Montessori für das 21. Jahrhundert

Inhaltsverzeichnis

  1. Montessori kompakt
  2. Die Meta-Montessori-Konzeption

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Das Montessori Meta-Konzept


Maria Montessori gebührt allerhöchster Respekt für ihr Werk, für die innovativen Einsichten, die sie zu ihrer Zeit in die Diskussion eingeführt hat. Ich bin jedoch mehr als überzeugt, wenn Maria Montessori gegenwärtig ihre Konzeption entwerfen würde, würde sie selbst manche Positionen nicht (mehr) aufrechterhalten. Die kritischen Stimmen sind bis heute laut, es wurden bislang aber keine Perspektiven aufgezeigt, wie eine „Meta-Montessori- Konzeption“ aussehen könnte. Wenn ich dies hier, in aller Kürze, tue, bin ich mir dessen bewusst, dass dadurch mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Das ist aber auch meine Absicht: eine erste Sensibilisierung in diese Richtung einzuleiten. Dabei beschränke ich meine Anmerkungen vorerst auf wenige Punkte:


Verständnis kindlicher Bildung und Entwicklung erneuern

➤ Was gegenwärtig nicht mehr aufrechterhalten werden kann, ist das Verständnis von kindlicher Entwicklung und kindlicher Bildung, das Montessori vertritt. Die konstruktivistische, eine auf selbstentfaltungstheoretischer Position begründete Ansicht über kindliche Entwicklung und kindliches Lernen, muss zugunsten einer sozialkonstruktivistisch begründeten und auf interaktionstheoretischen Positionen aufbauenden Konzeption aufgegeben werden. Dies ist der Kardinalpunkt meiner Kritik an Montessori mit dem Eingeständnis, dass ich mit dem Erkenntnisgewinn einer hundertjährigen Forschungstradition operiere, der Montessori nicht zur Verfügung stand. Hier die Konzeption weiterzuentwickeln und auf eine neue theoretische Grundlage zu stellen, ist die größte damit verbundene Herausforderung.

 

Ko-Konstruktion anstatt Selbstbildungsprozess

➤ Eng damit zusammen hängt auch das Verständnis von Bildung und die Organisation von Bildungsprozessen. So wird ein anderer pädagogisch-didaktischer Ansatz impliziert: Anstelle des Selbstbildungsansatzes wird der Ansatz der Ko-Konstruktion eingeführt – Bildung als sozialer Prozess, der gemeinsam mit anderen gestaltet wird. Dabei übernimmt das Kind die aktive Rolle, wie auch bei Maria Montessori, aber das Kind wird dabei nicht alleine gelassen. Der Ansatz der Ko-Konstruktion schreibt auch allen anderen Akteuren eine aktive Rolle zu und erweist sich dabei als der erste didaktisch-pädagogische Ansatz, der keine passiven Partner bei der Organisation kindlicher Bildungsprozesse vorsieht.

 

Interaktion sichert Bildungsqualität

➤ Die Fokussierung auf und die Betonung von Interaktionen stellt einen weiteren Aspekt der Modernisierung des Montessori-Konzeptes dar. Dies ist deshalb unverzichtbar, weil die gesamte Forschung belegt, dass die Interaktionsqualität die wichtigste Grundlage zur Sicherung von hoher Bildungsqualität ist. Wie Interaktionen nicht nur erfahrungsgeleitet, sondern auch fachlich begründet gestaltet werden, bietet eine spannende Perspektive einer Meta-Montessori-Konzeption an.

 

Kinder sozial und kulturell einbetten

➤ Das Verhältnis Kind und Gesellschaft sowie Kind und Familie kann in der von Montessori vertretenen Art und Weise auf das 21. Jahrhundert nicht transformiert werden. Es bedarf einer grundlegenden Neuorientierung und Neubestimmung. Ein neu orientiertes Verständnis muss das Kind sozial und kulturell einbetten, eine bildungsortorientierte Position vertreten, neue Konzepte der Kooperation der unterschiedlichen Bildungsorte einführen und in deren Zusammenwirken Chancen zur Optimierung kindlicher Entwicklung erkennen.

