortung der Eltern hervorgehoben und die Erziehung der Kinder zu gesunden, lebensfrohen Menschen, zu sozialistischen Persönlichkeiten, als eine hohe gesellschaftliche Verpflichtung der Familie charakterisiert. Die Familie ist es, die den Charakter und das moralische Antlitz des Heranwachsenden entscheidend prägt und durch die tiefen Gefühle der Liebe und Zuneigung, durch die vertrauensvollen Beziehungen der Familienmitglieder, durch ihre Vorbildwirkung unersetzbare Grundlagen dafür schafft, das Kind zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft herauszubilden. Deshalb ist unsere Aufgabe, bei den Kindern die Grundlagen für ihre Entwicklung zu allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten zu schaffen, nur im engen Zusammenwirken mit den Eltern zu erreichen. Die Praxis beweist, dass in den Kindergärten ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Eltern besteht und sich auch viele bewährte Formen der Zusammenarbeit herausgebildet haben" (Ministerium für Volksbildung 1978, S. 21).

 

Eine Sensation: Ein autonomer Kinderladen
Ziemlich unbekannt ist bis heute geblieben (zumindest in den alten Bundesländern), dass sich 1980 in Ostberlin eine kleine Sensation auf dem Gebiet der Vorschulpädagogik vollzog. Die 27-jährige Ulrike Poppe (vgl. http://www.mdr.de/damals/webtv/kinder-des-ostens/poppe108.html) gründete 1980 mit Gleichgesinnten in der Husemannstraße 14 am Prenzlauer Berg einen autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.en Kinderladen, den ersten und einzigen in der DDR. Eine Kinderkrankenschwester wurde angestellt, die maximal acht Kindern zu betreuen hatte. Außerdem war immer ein Elternteil in der Einrichtung anwesend. Im Sommer 1983 wurden die Initiatorinnen aufgefordert, den Kinderladen zu räumen, da die Räume für eine kinderreiche Familie gebraucht werden. Poppe schrieb eine Eingabe an die zuständige Administration. Daraufhin wurde sie "vor den Bezirksbürgermeister geladen. Sie kann sich erinnern, dass dieser sagte, man könne es nicht dulden, dass eine Alternative zum staatlichen Erziehungssystem errichtet werde, zumal dieses weltweit für seine hohe Qualität bekannt sei. Um sich der Solidarität der Nachbarschaft zu versichern, veranstaltete der Kinderladen daraufhin einen Tag der offenen Tür" (http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-einzige-kinderladen-in-der-ddr,10810590,9954334.html). Doch vergebens: Am 16. Dezember 1983 fuhr morgens um sechs Uhr ein LKW vor und der Kinderladen wurde auf Befehl des Staatssicherheitsdienstes geräumt und zugemauert. Die freigewordenen Räume wurden nicht, wie behördlicherseits angekündigt, von einer kinderreichen Familie bezogen, sie blieben bis zur Wende leer.

 

Ideologiosierte Kinderpädagogik: "Das Blaue Buch"

DDR-6Ein (vermeintlicher) "Meilenstein" in der Kindergartenpädagogik der DDR war das "Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten", genannt das "blaue Buch", das am 1. September 1985 für alle Kindergärten verbindlich in Kraft trat. Herausgegeben und auf seine ideologische Stimmigkeit überprüft wurde es von Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung. In dem Programm wurde festgelegt, dass die Kinder von "klein auf zu sozialistischen Staatsbürger" zu erziehen "und gut auf die Schule vorzubereiten" seien:


"Die Erziehung zur sozialistischen Moral ist darauf zu richten, die Kinder zur Liebe zu ihrem sozialistischem Vaterland, der DDR, zur Liebe zum Frieden, zur Freundschaft mit der Sowjetunion und allen anderen sozialistischen Ländern, im Geiste des Internationalismus und der Solidarität mit den unterdrückten, für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden Völkern zu erziehen. Das Leben im Kindergarten ist so zu gestalten, daß die Kinder die Bereitschaft und Fähigkeit erwerben, sich aktiv am Leben im Kollektiv zu beteiligen" (Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik 1986, S. 7).


