Expertise Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)

Inhaltsverzeichnis

  1. Arbeitsschwerpunkte und Module des Programms für den Elementarbereich

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Expertise Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)

 
Im November 2011 wurde eine Expertise von Bund und Ländern mit dem Ziel  in Auftrag gegeben  zu beschreiben wie Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung in Deutschland systematisch weiterentwickelt werden könnte. Die Expertise soll als unabhängige wissenschaftliche Stellungnahme eine Bilanz über die vielfältigen Maßnahmen der Sprachförderung geben, und als empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.e Evaluation gewertet werden. Besonderer Mehrwert wird darin gesehen, dass Bund und Länder hierbei  eine gemeinsame Initiative ergriffen haben um eine  verzahnten Weiterentwicklung anzuregen.

Seit der Einführung der Bildungspläne und dem Fokus auf Sprachkompetenz als Voraussetzung für weitere Bildungsprozesse wurden verschiedenste Anstrengungen unternommen um Kinder und Jugendliche in ihrer Sprach- und Lesekompetenz zu unterstützen. Verschiedene Theorien, Ansätze und Ziele in Sprachstandserhebungen, alltagsintegrierten Beobachtungsverfahren oder additiven Förderprogrammen wurden unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern eingeführt (siehe verlinkte Artikel unten) - über die Wirksamkeit der verschiedenen Ansätze ist jedoch noch wenig bekannt. Daher ist die Expertise so ausgelegt, dass in einer gemeinsamen Initiative Wege gefunden werden sollen, wie die Ansätze gebündelt, weiterentwickelt und vor allem in ihrer Effektivität geprüft werden können.

In der Expertise werden die Begriffe Sprachliche Bildung, Sprachförderung und Sprachtherapie wie folgt definiert:

Sprachliche Bildung als  gezielte alltagsintegrierte Tätigkeit, die nicht beiläufig passiert. Sie bezeichnet alle „durch  das  Bildungssystem  systematisch  angeregten  Sprachentwicklungsprozesse und ist allgemeine Aufgabe im Elementarbereich und des Unterrichts in allen Fächern“. Das pädagogische Personal greift dabei geeignete Situationen auf, plant und gestaltet sprachliche Anreize und integriert sprachliche Förderstrategien und weitere Sprachangebote für alle Kinder und Jugendliche.

Sprachförderung bezeichnet gezielte Fördermaßnahmen, die sich an Kinder und Jugendliche wendet, die bereits als sprachförderbedürftig diagnostiziert wurden oder deutliche Entwicklungsverzögerungen aufweisen. Diese Maßnahmen können „unterrichtsintegriert“ sein oder additiv, also zusätzlich, erfolgen. Sie beinhalten oftmals besondere sprachdidaktische Ansätze oder sind für eine bestimmte Zielgruppe wie Kinder mit Deutsch als Zweitsprache ausgelegt. Gefördert werden hierbei die allgemeinen  sprachlichen Fähigkeiten, etwa des Wortschatzes oder der Grammatik.  

Sprachtherapie wird  nur  bei  Vorliegen  eines  diagnostisch  abgesicherten  klinischen  Befundes eingesetzt. Die diagnostische Abklärung und die Therapie gehören nicht zu den Aufgaben von Erzieherinnen und Lehrkräften, sondern sind Aufgabe von Fachleuten (Kinderärztinnen, Sprachtherapeuten, Logopädinnen).

 
Modularisierung

In der Expertise wird für die verschiedenen Bildungsetappen eine Reihe von Prinzipien der Sprachförderung  / Sprachbildung identifiziert, die bereits in den Ländern umgesetzt werden. Diese Prinzipien oder auch Ansätze und ihre theoretischen und empirischen Fundierungen werden in Form von Modulen beschrieben. In einem weiteren Teil wird außerdem beschrieben, wie das pädagogische Personal qualifiziert werden muss um die jeweiligen Ansätze in den Modulen umzusetzen.

Die  Offenheit  der  Module soll es ermöglichen, dass fortlaufend neue Tools, die mit dem jeweiligen Förderprinzip kompatibel sind, eingespeist werden können.  Die Modulstruktur soll außerdem dazu dienen dass sich Länder, Maßnahmen, Instrumente,  Verfahren  und  Materialien untereinander austauschen und gemeinsam nutzen können, wozu ein zentraler Server als Informations- und Austauschplattform eingerichtet wird.


