Kindlicher Stress, erwachsenes Wohlbefinden und pädagogische Qualität in Kitas

Zusammen denken, was zusammengehört

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklung von Stressreaktionsmustern in der Kindheit
  2. Mögliche Folgen von belastenden Lebensumständen und Stress auf das kindliche Körper-Geist-System
  3. Stress ist nicht gleich Stress
  4. Das Prinzip der Ko-Regulation
  5. Wie der erwachsene Körperzustand das kindliche Bindungsverhalten beeinflusst
  6. Kindliches Wohlbefinden als Indikator für pädagogische Qualität
  7. Selbstfürsorge ist auch Kinderschutz
  8. Erwachsenes Wohlbefinden als Voraussetzung für pädagogische Qualität
  9. Fazit
  10. Quellen

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Entwicklung von Stressreaktionsmustern in der Kindheit

Unser gesamtes Körper-Geist-System ist darauf ausgelegt, in relativer Balance zu leben (Homöostase) und gibt sich daher größte Mühe, diesen Zustand beizubehalten bzw. immer wieder herzustellen. Wenn ein Stressor oder mehrere Stressoren auf das Individuum trifft bzw. treffen – biologischer oder mentaler Art - dann passt sich das gesamte System an, um die Balance aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (Allostase) (Maté 2023, McEwen 2006). Je nach Anforderungen werden z.B. Herzschlag, Atemfrequenz und Muskeltonus erhöht, die Verdauung kurzzeitig unterbrochen, die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin aktiviert oder das Immunsystem hochgefahren. Diese Stressantworten werden nicht nur bei physischen Anforderungen wie Kontakt mit Viren und Bakterien ausgelöst, sondern können auch bei mentalen, emotionalen und sozialen Anforderungen wie Trennungen von Bezugspersonen aktiviert werden. Sichtbar wird dies z.B. in einem angespannten Muskeltonus oder in Veränderungen der Gesichtszüge, der Stimme und der Gefühlslage. Weniger sichtbar und trotzdem folgenreich sind Stressreaktionen auf offenkundige oder unterdrückte Gefühle wie Angst, Wut oder Trauer.

Im Alltag begegnen sowohl Kinder als auch Erwachsene immer wieder Situationen, in denen das Körper-Geist-System aus der Balance gebracht wird und eine allostatische Antwort notwendig wird. Im Normalfall genügt die allostatische Anpassung, um dem Stressor effektiv zu begegnen, sodass das System im Anschluss daran wieder in einen Zustand relativer Ausgeglichenheit findet. Dieses „Pendeln“ zwischen Aktivierung und Balance kann als ganz normale Anforderung des täglichen Lebens verstanden werden. Wenn Kinder die Erfahrung machen, dass ihre Umgebung generell vorhersehbar und händelbar ist, dann bauen sie gut regulierte Stressreaktionen auf und können von der Allostase flexibel zurück in die Homöostase finden.

20240802 Grafik HomöostaseWenn der kindliche Körper hingegen übermäßigen, häufigen oder dauerhaften Stress erfährt, kann es zu einem „overload“ des Systems kommen (Allostatische (Über-)Last), der sich langfristig negativ auf die physische und mentale Gesundheit auswirkt. Wenn Stressreaktionen in der frühen Kindheit besonders intensiv, wiederkehrend und/oder dauerhaft notwendig werden, dann führt dies zu einer Anpassung der einzelnen Systeme in Körper und Geist (National Scientific Council on the Developing Child 2020). Das Stressreaktionssystem wird so kalibriert, dass es eine „kürzere Zündschnur hat, schneller alle Alarmsysteme hochfährt, um der wahrgenommenen Gefahr zu begegnen und damit langsamer abschaltet, als es gesund wäre (McEwen 2006, Bale 2014, McEwen & Akil 2020). Auf Verhaltensebene kann dies z.B. sichtbar werden, wenn Kinder sich bedroht oder angegriffen fühlen und übermäßig impulsiv reagieren oder übermäßig ängstlich bleiben, auch wenn eine Bedrohung längst vorüber ist (National Scientific Council on the Developing Child 2014). Aus biologischer Sicht sind diese Anpassungen zwar überlebenssichernd und sinnvoll in einer akuten Gefahrensituation, sie wirken jedoch gesundheitsschädlich, wenn sie zu lange anhalten.




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