Neue Medien in der Frühpädagogik

Zur Mythologie der neuen Medien in der Frühpädagogik oder Der dritte Lernort

Inhaltsverzeichnis

  1. Mythos 1: Kindergartenkinder nutzen neue Medien nicht
  2. Mythos 2: Neue Medien sind kein Gegenstand der Frühpädagogik
  3. Mythos 3: Die negativen Aspekte der Medien überwiegen
  4. Mythos 4: Der Erzieherinnenberuf ist ein Bildungsberuf
  5. Mythos 5: Neue Medien sind Gegenstand der Erzieherinnenausbildung
  6. Mythos 6: Lehrkräfte in der Erzieherinnenausbildung vermitteln Medienkompetenz
  7. Mythos 7: Wer Erzieherinnen ausbildet, kann auf neue Medien verzichten
  8. Mythos 8: Die Vermittlung von Medienkompetenz ist gleichmäßig verteilt
  9. Mythos 9: E-Learning gehört zur frühpädagogischen Aus-, Fort- und Weiterbildung
  10. Mythos 10: Fachforum im Netz versus Facebook
  11. Mythos 11: Der Dialog zwischen Lernort Schule und Praxis funktioniert online nicht
  12. Zukunftskonzept „Neue Medien in der Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte“.
  13. Netz-Tipps für AusbildnerInnen, ErzieherInnen und Kinder
  14. Literatur

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Mythos 5: Neue Medien sind Gegenstand der Erzieherinnenausbildung


Die Erzieherinnenausbildung ist ihres doppelten Theorie-Praxis-Bezugs wegen führend in der Vermittlung von Medienkompetenz. Die Fachschulen für Sozialpädagogik weisen nicht nur eine hervorragend zeitgemäße Ausstattung mit neuen Medien auf, die vernetztes, selbstorganisiertes Lernen ermöglicht, sondern beschäftigen kompetente Lehrkräfte, für die der Einsatz internetbasierter Lernformen zum Ausbildungsalltag gehört – der fünfte Mythos. Seit mehr als 20 Jahren zeigt sich in der Vermittlung von Medienerziehung ein nahezu unverändertes Bild. „Viele praxisbezogene Ausbildungsinhalte, die heute von Medienpädagoginnen für erstrangig gehalten werden, bekommen Erzieherinnen nicht vermittelt“ (Lißner et. al.: Schlusslicht Medienpädagogik. 1990), lautete das Ergebnis der Studie „Schlusslicht Medienpädagogik“. Einige Jahre später gaben „74 Prozent der Erzieherinnen … an, keine medienpädagogische Aus- oder Fortbildung absolviert zu haben“ (Six et. al. 1998). In einer nahezu zeitgleich erarbeiteten Studie erklärten 75 Prozent der Erzieherinnen, „nichts über Medienpädagogik während des Berufspraktikums oder in Fortbildungen erfahren zu haben. 4 Prozent haben sich in der Ausbildung intensiv mit Medienpädagogik beschäftigt.“ (Eirich 1998) Laut einer Studie zur Internetnutzung hatten einige Jahre später nur „2 Prozent der Erzieherinnen … Internetkenntnisse in der Ausbildung erworben“ (Kobbeloer 2002).

Zwar stieg die Internetnutzung in den letzten zehn Jahren gesamtgesellschaftlich rasant an, aber schlug sich das auch in der Erzieherinnenausbildung nieder? „Als übergreifender Befund … ist festzuhalten, dass sich nur wenig Substantielles geändert hat … in den Institutionen der Erzieherinnenausbildung“, stellen Six und Gimmler fest. „Die überwältigende Mehrheit (91,3 Prozent) fühlt sich für die Medienerziehung schlechter qualifiziert als für andere Förderbereiche, und dies zum Teil in erheblichem Maße“. (Six/Gimmler 2007, S. 149) Zu einem niederschmetternden Ergebnis kommt auch die Studie „Medienpädagogische Kompetenz in Kinderschuhen“ aus dem Jahr 2010. „Der Grundstein für eine …  Sensibilisierung im Bereich der Medienerziehung wird aber sicherlich vor allem in der Ausbildung gelegt – oder eben nicht“ konstatieren Six und Gimmler (Ebd. S. 153).