Der allgemeinen Einführung in die Hauptaufgaben der Bildung und Erziehung im Kindergarten folgte ein umfangreiches, ausdifferenziertes Curriculum "mit genauen Anweisungen für die Erzieherin, aber auch mit bis ins Detail festgelegten Lernzielen und Inhalten hinsichtlich der Förderung und Entwicklung der Kinder" (Kosubeck 1987, S. 699).

 

Kinderturnen in DDR"Die Erzieherin sichert die tägliche Durchführung von Körperübungen und Spielen möglichst im Freien (am Morgen, am Vormittag, nach dem Mittagsschlaf, am Nachmittag und zum Tagesausklang)" (Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik 1986, S. 248)Zusammenfassend beinhaltete das "Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten" die körperliche, geistige, hygienische, sittlich-moralische, musische und die ästhetische Erziehung. Die genannten Erziehungsaspekte sollten in allen Organisationsformen der pädagogischen Arbeit im Kindergarten über vielfältige und inhaltsreiche Gegebenheiten, Situationen und Tätigkeiten der Kinder realisiert werden, durch eine anregende Atmosphäre, durch Spiel, Arbeit und Beschäftigungen:


Die Hauptaufgaben der Bildung und Erziehung im Kindergarten für die einzelnen Altersgruppen (jüngere, mittlere und ältere Kinder) im Kindergarten. Ziele und Aufgaben der Erziehung:

 

  • Gestaltung des Lebens im Kindergarten
  • Arbeit
  • Spiel
  • Beschäftigung
  • Zu den inhaltlichen Aufgaben der Sachgebiete
  • Muttersprache
  • Kinderliteratur
  • Bekanntmachen mit der Natur
  • Bekanntmachen mit dem gesellschaftlichen Leben
  • Entwicklung elementarer mathematischer Vorstellungen (nur die mittlere und ältere Gruppe betreffend)
  • Sport
  • Bildnerisch-praktische und konstruktive Tätigkeiten sowie Betrachten von Bildkunstwerken
  • Musik

An dieser Stelle sollen einige ausgewählte pädagogische Ziele für die ältere Gruppe aus dem Bereich "Bekanntmachen mit dem gesellschaftlichen Leben" hervorgehoben werden. U.a. sollten die Kinder "... mehr darüber erfahren, wie die Menschen ihres Heimatortes in früheren Zeiten gelebt und gearbeitet, wie sie für ein besseres Leben und gegen den Krieg und Faschismus gekämpft haben. Sie sollen wissen, dass es in der DDR keine Ausbeuter und Faschisten gibt, wie z.B. in der BRD.
... wissen, dass Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck in der DDR geehrt werden, weil sie standhafte Kommunisten waren, die für ein besseres Leben der Arbeiter, gegen Krieg und Faschismus mutig gekämpft haben... Sie erfahren, dass Erich Honecker sich mit ganzer Kraft dafür einsetzt, daß das, wofür Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck gekämpft haben, weitergeführt und verwirklicht wird.
... wissen, daß die NVA und die Armeen der Sowjetunion und der befreundeten sozialistischen Länder verbündet sind und gemeinsam ihre Länder und den Frieden zuverlässig schützen. Sie erfahren von den Manövern der verbündeten Armeen und von Begegnungen Angehöriger der NVA mit Angehörigen der Sowjetarmee" (Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik 1986, S. 218 ff.).


Zu dieser inhaltlichen Gestaltung fügte sich ein typischer Tagesablauf:


Tageszeit Tageseinteilung/Fachgebiete
6.15 - 8.00 Fröhlicher Morgenbeginn, Spiele, Gesundheitskontrolle
8.00 - 8.30 Ämterverteilung, Körperpflege (z.B.: Zähneputzen)
8.30 - 8.50 Frühstück
8.50 - 9.00 Spiele
9.00 - 9.20 I. gezielte Beschäftigung
9.20 - 9.30 Pausengestaltung
9.30 - 9.45 II. gezielte Beschäftigung
9.45 - 11.15 Spiele im Wechsel mit anderen Tätigkeiten (z.B.: Aufenthalt im Freien)
11.15 - 11.30 Körperpflege (z.B.: Nagelpflege)
11.30 - 12.00 Mittagsmahlzeit
12.00 - 12.30 Waschraum, Ausziehen und Fertigmachen zum Schlaf
12.30 - 14.30 Mittagsschlaf
14.30 - 15.15 Spiele im Wechsel mit anderen Tätigkeiten (z.B. Besuch eines Patenbetriebs)
15.15 - 15.30 Nachmittagskaffee
15.30 - 17.00 Spätdienst (Spiele, Tagesausklang)
(vgl.: Höltershinken/ Hoffmann/ Prüfer 1997, S. 85 u. 300 ff.)


