Sprachentwicklung und Sprachbildung im Kindergarten

Inhaltsverzeichnis

  1. Geborgenheit und Resonanz
  2. Empathie und Sprache
  3. Sprachentwicklungsphasen
  4. Haltung der Erzieherin
  5. Dialogrunden und Erlebnisse der Kinder
  6. Nachdenken über das eigene sprachliche Handeln
  7. Literatur

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V. Empathie und Sprache

Sprachbildung findet vor allem im Spiel mit Gleichaltrigen statt. Zunächst werden Kinder versuchen über Mimik und Gestik Zugang zum Spiel anderer Kinder zu finden. Dabei brauchen sie gelegentlich die Unterstützung durch ihre Erzieherin. Um das zweite Lebensjahr werden sie versuchen über Laute und Worte zu signalisieren, dass sie mitspielen wollen. Schließlich kommt es im weiteren Verlauf des Spiels darauf an, Bedürfnisse und Ziele mit den anderen abzustimmen. Voraussetzung für diese Leistung ist die Ausbildung von Empathie.

Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie beruht darauf, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden können. Die neueurobiologische Grundlage bilden die von Giacomo Rizzolatti (2008) entdeckten Spiegelneurone.

Kinder nehmen schon früh emotional wahr. Etwa im Alter von 18 Monaten entdecken sie ihr eigenes Selbst. Äußerlich ist dies daran abzulesen, dass sich ein Kind im Spiegel erkennt. Es ist von nun an zur Selbst-Objektivierung fähig und damit in der Lage, einen Spielpartner nicht nur als „Objekt, sondern als eigenständiges Subjekt zu erkennen. Es kann nun unabhängig von der eignen Ich-Perspektive die Gedanken und Gefühle des anderen wahrnehmen und einschätzen. Damit ist eine grundlegende Voraussetzung für gelingende Interaktionen geschaffen. Diese Fähigkeit wird als „theory of mind“ bezeichnet. (Bischof-Köhler, 2011,2012)

 

Beispiel: „Mama kommt wieder.“

In einer Gruppe von Kindern im Alter zwischen 12 und 24 Monaten konnte ich die folgende Szene beobachten:

Frühstückszeit in der Krippe. Die Kinder sitzen mit ihrer Erzieherin am Tisch. Es ist still. Plötzlich weint Lisa leise. Anna erhebt sich von ihrem Platz, geht zu Lisa, legt ihren Arm um deren Schulter und sagt: „Mama kommt wieder.“

Anna, so darf man annehmen, ist in der Lage, sich in die Situation von Lisa zu versetzen. Sie realisiert, dass Trost die richtige Geste ist. Ein innerer Verarbeitungsprozess hat es ihr ermöglicht, sich in Lisas Erleben einzufühlen. Dabei lässt sie es aber nicht bewenden. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie handeln muss. Und dann handelt sie. In ihrem Gehirn durchläuft sie einen Prozess, bei dem Fühlen, Denken und Handeln miteinander verknüpft werden. Sie aktualisiert ihre Fühl-Denk-Handlungsbahnen. In der Hirnforschung werden diese Verbindungen als Limbofrontale Bahnungen beschrieben. Sie entwickeln sich aufgrund von Erfahrungen mit anderen Personen. Ganz entscheidend dabei ist die Vorbildfunktion der Erzieherin. Das lässt sich gut an dem folgenden Beispiel ablesen:

 

Beispiel: „Beruhige dich mal!“

Die Erzieherin hatte vor Ostern mit den Kindern ausgepustete Eier angemalt. Sie wollte an einem Ei einen Faden zum Aufhängen anbringen. Dabei zerbrach das Ei. Erzieherin: „Oh, das wollte ich nicht, das tut mir leid.“ Linus (fünf Jahre alt), der das Ei bemalt hatte, sagt: „Das weiß ich doch, beruhige dich mal.“

Darin zeigt sich empathisches Verhalten. Wir können annehmen, dass Linus während seiner Zeit im Kindergarten schon oft von seiner Erzieherin den beruhigenden Hinweis erhalten hat, dass es gut sein kann, sich nach einem aufregenden Ereignis zunächst einmal zu beruhigen.

Im ersten Beispiel wird ein empathisches Verhalten einem anderen Kind gegenüber sichtbar, im zweiten Beispiel zeigt ein Kind Empathie seiner Erzieherin gegenüber.

 

Spiel, Empathie und Kommunikation

In den vielen Spielsituationen des Alltags ist immer wieder empathisches Verhalten in Verbindung mit der Fähigkeit zur Kommunikation gefragt. Wie nun Kinder miteinander agieren, wie sie ein Spiel beginnen, dieses fortsetzen, verändern, abbrechen oder wieder neu beginnen und wie sie mit Konflikten umgehen,  das hängt von der Kultur der Gruppe ab. Für ein gelingendes Spiel ist Kommunikationsfähigkeit äußerst wichtig. Gleichzeitig kann sie sich im Spielverlauf immer weiter ausdifferenzieren. Neben der Fähigkeit eigene Absichten mitzuteilen, ist es auch wichtig, die Absichten der anderen Mitspieler wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Sprachliche und emotional-soziale Fähigkeiten werden für ein gelingendes Spiel benötigt. Für jedes Kind ist es von Bedeutung von den Mitspielern anerkannt und akzeptiert zu werden. Diese Kompetenzen erwerben die Kinder untereinander und miteinander. Gelegentlich benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Erzieherin. „Ergebnisse einer Erhebung in Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass die Teilhabe am gemeinsamen Spiel in der Kindergruppe bedeutsam für die Entwicklung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten ist.“ (Albers 2011, S.53)

Die Gleichaltrigen nehmen hinsichtlich der Entwicklung eine immer größere Bedeutung ein. „Damit wird das Spiel der Kinder zu einem Motor für den Spracherwerb.“ (Albers 2012, S.53) 

 

Aspekte einer Kultur der Gleichaltrigen:

  • Die Art, wie Kinder zu einem gemeinsamen Spiel finden;
  • Wie sie Konflikte klären und Lösungen finden;
  • Wie sie Kontakte knüpfen und aufrecht erhalten;
  • Wie sie es schaffen, sich gemeinsam auf einen Gegenstand zu konzentrieren;
  • Wie sie ihre Spielprozesse koordinieren.


 

Chancen und Herausforderungen

Timm Albers (2012, S. 57) fasst die neueren Forschungserkenntnisse so zusammen: „Die Kommunikation und das Spiel mit der Gleichaltrigen Gruppe machen einen Großteil des Inputs aus, aus dem Kinder sich Regeln der Sprache erschließen. Der pädagogische Rahmen, der in Kindergarteneinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bietet hier die größten Chancen, ist zugleich aber auch eine Herausforderung für die Fachkräfte.“

 



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