Prof. Dr. Julia Schneewind

Die Kita im Jahr 2020

Studie beschreibt Herausforderungen und Perspektiven

Die Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit soll besser werden! Dieser Vorsatz bewegt Fachöffentlichkeit, Elternschaft und Politik. Die Frage ist jedoch: Was genau heißt besser? Welches Ziel wird mit all den Initiativen verfolgt, die in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland ins Leben gerufen wurden?

Um diese Frage aus der Sicht der Praxis zu beleuchten, wurden seit September 2010 im Rahmen des vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) geförderten nifbe-Projekts „Professionalisierung, Transfer und Transparenz im frühpädagogischen Praxis und Ausbildungsfeld“ verschiedene Workshops, Diskussionsrunden und Befragungen mit insgesamt 60 ErzieherInnen und Kitaleitungen sowie FachberaterInnen durchgeführt. Der daraus entstandene und unten zum Download bereit stehende Bericht besteht aus vier Studien:


Bemerkenswert ist, dass die hier beschriebenen Positionen die Sicht der Praxis wiedergibt, die bisher nur wenig systematischen Einfluss auf die politischen und wissenschaftlichen Diskussionen nehmen konnte.


Im Kern zeigen sich in allen Studien drei Ergebnisse:

1. Die Rahmenbedingungen (z.B. Kinder pro Gruppe) und die Anforderungen (individuelle Bildungsarbeit) in den Kitas passen nicht zusammen und fraglich ist, wie diese Diskrepanz für die Zukunft aufgelöst werden kann – ohne die Bereitschaft die für die Arbeit in Kitas bereitgestellten Mittel zu erhöhen.

2. Die stabile und gesunde Persönlichkeit sowie die fundierte Ausbildung der pädagogischen Fachkraft ist entscheidend für gute Bildungsarbeit – denn Bildungsarbeit ist Beziehungsarbeit. Die Bedeutung von Beziehung und die Bereitschaft Bindungen einzugehen, nimmt insbesondere im Rahmen der zunehmenden Betreuung von Kindern unter drei Jahren einen wichtigen Stellenwert ein.

3. Die Praktikerinnen vermissen insgesamt eine bundesweite, klare Linie der politischen Entscheidungen. Es ist für die Praxis nicht erkennbar, welche Ziele durch einzelne Maßnahmen auf der Ebene der Kommunen, Länder und des Bundes verfolgt werden.


Ein Beispiel ist die Diskussion um Professionalisierung und Akademisierung des pädagogischen Fachpersonals. Die Praktikerinnen berichten aus ihrem Alltag:
 
a) Die Anforderungen an die Teams in den Kitas steigen, denn Kitas sind Bildungseinrichtungen,

b) die Bezahlung bleibt dauerhaft gering. Was passiert? Der Anspruch, nicht nur Betreuungs-, sondern Bildungseinrichtung zu sein, wird konterkariert, in dem in Arbeitsverträgen zwischen Bildungs- und Betreuungszeit in Kitas unterschieden wird – und diese vermeintlich verschiedenen Tätigkeiten unterschiedlich bezahlt werden.

c) Der Fachkräftemangel ist in Kitas längst Realität. Aber: Auf den Fachkräftemangel wird nicht reagiert, in dem man das Arbeitsumfeld, die Bezahlung etc. attraktiver gestaltet, sondern in dem gering oder nicht qualifiziertes Personal rekrutiert wird. Das führt jede Initiative zur Verbesserung der Qualität in den Kitas ad absurdum.

d) Es wird von den Pädagoginnen gefordert, sich z.B. weiterführend zu qualifizieren. Zeitliche und finanzielle Ressourcen werden für systematische Weiterqualifikation jedoch selten oder nie bereit gestellt. Stattdessen müssen Erzieherinnen in ihrer Freizeit, teilweise gegen den Widerstand der Träger und Kolleginnen, selbst finanziert Weiterbildungen besuchen. 


Fazit:

In Hinblick auf die vieldiskutierte Professionalisierung des Feldes wünschen sich die Praktikerinnen für die Kita 2020 ein durchdachtes Gesamtpaket, das von parteipolitischen Machtspielen und Ländergrenzen unabhängig ist. Im Kern umfasst das: Realistische Rahmenbedingungen (z.B. Vertretungsfachkräfte, ausreichend Vor- und Nachbereitungszeit, altersangemessene Gruppengrößen), die systematische, wissenschaftlich fundierte Weiterqualifikation des Personals für die Arbeit mit Kindern von der Geburt bis zum Schuleintritt und die Wertschätzung ihrer anspruchsvollen und wichtigen Tätigkeit in Form von finanzieller Anerkennung. Alle zentralen pädagogischen Aspekte der Arbeit können daraus folgen: intensive Elternarbeit, Beziehung als Grundlage für Bildungsprozesse, im Alltag integrierte Sprachförderung, Erziehung der Kinder zu gesunden, selbstbewussten und demokratischen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes.

 


Drucken