 

Kindzentrierung überdenken

➤ Vielleicht erweist sich, neben der theoretischen Positionierung, die radikale Kindzentrierung von Montessori als der innovativste Aspekt ihres Konzeptes zur Zeit seiner Entstehung. Aus heutiger Sicht ist es einer der Schwachpunkte dieser Konzeption. Kindzentrierte Konzepte sind seit geraumer Zeit in die Kritik geraten. Kindern letztendlich primär die Verantwortung für ihre Bildung zu überantworten, muss fachlich und ethisch hinterfragt werden. Zugleich gilt es, über die Rolle und die Verantwortung weiterer Ko-Konstrukteure kindlicher Entwicklung und Bildung zu reflektieren.

 

Erzieher-Kind-Verhältnis überdenken

➤ Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, das Erzieher-Kind-Verhältnis von Montessori zu hinterfragen. Ihrem Ansatz nach begleitet und unterstützt die Fachkraft kindliche Bildungsprozesse. Sie stellt eine anregende, bereichernde Lernumgebung bereit und beobachtet und dokumentiert kindliche Bildungsfortschritte. Diese Position findet sich im ganzen 20. Jahrhundert. Doch dieses Verständnis kann aufgrund neuer Erkenntnisse und veränderter theoretischer Positionen nicht mehr aufrechterhalten werden. Vielmehr wird eine neue Qualität in diese Beziehung eingeführt, die Kinder und Fachkräfte aktiv und ko-konstruktiv bei der Gestaltung von Bildungsprozessen einbindet.

 

Gesellschaftlichen Wandel einbeziehen

➤ Kinder wachsen heute in einer Gesellschaft auf, die nicht mehr dem Bild der Moderne, wie bei Montessori, sondern dem Bild einer „post-modernen“ Gesellschaft entspricht. Und dieses ist geprägt von mehr Diskontinuität und Offenheit, von Verlusten und Brüchen, von zeitlichen und räumlichen Besonderheiten. Kinder müssen heute lernen, mit solchen offenen, nicht vorhersehbaren Situationen umzugehen. Das verlangt eine andere Qualität von Bildung als zur Zeit Montessoris. Dies ist eine weitere Herausforderung für eine Meta-Montessori-Konzeption: die Weltsicht, auf der das Bildungskonzept aufbaut, auf die Weltsicht des 21. Jahrhunderts zu transferieren.

 

Neuer Umgang mit DiversitätDiversität|||||siehe Diversity

➤ Dies wiederum führt zu einer weiteren Reform des Montessori-Konzeptes hinsichtlich des Verständnisses und des Umgangs mit Diversität. Bei Montessori beschränkt sich dieser jedoch auf das Kind als Individuum und berücksichtigt nicht Diversität auf allen Ebenen. Hier liegt die dringende Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Montessori- Konzeptes vor.
 

Was also Not tut, ist eine Modernisierung des Montessori-Ansatzes. Wir benötigen eine „Meta-Montessori-Konzeption“, die sich all diesen und weiteren Herausforderungen stellt und dabei niemals den hohen Respekt vor dem großartigen Werk von Maria Montessori aus den Augen verliert. Dies ist eine Botschaft an das Fach, aber auch an jene, die im Namen von Maria Montessori und unter Nutzung ihrer Ideen Bildungsinstitutionen unterhalten und Kinder bilden. Die Verantwortung für eine Modernisierung muss nunmehr konsequent wahrgenommen werden, wenn wir Kinder auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten möchten. Ein DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  dieser Art kann und darf nicht mehr auf sich warten lassen.


Erstveröffentlichung unter dem Titel "Auf Spurensuche"  in: didacta – Das Magazin für lebenslanges Lernen, Ausgabe 1/2013, Seite 42-48


Mit freundlicher Genehmigung von: logo didacta





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