Auffallend war am "blauen Buch" seine "stringente Diktion wie 'Die Kinder sollen wissen', 'Den Kindern ist zu verdeutlichen', 'Die Kinder sollen verstehen lernen', 'Es ist ihr Wunsch zu entwickeln', die zu systemkonformer Ideologie führt. Eine individuelle personale Entfaltung, die auch divergierendes Denken und Handeln einschließt, kann sich so erst gar nicht entwickeln" (Kosubeck 1979, S. 73).


Das Programm, das "im Zusammenwirken von Pädagogen, Psychologen, Methodikern und Praktikern der Untersuchungskindergärten" (Sültmann 1990, S. 73) entstanden ist, wurde in seiner anfänglichen Arbeitshaltung von Margot Honecker nicht akzeptiert, da die sozialistische Ideologie zu wenig Beachtung fand. Genannte brachte kurzerhand ihre Vorstellungen ein, die wiederum seitens der Praktiker und Wissenschaftler Anlass zu vorsichtiger Kritik an dem einheitlichen Erziehungs- und Bildungsplan boten. Doch die Kritik wurde "ignoriert oder aus ideologischer Warte aufs schärfste zurückgewiesen" (Frieck 1991, S. 2 f.).


Erst nach der Wende äußerten sich in aller Regel "einheimische Kritiker... oft hart, gelegentlich vernichtend" (ebd., 1991, S. 3) über das "blaue Buch" (das sofort nach dem Zusammenbruch der DDR außer Kraft gesetzt wurde):


"Als wir 1985 das Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit erstmals in den Händen hielten, waren wir sprach- und fassungslos, insbesondere über die Ziele, Aufgaben und Inhalte des Bekanntmachens mit dem gesellschaftlichen Leben. Nehmen wir nur die Jahresaufgabenstellungen! Wir fühlten uns betrogen, auch beleidigt und waren trotzdem außerstande energisch zu reagieren. Obwohl das bitter nötig gewesen wäre. Die Hinhaltetechnik, das im Ungewissensein, die ideologische Zensierung über viele Jahre hatten uns an den Rand der Verzweiflung gebracht... Wie stehen wir deshalb zum Herausgeber, zum Unterzeichner dieses Machwerkes?
Das Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit für den Kindergarten wurde vom ehemaligen Minister für Volksbildung, Margot Honecker, herausgegeben. Weitere Mitarbeiter sind nicht genannt. So zeichnet Frau Honecker für die ausgewiesenen Ziele und Inhalte allein verantwortlich. Ob es wohl ihr Produkt ist? Es muß doch sein! Ist nicht schon das eine Form der Amtsanmaßung und Amtsmißbrauch?... Alle, die ehrlichen Herzens einer wirklich guten Entwicklung unserer Kindergartenkinder - und damit ihren Eltern und der Gesellschaft - dienen wollen, sollten sich von den unqualifizierten Arbeitsergebnissen der ehemaligen Ministerin distanzieren" (Sültmann 1990, S. 74).


Eindeutig belegt dieses Zitat die Ohmacht der Kindergärtnerinnen, ist Beispiel dafür, dass sich in der ehemaligen DDR pädagogische Einsichten an der Basis nicht gegen parteipolitische Forderungen durchsetzen konnten. Die Macht des Staatsapparates war zu groß. In diesem Spannungsfeld von Parteipolitik und pädagogisch/ wissenschaftlicher Vernunft mussten in der DDR Erzieher/innen und Wissenschaftler/innen tagtäglich arbeiten.