Halten wir fest: Die Mediengesellschaft verändert sich schnell, während die Ausbildung der Erzieherinnen in Bezug auf neue Medien in der „Schonhaltung“ verharrt. Hinzugefügt und betont sei an dieser Stelle, dass jüngere Erzieherinnen mit medienpädagogisch relevanten Themen in ihrer Ausbildung zwar umfassender konfrontiert wurden als ihre älteren Kolleginnen, aber dies schlägt sich nicht in einer besseren Selbsteinschätzung bezüglich der Qualifikation zur Medienerziehung nieder. (Six, S. 150) Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern eindringlich, die Vermittlung medienpädagogischer Basiskompetenzen und den Umgang mit digitalen Medien als Grundbestandteile der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern sowie der Lehrkräfte aufzunehmen beziehungsweise weiter auszubauen. (2012)


Neue Medien im Unterricht

Interessant ist auch ein Blick auf den schulischen Einsatz neuer Medien in der Erzieherinnenausbildung. Eine aktuelle Studie von D21 weist überraschende Ergebnisse auf. Sie zeigt, dass Informations- und Kommunikationstechnologien zwar in der Schule angekommen sind, aber nicht im Unterricht. Die befragten Lehrer bewerten die  IT-Ausstattung an den Schulen als gut, geben aber an, dass sie die vorhandenen Möglichkeiten kaum nutzen. Deshalb kommt die Studie zu dem Ergebnis: Die Institution Schule ist nicht auf digitale Medien vorbereitet. Die gängige Aus- und Weiterbildung bereitet Lehrer nicht ausreichend auf den Einsatz digitaler Medien vor. Nicht schulgerechte oder nicht ausgereifte Hard- und Software-Infrastrukturen verunsichern. Erschwerend kommen der starre Stundentakt und die häufige Trennung von Klassen- und Computerraum hinzu. Immerhin mehr als die Hälfte der Lehrkräfte in der Erzieherinnenausbildung wünscht sich eine bessere finanzielle Ausstattung und eine bessere Ausstattung mit medientechnischem Gerät. (Six, S.71)

Obwohl die Mehrheit der Schulen Computer für die Schüler bereits zur Verfügung stellt, ist noch lange keine Vollversorgung erreicht: In über der Hälfte dieser Schulen stehen die Geräte den Schülern nur zeitlich beschränkt und zentral zur Verfügung, zum Beispiel in der Bibliothek oder im Computerraum. Lediglich ein Viertel der Schulen verfügt in jedem Klassenraum über einen Computer. In 7,5 Prozent der Schulen steht jedem Schüler im Klassenraum ein Computer zur Verfügung. Folglich ist Unterrichtsarbeit am Computer in den meisten Schulen mit Aufwand verbunden: Es muss ein bestimmter Raum aufgesucht werden.

Zum anderen fragt sich, wie die neuen Medien inhaltlich – also in den jeweiligen Rahmenrichtlinien – in der Erzieherinnenausbildung beachtet werden. Die Notwendigkeit von Kompetenz in Bezug auf neue Medien zumindest in jedem bildenden und erziehenden Beruf vorausgesetzt, zeigen die vor etwa zehn Jahren verabschiedeten Rahmenrichtlinien das bekannte Bild. In den Rahmenrichtlinien Niedersachsens (Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, 2002) findet man den Begriff „Internet“, verwandte oder inhaltssynonyme Begriffe wie „neue Medien“ „World Wide Web“ oder „Kommunikationstechnologie“ nicht. Ähnlich sieht es in anderen Bundesländern aus.

Thematische Gestaltungsspielräume werden selten für die neuen Medien genutzt. Vielmehr lassen sie Raum für die auf individuellen Werten basierende Ablehnung einzelner Lehrerinnen an Fachschulen für Sozialpädagogik. Damit sind diese implementierten Gestaltungsspielräume Segen und Fluch zugleich.

Die Studie von Six und Gimmler kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, bezogen auf NRW: „Die bereits angesprochene Heterogenität der curricularen Orientierung des Lehrangebots an den Schulen ebenso wie die mit dem neuen Lehrplan zur Erprobung implizierten hohen Freiheitsgrade für die medienpädagogische Ausbildung äußern sich auch in bestimmten Formalia: Nicht nur das für die medienpädagogischen Bestandteile vorgesehene Zeitkontingent scheint zwischen den Schulen erheblich zu variieren, sondern auch die Prüfungsrelevanz entsprechender Inhalte.“ (Six, S. 88)