Zur Geschichte des Kindergartens in der SBZ und der DDR (1945 - 1990)

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Etappe der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung (1945-1949)
  2. 3. Periode der sozialistischen Umgestaltung (1949-1961)
  3. 4. Übergang zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft (1962-1972)
  4. 5. Gestaltung der Sozialistischen Gesellschaft (1972-1990)
  5. 6. Schlussbetrachtung
  6. Literatur

Gesamten Beitrag zeigen


Übergang zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft (1962-1972)


Die Entwicklung der DDR zu einem "modernen sozialistischen Staat" wurde in den folgenden Jahren mit allen zur Verfügung stehenden propagandistischen Mitteln vorangetrieben. Auf dem VI. Parteitag der SED (1963) sprach man vom "Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse" (Woick 1968, S. 268) sowie von der "Entwicklung der DDR zu einem modernen sozialistischen Staat unter Einbeziehung immer breiterer Bevölkerungsschichten in der Leitung des Staates" (Krecker 1977, S. 456). Zum Kindergarten innerhalb des sozialistischen Bildungssystems führte Walter Ulbricht näher aus:


"Die Hebung der wissenschaftlichen Qualität der Ausbildung an unseren Schulen erfordert ein einheitliches Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Hochschule und bis zur Erwachsenenqualifizierung. Den höheren Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit der Ausbildung entsprechend ist es notwendig, den gesamten Inhalt der Bildung und Erziehung und das Zusammenwirken aller Bildungseinrichtungen und -stufen vom Kindergarten bis zum Hochschulwesen zu gewährleisten. Dabei ist es erforderlich, den Übergang von einer Bildungsstufe oder -einrichtung zur anderen inhaltlich aufeinander abzustimmen und einen kontinuierlichen Bildungs- und Erziehungsprozeß zu sichern" (zit. n. Hermann 1963, S. 2).


Das bedeutete konkret und wurde erneut angemahnt, dass der Kindergarten als erste Stufe des einheitlichen Bildungswesens die Kinder zielstrebiger auf die Schule vorzubereiten habe, "als das gegenwärtig der Fall ist" (Krecker 1977, S. 457). Neben der Empfehlung der Lektüre sowjetischer und ostdeutscher Fachliteratur wurde, "um eine zielstrebigere Vorbereitung der Kinder auf das Lernen in der Schule zu sichern, zu Beginn des neuen Schuljahres der überarbeitete Bildungs- und Erziehungsplan für die ältere Gruppe herausgegeben. Die Orientierung auf die pädagogisch-methodische Arbeit mit dem älteren Vorschulkind erfolgt aus dem Bestreben, gute Voraussetzungen für den kontinuierlichen Übergang vom Kindergarten zur Schule zu schaffen" (Hermann 1963, S. 3).


Um den Aufbau des Sozialismus zu gewährleisten und stärker voranzutreiben wurde am 25. Februar 1965 das "Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem" verabschiedet. Dieses verpflichtete alle Erziehungs- und Bildungsinstanzen (wie Kinderkrippe, Kindergarten, Hort, Schule, Universität, Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung u.a.) auf das gleiche Erziehungs- und Bildungsziel. Als oberstes Ziel formulierte das neue Gesetz "eine hohe Bildung des ganzen Volkes, die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter Persönlichkeiten, die bewusst das gesellschaftliche Leben gestalten, die Natur verändern und ein erfülltes, glückliches, menschenwürdiges Leben führen" (Krecker 1977, S. 458).


Nach § 11 sollten die Kindergärten "Stätten frohen Kinderlebens" sein und die Kinder lehren, "in zunehmenden Maße selbständig in der Gemeinschaft tätig zu sein. Sie sind in einer ihren Kräften und Fähigkeiten angemessenen Weise auf das Lernen in der Schule vorzubereiten und mit dem sozialistischen Leben und dem Schaffen der werktätigen Menschen bekannt zu machen" (ebd., S. 459).


Als Schwerpunkte der Bildung und Erziehung im Kindergarten wurden genannt:


• die gesunde körperliche und geistige Entwicklung der Kinder,
• die Entwicklung der Muttersprache,
• die intellektuelle, ästhetische und sittliche Erziehung (vgl. ebd., S. 459).

