Was müssen ErzieherInnen können?

Was macht eigentlich eine kompetente Fachkraft aus? Kerstin Hochmuth von "Meine Kita" im Gespräch mit der KiTa-Leiterin Anke Grandt und dem Personalentwickler Klaus Weingärtner über die innere Haltung, den perfekten Ausbildungsweg und große Chancen.


  • Überall werden fehlende Fachkräfte beklagt und gleichzeitig sind die Anforderungen an sie in den vergangenen Jahren gestiegen. Was erwarten Sie von Erzieherinnen und Erziehern in Ihren Einrichtungen?

Anke Grandt: Entscheidend in diesem Beruf ist, dass das Herz am rechten Fleck ist, welches Bild die Fachkraft vom Kind hat und ob sie offen und wertschätzend auf andere Menschen zugeht. Darüber hinaus sollte sie die eigenen Ressourcen und die der anderen erkennen und fördern. Das kann man nicht lernen, sondern muss es mitbringen. Sind diese Basiskompetenzen vorhanden, kann man sich das notwendige Fachwissen mit einer guten Einarbeitung und regelmäßiger Weiterbildung erarbeiten. Außerdem muss die Arbeit mit den Kindern Spaß machen, denn die Kinder spüren das.

Klaus Weingärtner: Die erste Frage an den Bewerber lautet „Was kannst du?“ Es ist wichtig, dass der Bewerber etwas mitbringt. Als Zweites frage ich „Was bist du bereit zu lernen?“ Es gibt vieles, was ich nur in der Kita lernen kann. Das  zuvor Gelernte kann ich dort verantwortungsvoll erproben, aber das muss begleitet werden, zum Beispiel durch Fortbildungen.

Grandt: Will man erfahren, was ein Bewerber kann, muss man auch sprachlich auf ihn eingehen. Nicht alle können mit Begriffen wie Partizipation oder Inklusion etwas anfangen, setzen die Gedanken aber in ihrer Arbeit um und können sie vermitteln.

Weingärtner: Vor ein paar Jahren, als über eine Akademisierung diskutiert wurde, hätte man es noch als unprofessionell empfunden die Haltung in den Vordergrund zu rücken. Aber es muss mir doch Spaß machen, den ganzen Tag mit teilweise sehr kleinen und sehr vielen Kindern zusammen zu sein und sie durch die Welt zu begleiten, ihre Fragen aufzunehmen und gemeinsam die Welt zu erobern. Auf dieser Grundlage können Ausbildung und Studium dann aufbauen und dadurch gelingen.

  • Was macht eine kompetente Fachkraft aus?

Weingärtner: Wahrnehmungsfähigkeit ist das A und O. Es ist wichtig, dass ich bei einem Kind, das noch nicht sprechen kann, seine Bedürfnisse erkenne und mich zurücknehmen und beobachten kann. Eine gute Fachkraft muss nicht alles wissen, aber die wunderbaren Fragen von Kindern aufgreifen und sie kompetent weiterentwickeln. Sie sollte alle Bildungswege mit einbeziehen, quer denken und aus den Fragen der Kinder Bildungsideen entwickeln.

Grandt: Das versuchen wir auch in den Bewerbungsgesprächen herauszukitzeln: Kann ich mich als Partner und Freund der Kinder sehen und gemeinsam mit ihnen Sachen entdecken? Mich nicht als allwissend hinzustellen, sondern zu  sagen, das weiß ich jetzt auch nicht, aber wir können es ja mal ausprobieren. Es ist auch eine Kompetenz, Kinder  einfach mal machen lassen zu können anstatt sofort hinzuspringen. Die Kinder lernen mehr, wenn sie es selbst erforschen.

Weingärtner: Wir wissen, dass es diese sensiblen Momente gibt, in denen der Mensch bereit ist, etwas zu lernen und aufzunehmen. Das funktioniert aber nicht, indem ich 20 Kinder zusammensetze und ihnen eine Lehrstunde in  agnetismus gebe. Das wäre nicht partizipativ.
 
  • Was ist mit der Fähigkeit zur Inklusion und die Genderkompetenz?

Weingärtner: Beide sind grundlegend. Letztere ist vor allem dann interessant, wenn Männer im Team sind. Ihnen wird oft ein Rollenschema zugeschoben, das mit dem Individuum nichts zu tun hat. Dessen sollte man sich auch im Umgang mit den Kindern bewusst sein. Inklusion ist auf vielen Ebenen wichtig. Bin ich gesund? Bist du behindert? Was ist das überhaupt? Das gilt auch im Team oder bei den Eltern. Die Wertschätzung des Andersseins ist wichtig. Als Fachkraft muss ich ein Verständnis für die Welt und das gesellschaftliche Leben mitbringen und dieses in der Kita zum Leben erwecken können. Aber auch Konfliktfähigkeit ist eine Kompetenz. Man sollte nicht aus lauter  Harmoniebedürftigkeit die Augen vor Konflikten verschließen.

  • Wie wirkt sich der derzeitige Fachkräftemangel auf die Personalwahl aus?

Grandt: Momentan wollen wir natürlich so viele Bewerber wie möglich auf einen guten Weg bringen. Vielleicht bin ich mir nach einer halben Stunde Gespräch nicht sicher, suche aber nach einer Möglichkeit, wie man zueinander kommt und auf den Kompetenzen aufbauen kann, die da sind.

  • Stichwort Akademisierung: Sollten Erzieherinnen und Erzieher studieren?

Grandt: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ein Weiterbildungsstudiengang der perfekte Weg ist, weil man mit den Gedanken aus der Praxis wieder in die Theorie geht. Man stellt Dinge infrage oder lernt Handwerkszeug, das vorher gefehlt hat. Gut ausgebildete Fachkräfte müssen auch dem Alltag in der Kita standhalten. Da ist es gut, wenn man die Praxis erlebt hat und darauf aufbauen kann.

