Kindlicher Stress, erwachsenes Wohlbefinden und pädagogische Qualität in Kitas

Zusammen denken, was zusammengehört

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklung von Stressreaktionsmustern in der Kindheit
  2. Mögliche Folgen von belastenden Lebensumständen und Stress auf das kindliche Körper-Geist-System
  3. Stress ist nicht gleich Stress
  4. Das Prinzip der Ko-Regulation
  5. Wie der erwachsene Körperzustand das kindliche Bindungsverhalten beeinflusst
  6. Kindliches Wohlbefinden als Indikator für pädagogische Qualität
  7. Selbstfürsorge ist auch Kinderschutz
  8. Erwachsenes Wohlbefinden als Voraussetzung für pädagogische Qualität
  9. Fazit
  10. Quellen

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Kindliches Wohlbefinden als Indikator für pädagogische Qualität

Die bisherigen Erkenntnisse zu den Auswirkungen von kindlichem Stresserleben machen es notwendig, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern noch stärker in den Fokus der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung zu rücken. Es gibt dazu zur Zeit vermehrt Bestrebungen, Gesundheit und Wohlbefinden nicht nur als zentrales Ziel, sondern auch als Qualitätskriterium frühkindlicher Bildung zu verstehen (Keßel et al. 2024). In Belgien wurde beispielsweise die „Leuvener Engagiertheits-Skala für Kinder“ entwickelt, die kindliches Wohlbefinden und Engagiertheit als Indikatoren für die Qualität von Lernprozessen definiert. Dahinter steht folgende Grundannahme: ob sich Kinder offen und lernbereit mit ihrer Umwelt auseinandersetzen können, hängt entscheidend davon ab, ob sie sich wohlfühlen. Dieser Skala entsprechend weisen Kindertageseinrichtungen dann eine hohe Qualität auf, wenn die Kinder „well-being“ erleben und „involvement“ zeigen (Hebenstreit-Müller 2019). Auch Forschungsprojekte zu kindlichem Wohlbefinden sowie zur inhaltlichen und methodischen Ausdifferenzierung von Konzepten kindlichen Wohlbefindens nehmen national und international zu, spielen jedoch als Indikator für frühpädagogische Qualität noch eine untergeordnete Rolle (Eberlein & Schelle 2018). Instrumente zur Beobachtung und Einschätzung kindlichen Wohlbefindens werden im deutschsprachigen Raum zurzeit im Rahmen verschiedener Projekte und v.a. für Krippenkinder entwickelt, z.B. WaBe (Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse, Dreyer & Stammer 2024), KiWie (Kindliches Wohlbefinden im Eingewöhnungsprozess, Viernickel & Richter 2024) und WoGe (beobachtungsbasierte Wohlbefindens- und Gefährdungsbeurteilung, laufendes Forschungsprojekt an der Uni Leipzig).

In der frühen Bildung gab es immer wieder Diskussionen um die Frage, ob Kitas die kompensatorischen und entwicklungsfördernden Hoffnungen, v.a. unter aktuellen Bedingungen, überhaupt erfüllen können. Um herauszufinden, unter welchen Bedingungen der Besuch einer Kita Stimulation und nicht Stress bedeutet, untersuchte die STIMTS-Studie 140 Krippenkinder aus 35 Einrichtungen in Berlin. Die Forscher*innen fanden heraus, dass es zwar der Mehrzahl der Kinder gut geht – es aber auch gewichtige Anzeichen dafür gibt, „dass ein Teil der untersuchten Kinder Erfahrungen macht, die ihr Wohlbefinden einschränken und das Risiko dauerhaften Stresserlebens und negativer Entwicklungsverläufe bergen“ (Viernickel et al. 2018: 29). „20 Prozent der 140 […] zeigten während der Beobachtungen im Kitaalltag deutliche Anzeichen von Anspannung, Teilnahmslosigkeit und Niedergeschlagenheit oder traten kaum in sozialen Kontakt mit den Fachkräften oder anderen Kindern“ (Alice Salomon Hochschule 2022). Die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern in Kitas erstens noch mehr zu beforschen und zweitens noch stärker in den Fokus von Qualitätsentwicklungsprozessen zu rücken, erscheint nicht nur vor dem Hintergrund dieser Studie sinnvoll. Die Voraussetzung dafür, dass es Kindern gut geht, bleibt insgesamt noch wenig beachtet: das Wohlbefinden der Erwachsenen, die sie begleiten.


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