Noch kurz vor der Wende fand im Juni 1989 in Berlin der IX. Pädagogische Kongress statt. Dabei wurde auf die Fortschritte und Errungenschaften einer über 40-jährigen sozialistischen Bildungspolitik zurückgeblickt. Außerdem wurden die Aufgaben des sozialistischen Bildungssystems bis in das nächste Jahrhundert festgeschrieben. Demnach sollte die Jugend noch "effektiver", noch "wirksamer" und noch "konkreter" mit dem sozialistischen Leben und dem Sozialismus vertraut gemacht werden (vgl. Theologische Studienabteilung beim Bund der Evangelischer Kirchen in der DDR 1989, S. 11 ff.).


Doch es kam anders. Die friedliche Revolution verhinderte die Durchsetzung der neu postulierten sozialistischen Erziehungs- und Bildungsziele. Bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten hatte die DDR in über 40 Jahren eine fast flächendeckende Versorgung der Drei- bis Sechsjährigen geschaffen. Auch im kleinsten und entlegensten Dorf gab es einen Kindergarten. 1989 gab es über 13.400 Kindergärten (einschl. Saisoneinrichtungen). Das entsprach in etwa einem Versorgungsgrad von 98% (vgl. Tietze/ Rossbach 1983, S. 109 u. 184). Die Öffnungszeiten der Kindergärten orientierten sich an den Lebensbedingungen der berufstätigen (und studierenden) Mütter. Die meisten Kindergärten waren von 6 Uhr morgens bis 17 Uhr, teilweise bis 19 Uhr geöffnet.


Die Wende veränderte schlagartig die Situation. Als erste schlossen viele Betriebe ihre Kindergärten, "weil sie sich rasch dieser unproduktiven Einrichtungen entledigen wollten" (Aden-Grossmann 2000, S. 273). Hinzu kam, dass die Kindergartengebühren erheblich anstiegen und die Geburtenrate im "Osten" abrupt zurück ging (diese sank von 200.000 Geburten im Jahr 1989 auf ca. 110.000 im Jahr 1991). Diese Tatsachen führten zu einer verringerten Nachfrage nach Kindergartenplätzen und zu einer Überkapazität, "die abgebaut werden mußte, d.h., die Kommunen mußten in einem erheblichen Umfang Erzieherinnen entlassen und Plätze in Tageseinrichtungen abbauen" (ebd., S. 274).


Bereits unmittelbar nach dem Zusammenbruch der DDR bildete sich auch ein "runder Tisch", der sich speziell mit der inhaltlichen Erneuerung aller pädagogischer Einrichtungen befasste und neue Konzepte forderte:


"Themen wie das 'Menschenbild' und das 'Bild vom Kind', die der Pädagogik der DDR zugrunde lagen, wurden in den ersten Monaten nach der Wende in einem Kreis diskutiert und die Ideologisierung und Kontrolle der pädagogischen Institutionen kritisiert. Aber schon nach wenigen Monaten verebbte in der Öffentlichkeit das Interesse an einer Aufarbeitung der pädagogischen Praxiserfahrungen und der Entwicklungen. In den Vordergrund traten die Sorge um den Erhalt der Arbeitsplätze... und das Bemühen um die Anerkennung der Berufsausbildungen" (ebd., S. 274).


Nach der Wende gestaltete sich die Suche nach einem geeigneten pädagogischen Konzept, in deren Mittelpunkt nicht mehr die sozialistische Ideologie sondern die Förderung der Individualität des Kindes stand, äußerst schwierig. Überwiegend wurde anfänglich der in den alten Bundesländern favorisierte "Situationsansatz" als curriculares Konzept übernommen, jedoch ohne dieses genau zu überprüfen. Doch bald erfolgte eine zunehmende kritischere Auseinandersetzung mit dieser Konzeption, die viele Kindergärtnerinnen Ostdeutschlands enttäuschte:


"Nach Besuchen in westdeutschen Kindergärten ist immer wieder zu hören, daß sich ostdeutsche Kolleginnen enttäuscht und zum Teil auch äußerst kritisch äußern: Vieles dort finden sie chaotisch, schmuddelig und zum Teil auch beliebig. Sie sehen nicht, wo und wie Erzieherinnen Anforderungen an Kinder stellen und fragen sich, ob Kinder so ausreichend auf die Schule vorbereitet werden" (Krug 1995, S. 137 f).



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