Handlungsfeld Elementarbereich 

Die Expertise bezieht sich auf die  Handlungsfelder Elementarbereich sowie auch auf den Primar- und Sekundarbereich. In diesem Beitrag liegt der Fokus jedoch nur auf den konkreten Aussagen zum Handlungsfeld Elementarbereich.

Von der Autorengruppe werden  spezifische Leilinien formuliert, die sich  drei verschiedenen Bereichen zuordnen lassen: Sprachliche Bildung und Sprachförderung, Sprachdiagnostik sowie ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   des Fachpersonals. Im Folgenden werden einige Auszüge der Leitlinien genannt:


Sprachliche Bildung und Sprachförderung

  • Die Basis für sprachliche Bildung und Sprachförderung sind stabile Beziehungen zu den  Bezugspersonen  und die Wertschätzung des individuellen Kindes
  • Die Qualität des sprachlichen Inputs der Fachkräfte ist entscheidend, sowohl bei alltagsintegrierten Ansätzen als auch in Sprachförderprogrammen muss der Fokus darauf gerichtet sein. Weitere Voraussetzung ist die Fähigkeit zur Reflexion und Modifikation des eigenen Sprachverhaltens
  • Zu einem hochwertigen sprachlichen Input gehören offene Fragen, die problemlösende Denkprozesse herausfordern, Möglichkeiten geben Vorwissen und Vorerfahrungen auf neue Situationen anzuwenden, Lernprozesse für Kinder  in realen und bedeutsame Situationen einzubinden und kontinuierlich  Rückmeldungen zu geben
  • Sprachförderstrategien unterstützen den kindlichen Spracherwerb, folgende werden als wirksam angesehen:
    • korrektives  Feedback,  Expansion  kindlicher  Äußerungen,  Umformung  kindlicher  Äußerungen,  thematische  Erweiterung  kindlicher  Äußerungen,  die  Verwendung  offener  Fragen. Für den Erwerb neuer Wörter und zur Festigung des Wortschatzes sind insbesondere  die  folgenden  (sprachlichen)  Verhaltensweisen  unterstützend:  das  Herstellen  eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus, handlungsbegleitendes Sprechen, Abstandsfragen

 

  • Kontakt zu den Eltern und Bezugspersonen sind unterstützend für Sprachbildung und Sprachförderung. Familiale Hintergründe können zum sprachlichen Input genutzt werden und Eltern können bei Fragen zur sprachlichen Entwicklung unterstützt werden

  

 Sprachdiagnostik / Sprachstandsfeststellung

  • Sprachdiagnostik / Sprachstandsfeststellung  zielt  auf  spezifische  Sprachförderung  ab. Daraus folgt als Leitlinie, dass Sprachdiagnostik nur mit dem Ziel Sprachförderung angesetzt wird.
  • Eine auf Sprachförderung zielende Diagnostik ist zweistufig: Mit einem Screening werden Kinder  mit einem Sprachförderbedarf identifiziert. In einem zweiten, gezielteren Diagnoseschritt  werden  individuelle  Förderziele  bestimmt  und  festgelegt,  welche  sprachlichen Bereiche in den Fokus der Förderung genommen werden müssen. Dazu muss die Auswertung einer Beobachtung, eines Screenings oder eines Tests auf Erwerbsschritte (Stufen, Meilensteine) im kindlichen Spracherwerb bezogen werden.
  • Die Sprachdiagnostik / Sprachstandsfeststellung eines mehrsprachig aufwachsenden Kindes gibt  auf zwei diagnostische Fragen Antwort: (1)  Entspricht  der sprachliche Entwicklungsstand dem von Kindern mit vergleichbarem Erwerbshintergrund? (2) Ist die sprachliche Entwicklung hinreichend gut, um den schulischen Erfolg zu sichern?


