Kinder (1) im Kontext von häuslicher Gewalt

Inhaltsverzeichnis

  1. Gewalt in Geschlechter- und Generationenverhältnissen
  2. Häusliche Gewalt und Kindeswohl (8)
  3. Häusliche Gewalt und die Entwicklungsrisiken für Kinder und Jugendliche
  4. Frauenhäuser als vorübergehende Schutz- und Unterstützungsorte
  5. Häusliche Gewalt und die Bedeutung von Kindertagesstätten
  6. Ressourcen stärken und Resilienz durch Partizipation befördern
  7. Fazit und Ausblick
  8. Anmerkungen
  9. Literatur

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Anmerkungen

(1) Auch wenn der Schwerpunkt dieses Artikels die Situation der Kinder in den Mittelpunkt stellt, soll dennoch darauf hingewiesen werden, dass die Lebensphase Jugend durch spezifische Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben gekennzeichnet ist. Zu diesen Entwicklungsaufgaben gehören z. B. die Akzeptanz der körperlichen Veränderungen, die Entwicklung und Festigung der Geschlechtsidentität, die (Weiter-)Entwicklung bzw. Stärkung schulischer Leistungsfähigkeit, die Gestaltung von Beziehungen zu Gleichaltrigen, die Ablösung vom Elternhaus, der Aufbau intimer Paarbeziehungen, die Ausbildung von Konsum- und Medienkompetenz, die Entwicklung eines eigenen Wertesystems, der Aufbau politischer Handlungsfähigkeit sowie die Aufnahme von Studium oder Berufsausbildung. Diese zahlreichen Bewältigungsaufgaben stellen Jugendliche vor vielfältige Herausforderungen in einer Zeit der fragilen Identitätsausbildung. Daher benötigt gerade diese Altersgruppe im Kontext von häuslicher Gewalt besondere Unterstützung (vgl. Henschel in AWO 2021; 2022).

(2) So haben lt. § 1631 Abs. 2 BGB Kinder erst seit dem Jahr 2000 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Die Gewaltfreiheit bezieht sich dabei nicht nur auf körperliche Züchtigungen, sondern schließt auch psychische Gewalt und Entwürdigung mit ein. Der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe gilt erst seit dem Jahr 1997. Auch das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG) kann erst seit 2002 als Ausdruck veränderter gesellschaftlicher Entwicklungen und Bewertungen hinsichtlich des Umgangs mit Gewalt im Geschlechterverhältnis gewertet werden.

(3) Häufig werden Aggression und Gewalt als Synonyme verwendet, was die DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. e erschweren kann. Gewalt stellt zwar eine Teilmenge von Aggression dar, wird jedoch erst durch die absichtsvolle oder intendierte bzw. bewusst in Kauf genommene Schädigung einer anderen Person zur Gewalt (vgl. Henschel 1993, S. 97 ff.; Schubarth 2000, S. 11 f.).

(4) Erweiterte Gewaltdefinitionen schließen häufig neben den physischen, psychischen, sexualisierten, verbalen, ökonomischen und vandalistischen Gewaltformen auch nicht manifeste Gewaltformen, wie z. B. die strukturelle Gewalt (vgl. Galtung 1975) mit ein. Auch werden hier bei dem Versuch einer Definition bzw. bei der Betrachtung der Ursachen und Erscheinungsformen von Gewalt die von der jeweiligen Gewalt Betroffenen nicht vergessen, denn für sie ergeben sich durch Gewalt nachhaltige Folgen (vgl. Reemtsma 2008, S. 105).

(5) Enge Gewaltdefinitionen beschränken sich i. d. R. auf direkte und zielgerichtete Gewalttaten, die zu physischen Schädigungen führen (vgl. Schubarth 2000, S. 11). Sie können somit weder die subjektiven Leiden der Opfer noch die strukturellen Verursachungszusammenhänge von Gewalt erklären.

(6) Auch das Einsperren und die Isolation (soziale Gewalt) sowie die ökonomische Gewalt stellen im Kontext von Partnerschaftsgewalt bedeutsame Gewaltformen dar.

(7) Diese stünden bei einem eher psychologisch orientierten Erklärungsansatz im Fokus, um gewalttätiges Verhalten erklärbar zu machen.

(8) Der Begriff Kindeswohl ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und im Deutschen Grundgesetz (GG) bislang nicht zu finden. Spezifische Grundrechte, die ausschließlich Kinder und Jugendliche betreffen, sind im Grundgesetz nicht auffindbar, auch wenn Kinder, wie Erwachsene auch, Träger aller Grundrechte sind. Erneut wird von der aktuellen Bundesregierung angestrebt, explizite Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, um die Grundrechte der Kinder besser sichtbar zu machen (vgl. Deutscher Bundestag 2021), da bis heute gilt, dass die primäre Verantwortung für die Erziehung des Kindes und dessen Schutz vor Gefahren bei Eltern bzw. Erziehungsberechtigten (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) liegt. Kommen Eltern dieser Verantwortung nicht nach, ist der Staat zur Intervention verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG).

(9) Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Konvention (2011), wurde 2018 von der Bundesregierung ratifiziertratifiziert|||||Die Ratifikation, auch Ratifizierung ist eine verbindliche Erklärung des Abschlusses eines Vertrages durch  Vertragsparteien. und gilt seitdem als Vorlage für entsprechende Gesetzesanpassungen bzw. gesetzliche Verbesserungen zum Schutz von Frauen und ihren Kindern vor Gewalt.

(10) Im Rahmen des von der Autorin geleiteten Forschungs- und Entwicklungsprojektes, das bis zum Frühjahr 2024 abgeschlossen sein soll, werden Fortbildungsmodule entwickelt und Fortbildungen durchgeführt (z. B. vom 23.11. bis 25.11.2022 im Europahaus Aurich) sowie evaluiert, die für die Thematik Partnerschaftsgewalt und Kindeswohlgefährdung sensibilisieren. Durch die partizipative Unterstützung eines Expert*innen-Gremiums wird die Entwicklung der Fortbildungsinhalte und -methoden kritisch begleitet, um Vernetzung und Kooperationen zwischen den Fachkräften aus Kitas, Schulen, der Jugendhilfe und den Frauenhäusern von Beginn an zu ermöglichen und somit Kindeswohl und Kinderschutz im Kontext von Partnerschaftsgewalt zu unterstützen. Ziel ist es u. a. für die Belange der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren sowie die Unterstützung der ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. bildung durch ressourcenorientierte pädagogische Maßnahmen zu befördern (vgl. www.isjuf.de).

(11) Dies wird bis heute nur unzureichend bei Sorge- und Umgangsrechtsregelungen von Seiten der Familiengerichte und auch Jugendämter anerkannt. Gewaltbetroffenen Müttern und ihren Kindern wird hierdurch nicht nur unzureichender Schutz zuteil, sondern insbesondere der Wunsch der Kinder hinsichtlich des väterlichen Umgangs wird selten ausreichend bei den Entscheidungen berücksichtigt (vgl. KFN 2021; Meysen 2021).



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