Kinderrechte in der Kita im Kontext von Digitalität und Digitalisierung

Inhaltsverzeichnis

  1. Digitale Medien und Kinderrechte im privaten Raum der Familie
  2. Medienbildung und Kinderrechte in der Kindertagesbetreuung
  3. Dimensionen von Medienbildung in der Kita
  4. Gestaltung einer kinderrechtebezogenen Digitalisierung in der Kita: Wer ist dabei gefragt?
  5. Handlungsempfehlungen
  6. Quellenverzeichnis

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Dimensionen von Medienbildung in der Kita

csm Grafik Aspekte Medienbildung 1 888b0ab66fAbbildung 1: Sieben Aspekte von Medienbildung in der Kita (Kutscher 2019)

1) Die Sensibilisierung der Fachkräfte dafür, wo schon ohne pädagogische Intervention digitale Medien im Alltag der Kinder vorkommen und wo dies mit kinderrechte-bezogenen Fragen verbunden ist.

So können z.B. auch Medienhelden auf der Kleidung der Kinder oder im Spiel Hinweise auf Beteiligungswünsche oder Schutzbedürfnisse geben. Beim Fotografieren in der Kita für Bildungsdokumentation oder die Darstellung der Einrichtungsaktivitäten taucht die Frage der Beteiligung der Kinder und der Berücksichtigung ihrer Sichtweisen und Bedürfnisse sowie ihres Rechts am eigenen Bild auf. Hier geht es um eine reflexive Auseinandersetzung der Erzieher*innen mit ihren eigenen Medienerfahrungen, eigenen Zuschreibungen an digitale Medien (als gefährlich, innovativ, praktisch, …), Bildern vom Kind (gefährdet, gefährlich, schutzwürdig, …) oder auch um einen Gang durch die Räume der Kita (Wo machen wir hier Dinge, die für die Rechte von Kindern relevant sind und eventuell auch etwas mit digitalen Medien zu tun haben, ohne dass wir das bewusst wahrnehmen und pädagogisch reflektieren?). Ein wichtiges Element kann dabei sein, die Kinder selbst nach ihren Medienerfahrungen, -präferenzen etc. zu befragen und mit einem verstehenden Zugang ihre Medienwelt zu betrachten.


Leifragen für die Sensibilisierung der Fachkräfte

  • Wo spielen digitale Medien im Alltag der Kinder eine Rolle? Welche Wünsche und Bedarfe leiten sich daraus ab?
  • Wie sehe ich die Kinder, mit denen ich arbeite? Was traue ich ihnen zu?
  • Was für ein Bild habe ich von unterschiedlichen digitalen Medien (Computer, Smartphone, Tablet, digitaler Bilderrahmen, Digitalkamera, …)?
  • Welche Medienerfahrungen habe ich als Erzieher*in mit Medien gemacht? Welche eigenen Zuschreibungen an Medien habe ich (gefährlich, innovativ, praktisch, …)? Welche Bilder von Kindern und Kindheit bringe ich mit (gefährdet, gefährlich, schutzwürdig, …)?


2) Die Einbettung der Wahrnehmung von Digitalität und dem Umgang damit in das pädagogische Handeln im Kita-Alltag.