 
Professionalisierung   

  •  Fort- und Weiterbildungen für Erzieherinnen vermitteln die Kompetenzen, damit Erzieherinnen  in  ihrer  Arbeit  den  aufgeführten  Leitlinien  in  Sprachbildung  und Sprachförderung sowie Diagnostik folgen können
  • Professionalisierung von Erzieherinnen versetzt diese in die Lage, gezielt diagnostische und sprachfördernde Verfahren / Materialien für ihre Arbeit auswählen zu können
  • Professionalisierung  von  Erzieherinnen  versetzt  diese  in  die  Lage,  gezielt  mit  Eltern  ins Gespräch zu kommen, um einerseits relevante Informationen über die individuelle Sprachentwicklung  und  deren  Bedingungen  ermitteln  zu  können  und  andererseits  die  Eltern professionell hinsichtlich ihrer sprachlichen Interaktion mit dem Kind beraten zu können. Dies gilt insbesondere auch für die Kooperation mit mehrsprachigen Eltern


 




Arbeitsschwerpunkte und Module des Programms für den Elementarbereich

Es werden für den Elementarbereich 6 Module genannt, wovon Modul 1  im folgenden Beitrag exemplarisch vorgestellt wird. Insgesamt gliedern sich die Module folgendermaßen:

Modul 1:  „Gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung“

Modul 2:  „Unterstützung der Sprachentwicklung für Kinder unter 3 Jahren“

Modul 3:  „Intensive Förderung im Bereich sprachlicher Strukturen“

Modul 4:  „Intensive Förderung der phonologischen Bewusstheit“

Modul 5: „Intensive Sprachförderung durch dialogisches Lesen in der Kleingruppe“

Modul 6:  „Übergang vom Elementarbereich zum Primarbereich“

Die vorgeschlagenen Module unterscheiden und überschneiden sich auf drei Ebenen:

  • Sie beziehen sich auf verschiedene Altersbereiche
  • Sie beziehen sich auf gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung oder auf intensive Sprachförderung in Kleingruppen.
  • Sie  konzentrieren  sich  auf  unterschiedliche  sprachliche  Bereiche  wie  Wortschatz,  LiteracyLiteracy|||||Literacy in der frühen Kindheit und im Übergang zur Schule ist ein
    Sammelbegriff für kindliche Erfahrungen und Kompetenzen rund um Buch-,
    Erzähl-, Reim-und Schriftkultur
    , sprachstrukturelle Aspekte.


Im Anschluss an die Module werden sogenannte „Tools“ genannt, die als Instrumente oder Werkzeuge angegeben werden, und z.B. Verfahren oder Materialien darstellen um die genannten Ziele zu erreichen (z.B SismikSismik|||||Systematisches Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren zur Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in der Kindertageseinrichtung. Der Bogen umfasst vielfältige Bereiche von Lernmotivation  bis zu pädagogischen Konsequenzen. und SeldakSeldak|||||Systematisches Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren zur Sprachentwicklung  und  Literacy  bei  deutschsprachig aufwachsenden Kindern. Umfasst vielfältige  Bereiche von Lernmotivation  bis zu pädagogischen Konsequenzen.)

Modul 1:  „Gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung“

Ziel ist hier eine dezidierte alltagsintegrierte Sprachbildung, die sich an alle Kinder (2 bis 6 Jahre) in der  Gruppe  bzw.  Einrichtung  richtet. 

Gegenstand  des Moduls:

Es sollen Gelegenheiten im Alltag geschaffen werden, in denen ErzieherInnen und Kinder möglichst häufig lang anhaltende Gespräche führen. Da dies sehr von der Qualität des sprachlichen Inputs der ErzieherIn abhängig ist, sollen ErzieherInnen in Weiterbildungsmaßnahmen dabei unterstützt werden, sich selbst zu reflektieren und bewährte Sprachförderstrategien so zu erweitern und verinnerlichen, da sie häufiger und gezielter eingesetzt werden können.

Ziel ist dabei nicht ein besonderes Thema zu lernen, sondern Kinder zu möglichst komplexen sprachlichen Äußerungen herauszufordern. Dabei werden Kinder unter anderem dazu angeregt über persönlich Bedeutsames zu reden, der sogenannte „focus on meaning“, um ihren Wortschatz dabei beiläufig zu erweitern. Des Weiteren können Alltagsituationen auch genutzt werden um einen „focus on form and structure“ zu legen, zum Beispiel durch geeignete Reime, Struktur von Fragen etc. Beim „focus on print“ wird das Interesse der Kinder geweckt sich mit Geschriebenem  auseinanderzusetzen und Wissen über Schrift und Gedrucktes aufzubauen.