Weingärtner: Bei der Akademisierung geht ja jedes Bundesland einen anderen Weg. In Bayern gibt es seit sieben Jahren den Weiterbildungsstudiengang zur Kindheitspädagogin für alle, die bereits staatlich anerkannte Erzieherin oder Erzieher sind. Da gibt es keine Einmündungsschwierigkeiten in den Beruf.

  • Wie bekäme man denn mehr junge Menschen dazu, sich für den Erzieherberuf zu entscheiden?

Weingärtner:
Man müsste diejenigen früher ansprechen, die nach dem Abitur beziehungsweise der Fach- oder Berufsoberschule Grundschullehrer werden, weil sie mit Abitur lieber studieren möchten. Später schulen wir solche wieder für die Arbeit in der Kita um. Der Zugang zur Fachakademie findet noch stark über die Realschule statt.

  • Wie könnte man das ändern?

Weingärtner: Die Lösung wäre ein dualer Studiengang, wie es ihn beispielsweise in der Pflege gibt, der Fachhochschule und Fachakademie eng verzahnt und damit Theorie und Praxis gut vermischt. Auf diese Weise wird man staatlich anerkannte Erzieherin und Kindheitspädagogin in einem.

  • Inwieweit spüren sie den bevorstehenden Rechtsanspruch?

Grandt: Eltern melden ihre Bedarfe vehement an. Da wir nicht alle Bedarfe decken können, ist die Herausforderung nun, möglichst viele Plätze zu schaffen und dennoch die Qualität zu bewahren. Vor allem bei den unter Dreijährigen, die noch einmal ganz andere Bedürfnisse haben. Wir wissen, dass das schwierig wird.

  • Wie kann die Qualität der Arbeit trotz des steigenden Bedarfs gewahrt werden?

Grandt:
Wichtig ist, nicht nur Personal zu gewinnen, sondern sich auch um das bestehende zu kümmern. Nur gesundes, motiviertes, gut ausgebildetes Personal, das auch Zeit und Ruhe hat für Vor- und Nachbereitung und dafür, sich  weiterzubilden, kann qualitativ gute Arbeit leisten. Diese Balance zu schaffen verlangt von den Führungskräften derzeit viel ab.

Weingärtner: Wenn die Qualität leidet, können wir langfristig einpacken. Eine Gruppenvergrößerung wäre eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und damit auch der Lebensbedingungen und Chancen der Kinder. Vor allem für diejenigen, bei denen sich in der Kita entscheidet, ob sie eine zweite Chance bekommen. Gute frühkindliche Bildung ermöglicht so vieles, so dass wir da nicht wirklich dran drehen dürfen.

Grandt: Natürlich muss man aufgrund fehlender Fachkräfte Abstriche machen. Dann fällt ein Projekt kleiner aus oder man arbeitet mit ehrenamtlichen Partnern zusammen, wie zum Beispiel mit einer Vorlese-Oma oder einem Opa, der eine Werkstatt betreut. Dazu brauche ich aber Personal, das motiviert ist, solche Gedanken aufkommen zu lassen und das zu organisieren.

Weingärtner: Wichtig ist, sich immer wieder zu fragen, was die Kinder wollen und brauchen. Vielleicht brauchen sie gar kein zusätzliches Projekt, sondern sind froh, wenn sie mal in der Kita spielen dürfen. Auch diese Zeit ist wichtig, in der Erzieherinnen Zeit zum Beobachten haben …

Grandt: … aber ich brauche auch die Basis dafür, dass ich mir die Zeit nehmen darf. Denn ich sitze ja „nur“ da hinten und habe vielleicht auch noch ein Getränk neben mir stehen. Aber diese Zeit ist inhaltlich sehr wertvoll, weil da erst Dinge entstehen, die in einer vorstrukturierten Situation nie entstehen würden.

  • Welche Entwicklung wünschen Sie sich für den frühpädagogischen Bereich?

Weingärtner: Ziel muss sein, multiprofessionelle und altersheterogene Teams zu haben, die auf unterschiedlichen

Wegen zu diesem Beruf gekommen sind. Auch Spätberufene müssen Zugang finden können und auch Männer. Dann bekämen wir mehr Vielfalt in die Kitas und könnten Jungen und Mädchen durch bunte Teams, die sich gegenseitig wertschätzen, bessere Chancen bieten.

Grandt: Die Gewichtung der Bildung muss sich auf den frühpädagogischen Bereich ausdehnen. Bildung vor der Schule ist ein wichtiger Gedanke, der noch weiter getragen werden sollte. Es ist entscheidend, dass wir auf allen Ebenen an die Kinder denken und genug finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen zur Verfügung stellen, um den Weg gemeinsam mit ihnen zu gehen. Da genügt es nicht, mal auf die schnelle ein paar tausend Betreuungsplätze zu schaffen.

 
  • Vielen Dank für das Gespräch, Frau Grandt und Herr Weingärtner.

 

Zu den Personen:

 
grandt weingaertnerAnke Grandt ist Diplom-Sozialpädagogin und gelernte Erzieherin. Seit vielen Jahren ist sie als Kita-Leitung und als Stadtquartiersleitung für elf städtische Kitas bei der Landeshauptstadt München tätig.
Sozialpädagoge Klaus Weingärtner ist ebenfalls gelernter Erzieher und seit acht Jahren für die Personalentwicklung der städtischen Kitas der Landeshauptstadt in München zuständig.


Erstveröffentlichung unter dem Titel "Man muss nicht alles wissen" in: Meine Kita – Das didacta Magazin für den Elementarbereich, Ausgabe 2/2013, Seite 7 - 9. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von "Meine KiTa"

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