Konkret bedeutet das, im Alltag aus der Beobachtung des vorhandenen Digitalen je nach pädagogischer Relevanz damit bewusst umzugehen. So kann die Nutzung des Smartphones in Bring- und Abholsituationen ein Gesprächsanlass sein, um sich auszutauschen, wie Familien mit digitalen Medien umgehen. Die Medienhelden von Kindern, die im Rollenspiel, auf Gegenständen oder auf der Kleidung der Kinder vorkommen, sind etwas, das das Handeln der Kinder erklären kann, etwas, das in seinem Sinn verstanden werden muss, um seine Bedeutung für die Kinder einordnen zu können (Wofür steht ein*e Medienheld*in? Weshalb findet ein Kind diese*n toll? – auch wenn die Erzieher*innen diese*n vielleicht erst einmal furchtbar finden). Auch die Frage, wie die Erzieher*innen im Alltag selbstverständlich mitreflektieren, wo die Rechte der Kinder eine Rolle spielen (z.B. Aufklärung der Kinder, wenn sie einander fotografieren, über die Notwendigkeit des Einverständnisses o.Ä.), ob dies bewusst geschieht, ob es pädagogische Überlegungen dazu gibt oder eher unbewusst geschieht: All das wären Beispiele dafür, wie das Digitale bewusst im pädagogischen Alltag wahrgenommen und pädagogisch begleitet wird – auch ohne dass damit notwendiger­weise ein Medieneinsatz verbunden wäre. Auch hierbei könnte gemeinsam mit den Kindern geschaut oder in Projekten entwickelt werden, wo ihre Rechte eine Rolle spielen – schon in dem Moment, in dem die Erzieherin oder der Erzieher ein Foto im Alltag macht, um dieses auf die Kita-Homepage zu stellen, könnte dies ein Anlass sein, sich mit dem Kind zum Recht am eigenen Bild, dem Recht, bei der Entscheidung beteiligt zu werden, ob ein Foto gemacht werden soll und wer es zu sehen bekommen darf, auseinanderzusetzen.


Leitfragen für die Einbettung ins pädagogische Handeln im Kita-Alltag

  • An welchen Stellen, in welchen Räumen, in welcher Form tauchen digitale Medien bei uns in der Kita auf (z.B. wenn Eltern in der Bring- und Abholsituation aufs Handy schauen, wenn wir in der Gruppe zu einem Thema recherchieren …)? Wie begleiten wir das bewusst vor dem Hintergrund unseres pädagogischen Selbstverständnisses?
  • Welche Dienste nutzen wir? Haben wir geprüft, wie datensicher diese sind? Wer hilft uns dabei, das zu beurteilen?
  • Was bedeutet sicheres Medienhandeln für uns? Wie können wir das realisieren?
  • Wie verstehen wir Kinderschutz im Zusammenhang mit Medienerziehung?


3) Die Verständigung über fachliche Standards im Kontext von Digitalisierung und deren Beachtung.

Damit ist die Auseinandersetzung mit Team, Leitung und Träger dazu gemeint, wie beispielsweise die Kinderrechte im Zusammenhang mit den digitalen Medien beachtet werden – wo werden die Kinder gefragt, wenn es darum geht, Fotos zu machen und über soziale Netzwerke zu teilen, und wie werden sie dabei über ihr Recht am eigenen Bild aufgeklärt, ebenso wie über das Recht, beteiligt zu werden? Wie gehen Fachkräfte bewusst mit Standards wie Datenschutz um, gibt es dazu eine gemeinsame Auseinandersetzung über die Gründe und Ziele und die Ausgestaltung in der Kita? Wie werden fachliche Qualitätsfragen mit Kinderrechten im Bereich des Digitalen verbunden und stehen für diese Verständigung kontinuierliche Räume zur Verfügung, in denen kollegial auch Unsicherheiten, Fehler und Beratungs- und Unterstützungs­bedarfe besprochen werden können?


Leitfragen für die Verständigung über fachliche Standards

  • Welche Regeln gelten für die Fachkräfte rund um digitale Medien?
  • Welche grundlegenden Anforderungen müssen im Zusammenhang mit digitalen Medien neu überlegt bzw. auch dort umgesetzt werden?
  • Wie stehen unsere digitale Praxis und unsere fachlichen Standards und pädagogischen Konzepte in Bezug bzw. im Widerspruch zueinander?



4) Der Einsatz digitaler Medien in der Kita – da, wo es aus fachlicher Sicht pädagogisch sinnvoll und angemessen erscheint.