Doch das neue "Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem" bedurfte, speziell für die Belange der Kindergärten, eines eigenständigen Bildungs- und Erziehungsplanes, mit dessen Ausarbeitung das "Deutsche Pädagogische Zentralinstitut" in Berlin beauftragt worden war. 1967 erschien der "Bildungs- und Erziehungsplan für Kindergärten", der ab 1. September 1968 für alle Kindergärtnerinnen als verpflichtenden Arbeitsgrundlage galt. Über die ihm zugrundeliegende "sozialistische Pädagogik" ist nachzulesen:


"Die Ziele und Inhalte sowie die methodische Konzeption des Bildungs- und Erziehungsplanes mußten von den Erfordernissen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft abgeleitet und in ihrer Beziehung zum sozialistischen Leben betrachtet und von daher bestimmt werden. In allen Forderungen waren Wissenschaftlichkeit und sozialistische Ideologie wirksam zu machen. Der Bildungs- und Erziehungsplan mußte so aufgebaut werden, daß er die systematische, zielstrebige Führungstätigkeit der Erzieherin sichern hilft. Die Verbindung von Bildung und Erziehung mit dem sozialistischen Leben ist der entscheidende Grundsatz der sozialistischen Pädagogik. Er geht von der Tatsache aus, daß die Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf die Arbeit und das Leben in der DDR Angelegenheit der gesamten Gesellschaft unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei ist. In diesem Grundsatz drückt sich auch die Übereinstimmung der Entwicklung der ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen in der DDR mit den pädagogischen und schulpolitischen Maßnahmen aus. Die Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten muß deshalb in enger Verbindung mit dem Kampf und dem Wirken der Arbeiterklasse und den anderen Werktätigen unserer Republik stehen. Die sozialistische Erziehung im Kindergarten soll sich in enger Verbindung mit den in der näheren Umgebung arbeitenden Menschen vollziehen, damit die Kinder die in ihrer täglichen Pflichterfüllung, ihrer praktischen Tätigkeit und ihrer Lebensweise erleben und sich zum Vorbild nehmen... Das Leben im Kollektiv der Kindergruppe selbst, das Leben im Kindergarten ist ein Teil des sozialistischen Lebens, mit dem das Kind unmittelbar verbunden ist, an dem es direkt teilnimmt. Über das Kollektiv der Gruppe wird ihm der Zugang zum größeren Kollektiv des Kindergartens zum gesellschaftlichen Leben erschlossen" (Pfütze 1972, S. 2).


Klare und konkrete methodisch-didaktische Hinweise zur Erreichung des sozialistischen Bildung- und Erziehungszieles enthielt der Bildungs- und Erziehungsplan. Beispielsweise war die "Herausbildung freundlicher Gefühle zu den Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA)" ein wichtiger Erziehungs- und Bildungsfaktor. Gefühle der Verbundenheit... zu den Angehörigen der bewaffneten Streitkräfte" (Ministerium für Volksbildung 1967, S. 8) sollte bei den Kindern herangebildet werden, beispielsweise durch Lieder. Bereits die Kleinsten lernten das Lied "Der Volkspolizist":


"Und wenn ich mal groß bin,
damit ihr es wisst,
dann werde ich auch so ein Volkspolizist.
Der Volkspolizist,
der es gut mit uns meint,
... er ist unser Freund" (http://www.zeit.de/online/2006/31/kindergarten-konzepte-ddr).

 

DDR-3Besuch von Soldaten der NVA im Kindergarten (Quelle: Ida-Seele-Archiv)