Explizit bewährte Strategien sind dabei: Handlungsbegleitendes  Sprechen  –  offene  Fragen  – Wiederholung  und  Umformung –  thematische  und sprachliche  Erweiterung  (Extension,  Expansion) – Rückmeldung  (Ermutigung  und  Bestätigung) – Abstandsfragen (Dekontextualisierung) – korrektives Feedback.

Situationen und Routinen die sich als bewährt herausgestellt haben sind: Bilderbuchbetrachtung in kleinen Gruppen, Rollenspiel angereichert durch Materialien und Impulse,  (z.B. Kinder schreiben einen Einkaufszettel). Auch  spezifisch  gestaltete  Lernumgebungen  zu  einem  bestimmten  Thema  (z.B.  Restaurant) sind geeignet um schriftsprachbezogene  Spielaktivitäten  bei  den  Kindern  anzuregen  (z.B.  eine  Bestellung aufschreiben).    In Projekten können Kinder ihr Wissen anderen vorstellen, beim Philosophieren mit Kindern können sie sich mit den Grundfragen des Lebens auseinandersetzen, aber auch in Alltagssituationen und Planungen des Tagesablaufs können Kinder sprachlich beteiligt werden.

Begleitende  Sprachdiagnostik  kann  die  gezielte  alltagsintegrierte  Sprachbildung  unterstützen.  Lernfortschritte  werden  regelmäßig  individuell  in  Form von  Lerntagebüchern  qualitativ und  quantitativ  dokumentiert.  Darüber  hinaus  können  auch  spezifische  Bilderbücher, mit  denen  Äußerungen  der  Kinder  herausgefordert  werden,  die  den  Stufen  des Schriftspracherwerbs zugeordnet werden können, eingesetzt werden. Diese bieten über die diagnostischen  Informationen  hinaus  Hinweise,  wie  bei  der  Bilderbuchbetrachtung  bzw.  in Alltagssituationen  auch ein  „Focus  on  Print“ gerichtet  werden kann.  Aufschluss  über  den schriftsprachlichen Entwicklungsstand geben auch die schriftlichen Produkte der Kinder, die sie  im  Alltag  und  im  Rollenspiel  angefertigt  haben  (z.B.  ein  Einkaufszettel).  Werden diese in einem Sprach-PortfolioPortfolio||||| Ein Portfolio bezeichnet ursprünglich  eine Sammlung von Objekten eines bestimmten Typs. Im  Handlungsfeld frühkindliche Bildung werden Portfolios beispielsweise wie "Ich- .Mappen" für Kinder genutzt um eigene Fortschritte zu dokumentieren. Auch in Studiengängen gibt es Beispiele, wo Portfolios als Prüfungsleistung oder Dokumentation von Entwicklungen zählen können. gesammelt,  können sie nicht nur diagnostische Information geben oder für Entwicklungsgespräche mit Eltern dienen, sondern auch für Gespräche mit dem Kind selbst genutzt werden. 

Auszug aus den genannten „Tools“:

Tool 7:

Beispiel Förderung – Vorschläge für eine gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung

Best, P., Laier, M., Jampert, K., Sens, A., Leuckefeld, K. (2011). Dialoge mit Kindern führen.

Die  Sprache  der  Kinder  im  dritten  Lebensjahr  beobachten,  entdecken  und  anregen.  Berlin: Verlag das Netz.

Ruberg, T. &  Rothweiler,  M.  (2012).  Spracherwerb  und  Sprachförderung in  der  KiTa.  Stuttgart: Kohlhammer.

Tracy, R. & Lemke, V. (2009). Sprache macht stark. Berlin: Cornelson Scriptor.

 

Tool 8:

Beispiele Förderung – Programm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“

 Im Programm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ des BMFSFJ werden derzeit weitere Tools entwickelt, die genutzt werden können. 

 

Im Downloadbereich können Sie die gesamte Expertise einsehen mit allen genannten Modulen und den vorgeschlagenen Tools.


Weitere Fachbeiträge zum Thema:



Offensive „Frühe Chancen“


Sprachstandserhebungen mit Fokus Niedersachsen


Beobachtungsverfahren Sismik und Seldak





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