Viele medienpädagogische Projekte und Ansätze vermitteln Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Medien – ob als digitale Speisekarte für das Mittagessen, als Fotoprojekte, als Filmprojekte mit Greenscreen-Technik etc. Diese Formate sind je nach Alter und pädagogischen Zielen unterschiedlich sinnvoll und es gilt abzuwägen, wo und ob digitale Medien eingesetzt werden. Nur dass es gute Medienprojektideen gibt, ist noch kein hinreichender Grund, sie im Kita-Alltag umzusetzen. Erst wenn es aus pädagogischer Sicht – z.B. in Bezug auf die Auseinandersetzung mit einem Thema, als hilfreiches Mittel, um etwas umzusetzen – angeraten und fachlich sinnvoll erscheint, kann der Medieneinsatz ein Element in der pädagogischen Arbeit sein. Hier wäre sowohl eine fachliche Abwägung als auch eine Einbeziehung der Kinder in Entscheidungen darüber sinnvoll und oft schon früh möglich. So kann man durchaus mit den Kindern gemeinsam überlegen, wo es sinnvoll ist, etwas mit einem digitalen Medium zu machen und wo nicht, also gemeinsam Kriterien dafür entwickeln, wann und weshalb man ein digitales Medium einsetzt oder gerade nicht nutzen will.


Leitfragen für den Medieneinsatz/die Mediendidaktik

  • Welches Wissen haben wir über digitale Medien für den Kita-Alltag?
  • Kennen wir pädagogisch sinnvolle Software und Anwendungen, die geeignet sind für die Arbeit mit den Kindern?
  • Kennen wir pädagogisch empfehlenswerte Anwen­dungen, die wir auch Eltern als Information weiterge­ben können, wenn sie dazu Beratungsbedarf haben?
  • Welche (beteiligungsorientierten) Methoden und Ansätze für die Arbeit mit digitalen Medien kennen wir?
  • Wie reflektieren wir systematisch die Möglichkeiten und Grenzen von digitalem Medieneinsatz in Ver­bindung mit unserem pädagogischen Alltag? (Wann halten wir es für sinnvoll, digitale Medien einzusetzen, und wann nicht?)



5) Konzeptentwicklung

Hier dokumentiert sich das Selbstverständnis der Einrichtung in Bezug auf Medienbildung, beispielsweise anhand von Fragen wie: Wie sehen wir digitale Medien, was wollen wir Kindern zutrauen, wie verbinden wir das Thema mit unserer Sicht auf Kinderrechte, Inklusion, mit allgemeinen Bildungs- und Befähigungsfragen und unse­rem grundsätzlichen konzeptionellen Ansatz in der Einrichtung? Die Aspekte, die im Konzept digitale Medien berücksichtigt werden, betreffen sowohl die organisatorische, strukturelle Ebene (wie gehen wir mit Datenschutz um, wie ist die räumliche Gestaltung, welche Standards leiten die Einrichtung etc.) als auch die Ebene des pädagogischen Handelns (wie betrachten wir digitale Medien aus pädagogischer Sicht, wie setzen wir sie ggf. ein, wie sehen wir die Kinder dabei etc.). Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass ein Konzept in einem gemeinsamen Prozess und auf der Basis einer Auseinandersetzung des Teams mit eigenen Medienbildern und -erfahrungen, geteilten Vorstellungen, Werten, Haltungen und Normen entwickelt wird. Dieser Prozess ist ein Weg, der erforderlich ist, wenn ein Konzept auch in der Praxis gelebt werden soll.


Leitfragen für die Konzeptentwicklung

  • Wie positionieren wir uns als einzelne Fachkräfte und als Leitung zur Frage digitaler Medien in unserem Kita-Alltag?
  • Was ist unser gemeinsames Leitbild?
  • Wie gestalten wir dieses Verhältnis bezüglich a) der Umsetzung von Kinderrechten im Kita-Alltag, b) der Beteiligung von Kindern, c) des Datenschutzes, d) der Bildungsdokumentation, e) der Elternkommunikation etc.?
  • Wie gestalten wir Teamprozesse und wie werden sie dauerhaft verankert?
  • Wie sind Zuständigkeiten diesbezüglich verteilt und verbindlich festgehalten?



