Kindlicher Stress, erwachsenes Wohlbefinden und pädagogische Qualität in Kitas
Zusammen denken, was zusammengehört
Inhaltsverzeichnis
- Entwicklung von Stressreaktionsmustern in der Kindheit
- Mögliche Folgen von belastenden Lebensumständen und Stress auf das kindliche Körper-Geist-System
- Stress ist nicht gleich Stress
- Das Prinzip der Ko-Regulation
- Wie der erwachsene Körperzustand das kindliche Bindungsverhalten beeinflusst
- Kindliches Wohlbefinden als Indikator für pädagogische Qualität
- Selbstfürsorge ist auch Kinderschutz
- Erwachsenes Wohlbefinden als Voraussetzung für pädagogische Qualität
- Fazit
- Quellen
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Stress ist nicht gleich Stress
Nicht jedes Ereignis, das als belastend wahrgenommen wird und mit Stressantworten des Körpers einhergeht, ist schädlich. Natürlicherweise erleben sowohl Erwachsene als auch Kinder immer wieder Stressoren, die es notwendig machen, dass der Körper antwortet und sich an die gewachsenen Anforderungen anpasst. Aus der Homöostase in die Allostase zu wechseln, notwendige Stressreaktionen auszulösen und anschließend wieder zurück in einen Zustand von Gleichgewicht und Erholung zu finden ist grundlegend für den Aufbau von ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. . Einen gesunden Umgang mit Stressoren zu finden ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe von Kindern und ganz normaler Teil der ersten Lebensjahre (National Scientific Council on the Developing Child 2014).Ob belastende Lebensumstände und Stress das Körper-Geist-System langfristig beeinflussen, hängt davon ab, wie stark die individuelle Stressantwort ausfällt und wie lange sie anhält. Dies wiederum ist abhängig von der Intensität, der Häufigkeit, der Dauer und dem Zeitpunkt des Ereignisses. Ebenfalls spielt eine maßgebliche Rolle, in welchem Kontext das Ereignis stattfindet, z.B. ob sie von verlässlichen Bindungsbeziehungen begleitet werden und ob sich das Ereignis für das Kind aufgrund seiner persönlichen Ressourcen kontrollierbar anfühlt oder nicht.
Kurzweilige und moderate Stressantworten, die ein Kind aus eigener Kraft oder in der Begleitung eines fürsorglichen, verlässlichen und vorhersehbaren Erwachsenen händeln kann, sind notwendig für den Aufbau einer effektiven, das heißt weder unter- noch überregulierten Stressreaktion. Auch stärkere Stressreaktionen, die zwar das Potenzial haben, die Entwicklung des Kindes negativ zu beeinflussen, jedoch nur über einen begrenzten Zeitraum anhalten und im Kontext stabiler Bindungen erlebt werden, sind für das Kind tolerierbar. Wenn die Stressreaktion besonders stark, häufig und/oder langanhaltend aktiviert ist, dann bedeutet dies für das Körper-Geist-System eine toxische Form von Stress. Hier geht es um Situationen, die sich für das Kind unkontrollierbar anfühlen und/oder die nicht von fürsorglichen, verlässlichen und vorhersehbaren Bindungsbeziehungen begleitet werden. Diese Form von Stress kann die oben beschriebenen langfristig schädigenden Effekte haben (National Scientific Council on the Developing Child 2014).
Unser Körper-Geist-System ist darauf ausgelegt, in einer wohlregulierten Balance zu funktionieren. Das bedeutet nicht, ständig und dauerhaft in einem Zustand von Ruhe und Gelassenheit zu sein! Das bedeutet, dass die physischen Systeme immer wieder hochgefahren werden (z.B. bei körperlicher Aktivität, im Kampf gegen Krankheitserreger, auch bei starken Emotionen wie Wut oder Trauer) und im Anschluss wieder in einen Zustand relativer Balance gelangen. Dort werden dann die zuvor hochgefahrenen Systeme wieder heruntergefahren: der Herzschlag und die Atemfrequenz beruhigen sich, der Muskeltonus entspannt, die Verdauung wird wieder aufgenommen, die „Gegenspieler“ der Stresshormone werden ausgeschüttet und es stellt sich ein Gefühl von Sicherheit ein. All diese regulierenden Prozesse und das Zurückpendeln von Allostase zu Homöostase müssen Kinder lernen. In den ersten Lebensmonaten und -jahren brauchen sie dafür die Unterstützung von Erwachsenen.
- Zuletzt bearbeitet am: Donnerstag, 26. September 2024 09:01 by Karsten Herrmann