Entsprechend dem Bildungs- und Erziehungsplan erfolgte die Umsetzung des Ziels "freundschaftliche Gefühle zu den Soldaten der NVA" in vielen Organisationsformen und im gesamten Tageslauf, "zum Beispiel im Spiel, in der Arbeit und in der Beschäftigung. In einer Beschäftigung zum 'Bekanntmachen mit dem gesellschaftlichen Leben' führte die Erzieherin mit den Kindern ein Gespräch über die Soldaten der NVA. Sie erklärte zum Beispiel an Hand von Bildmaterial, daß die Soldaten gleiche Kleidung tragen, die man Uniform nennt. Die Kinder erfuhren, daß die Soldaten Übungen durchführen, die zum Schutz der Heimat notwendig sind, Sport treiben und in ihrer Freizeit viel lesen, um sich gute Kenntnisse für ihre Tätigkeit in der Armee anzueignen... In Arbeitsgruppen besprachen wir, wie in allen Gruppen der Jahrestag der NVA für die Kinder zu einem eindrucksvollen Erlebnis gestaltet werden kann... Ein uns bekannter junger Mann leistet zur Zeit seinen Ehrendienst bei der nationalen Volksarmee. Gewissenhaft versehen er und seine Kameraden den verantwortungsvollen Dienst an der Staatsgrenze der DDR. Wir wollten mehr von seinem Leben bei den Soldaten hören und baten ihn, uns darüber zu berichten. In seinen Briefen an die Kindergruppe erzählte er von seinem Wachhund 'Rex', mit dem er als Hundeführer Kontrollgänge absolviert. Er berichtete uns auch darüber, daß man nur dann Hundeführer wird, wenn man ein besonders verantwortungsbewußter Soldat ist... 'Unser Soldat', so nennen ihn die Kinder, treibt regelmäßig Sport und liest viel... Die Kinder versuchen, ihm nachzueifern. In den Turnübungen werden die Übungen genauer und exakter durchgeführt. Bei Beschäftigungen und auch im gesamten Tagesablauf bemühen sie sich, ihre Arbeiten gut auszuführen und sie ständig zu verbessern. Sie wollen so sein wie ihr Soldat" (Spiegler/ Singer 1972, S. 17 f.).

DDR-4Hissung der großen Fahne zu Feierlichkeiten der Partei und des Staates (Quelle: Ida-Seele-Archiv)

Im Mai 1970 fand der VII. Pädagogische Kongress statt. Man diskutierte die seit dem Inkrafttreten des "Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem" erreichten Schritte. Dabei wurde erneut eine Verbesserung der Kindergartenpädagogik und des Bildungs- und Erziehungsplanes gefordert. Das bedeutete: eine noch systematischere Erziehung und Schulvorbereitung. Margot Honecker betonte in ihrem Referat "Wir lehren und lernen im Geiste Lenins", dass es "Aufgabe unserer Vorschulerziehung (sei; M.B.), die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Kinder auszubilden, ihre Sprache und ihr Denken zu entwickeln, sie mit dem gesellschaftlichem Leben und der Natur bekannt zu machen" (Honecker 1970, S. 784).


Und weiter forderte Margot Honecker:


"Es geht nicht darum, den Kindern Schulstoff zu vermitteln, wir wollen sie aber in die Anfänge einfachster mathematischer Zusammenhänge einführen, ihre schöpferischen Fähigkeiten im Malen, Zeichnen, Formen, Konstruieren, Singen, Tanzen und Darstellen ausbilden. Die Erziehungsarbeit in unseren Kindergärten ist darauf ausgerichtet, die Kinder zur Liebe zur Heimat, zur Achtung vor dem werktätigen Menschen, zur Freundschaft und Solidarität zu erziehen, ihre Wißbegierde und Freude am Lernen und an der Arbeit wecken... Das Leben im Kindergarten soll froh und interessant sein. Die Atmosphäre muß dazu beitragen, daß sich freundschaftliche Gefühle der Kinder untereinander, ihr Bedürfnis entwickeln, für die Gemeinschaft Nützliches zu tun, daß sich sittliche Gewohnheiten und ein guter Geschmack herausbilden können" (ebd., 1970, S. 784).


Auf dem ein Jahr später erfolgten VIII. Parteitag der SED wurde die sozialistische Erziehung der Jugend und die Formung des "sozialistischen Bewußtseins" als weiteres anzustrebendes Erziehungsziel postuliert. Die Kindergärtnerinnen wurden eindringlich darauf hingewiesen, "alle Potenzen des Bildungs- und Erziehungsplanes für die allseitige Bildung und Erziehung der Kindergartenkinder auszuschöpfen und dadurch die Qualität der pädagogischen Arbeit im Kindergarten zu erhöhen" (Hasdorf 1972, S. 69).
Die ständig angestrebte Verbesserung der sozialistischen Erziehung in den Kindergärten ging einher mit einer kontinuierlichen Erweiterung der Kindergartenplätze, verbunden mit einer Verbesserung der personellen, als auch materiellen Bedingungen. So erhöhte sich die Zahl der Kindergärten im Jahre 1972 auf 11.226, wobei 642.956 Kinder betreut wurden. Damit erreichte der Staat einen für die damalige Zeit ungemein hohen Versorgungsgrad von 68,8% aller drei- bis sechsjähriger Kinder (vgl. Krecker 1977, S. 480).



Verwandte Themen und Schlagworte