6) Die Erziehungspartnerschaft mit Eltern und die Einbeziehung des Themas Medienerziehung dabei.

Hier steht im Mittelpunkt, zu klären und miteinander zu entwickeln, wie sich die Einrichtung in der Zusammenarbeit mit Eltern hinsichtlich des Themas Medien­erziehung versteht und welche Rolle dabei die Kinderrechte (Schutz, Befähigung und Beteiligung) in der privaten Erziehung wie auch in der Kita spielen. Werden die Eltern – und tatsächlich alle Eltern? – dabei erreicht, wie werden sie einbezogen, wo sieht die Einrichtung besondere Herausforderungen, wo besondere Potenziale? Wie will sie gemeinsam Medienerziehung gestalten, sodass die Kinder nicht völlig unterschiedliche Formen und Ausrichtungen von Medienerziehung zu Hause und in der Kita erleben und gleichzeitig die Eltern, ihr Alltag und ihre Ressourcenlagen und Voraussetzungen anerkannt und unterstützend begleitet werden? Welche Unterstützungsbereiche definiert die Kita in diesem Feld als ihren Zuständigkeitsbereich? Wie wird Verantwortung verteilt und sich darüber verständigt? Welche Formen der Zusammenarbeit mit Eltern werden bewusst gewählt und gestaltet, auch angesichts der jeweiligen Zielgruppenzusammensetzung der Kita? Können und sollen die Eltern die Kita als Ort erleben, an den sie sich wenden können, wenn sie Fragen rund um ihre Medienerziehung haben? Und: Wie können Kinder in die Medienerziehung einbezogen werden?


Leitfragen für die Erziehungspartnerschaft mit Eltern

  • Welche Nutzung und Medienerfahrungen beobachte ich im Kontakt mit den Eltern?
  • Wie schaffen wir ungleichheitssensible Angebote für Eltern unserer Kita? Das heißt: Wie beachten wir, dass manche Eltern benachteiligte Ausgangsbedingungen haben und andere Angebote bzw. andere Unterstützung benötigen? Wie zeigt sich das im Zusammenhang mit Medienerziehung?
  • Welche Unterstützungsbereiche sehen wir? Welche davon erklären wir zu unserer Zuständigkeit? Für welche halten wir Informationsmaterial über andere Stellen vor?
  • Wie reflektieren wir Unterschiede zwischen der Me­dienerziehung in der Familie und in der Kita? Wie gehen wir damit um?
  • Wo könnten Eltern auch eine Rolle spielen, wenn es um digitale Medien in der Kita geht? Wo beziehen wir Eltern schon ein? Wo und wie wollen und können wir sie mehr einbe­ziehen?



7) Ausstattung

Auch die Ausstattung der Einrichtung mit digitalen Medien bedarf einer fachlichen Abwägung. Das Ziel ist es nicht, möglichst viele digitale Medien anzuschaffen, sondern auch hier bewusste Entscheidungen zu treffen: Welche Geräte machen Sinn in unserer pädagogischen Arbeit, wie sollen sie eingesetzt werden und welche Dienste wollen wir dabei nutzen, die z.B. auch die Daten der Kinder bestmöglich schützen? Kompromisse, die zulasten der Daten der Kinder gehen, sind hier um jeden Preis zu vermeiden (s. Handreichung von Andernach et al. 2019 für das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 131-135).


Leitfragen für die Ausstattung

  • Welche digitalen Medien benötigen wir für die päda­gogische Arbeit in der Kita?
  • Wo haben wir Medien, die wir möglicherweise nicht benötigen?
  • Wie hängt die Ausstattung mit unseren pädagogi­schen Ansätzen zusammen?
  • Wo wollen wir etwas verändern?
  • Wie können wir dabei Eltern einbeziehen?
  • Welche konzeptionellen Ideen haben wir, auf deren Basis wir Ausstattung mittel- und langfristig fachlich fundiert planen?




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