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Kinderläden und antiautoritäre Erziehung

Modelle einer Gegengesellschaft und veränderten Erziehungskultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Vom Gleichschritt zum aufrechten Gang
  2. Keine eigene wissenschaftsmethodisch überzeugende Theorie
  3. Anfänge und Entwicklung in Westdeutschland
  4. Anfänge und Entwicklung in Ostdeutschland
  5. Antiautoritäre Sexualerziehung/-aufklärung
  6. Selbsterziehung der Erwachsenen - Vom Kinderladen zum Elternladen
  7. Anpassung an den Mainstream?
  8. Wegweisende Impulse gesetzt
  9. Neueste wissenschaftliche Studien
  10. Anmerkungen
  11. Literatur

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Anmerkungen


1) Reinhard Wolff, Kinderladenaktivist der ersten Stunde, nimmt für sich in Anspruch die Wortmarke „Kinderladen“ ausgedacht zu haben (vgl. Wolff 1992, S. 73). Dem hält Heidi Berndt entgegen, dass die feministische Filmemacherin und Autorin Helke Sander diese Bezeichnung aus ihren Erfahrung mit der Puistotädit, der außerfamiliären Betreuung von kleinen Kindern in Finnland durch sog. „Parktanten“, mit nach Deutschland brachte (vgl. Berndt 1995, S. 239). Seinerzeit existieren die unterschiedlichsten Titulierungen für Einrichtungen, die sich der antiautoritären Erziehung verpflichtet fühlten. Die Bandbreite reichte von Freie Kinderschule, Freie Vorschule, Kinderforum, Kinderzentrum, Kinderhaus, Kinderklub, Mini-Club, Freier Kindergarten „bis zu Kinder-Olymp und Notgemeinschaft Kinderspielkreis“ (Reichhardt 2014, S. 725).
2) „‘Antiautoritäre Erziehung‘ war bis 1968 in Deutschland kein Begriff“ (Sander/Wille 2008, Sp. 660). Die Soziologin und Psychoanalytikerin Monika Seifert sprach zuerst von „repressionsfreier“ Erziehung. Genannte hatte, wie ihre ehemalige Freundin und Biografin vermutet, im Jahre 1968 den Fachbegriff „antiautoritäre Erziehung“ eingeführt, dabei zurückgreifend auf den Sozialphilosophen und Kopf der „Frankfurter Schule“ Max Horkheimer, der das Adjektiv „antiautoritär“ in seinem Essay „Autorität und Familie“, erschienen 1936 als Teil der „Studien über Autorität und Familie“, benutzte. Seifert verknüpfte die Wörter „antiautoritär“ und „Erziehung“ zur „Charakterisierung einer alternativen Form der Erziehung, die sich von der herkömmlichen, d. h. autoritären Erziehung abhebt“ (Aden-Grossmann 2014, S. 74).
3) Neben den vielen Fotos nackt umherspringende Kinder wurde eines „zur Ikone der Kinderladenbewegung [und steht; M. B.] für die Missachtung eines Symboles der Kultur des Bürgertums und seiner Erziehung“ (Baader 2008, S. 26): der über ein Klavier laufende Junge in der „Frankfurter Kinderschule“ (u. a. abgebildet in: o. V. 1970a, S. 90 u. Aden-Grossmann 2014, S. 97). Dabei hatte man nicht registriert, „dass das Klavier als Instrument nicht mehr spielbar war und als irreparabel der Kinderschule geschenkt worden war. Töne konnte man ihm kaum noch entlocken, es sei denn, man lief über die Tasten“ (Aden-Grossmann 2011, S. 146).
4) Helmut Kentler war zu seiner Zeit einer der gefragtesten Fachmänner zur Sexualität von Kindern und Jugendlichen. In seinen unzähligen, heute umstrittenen und äußerst fragwürdigen Publikationen tritt zutage, „dass er das Konzept des wissentlichen Einverständnisses ablehnte, da für ihn sexuelle Kontakte mit Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen keineswegs zwangsläufig ungleiche Beziehungen mit unterschiedlichen Machtpositionen bedeuten“ (Institut für Demokratieforschung Georg-August-Universität Göttingen 2016, S. 79). Demzufolge schädigt, nach Kentler, nicht die sexuelle Handlung das Kind, sondern die Tatsache, dass dieses sein Verhältnis zum „Täter“ verschweigen und verbergen muss, „weil es anderen Kindern entfremdet, weil, wenn das Verhältnis entdeckt wird, die Eltern, die Vernehmungsbeamten, Gutachter und Richter in einer Weise reagieren die das Kind schädigen“ (zit. n. ebd., S. 80). Das heißt für ihn: Schädigungen beim Kind „entstehen allenfalls sekundär“ (zit. n. ebd.). Hier hat sich der Sexualpädagoge an Alfred Charles Kinsey, der noch heute als der einflussreichste Sexualforscher des 20. Jahrhunderts gilt, orientiert. Der amerikanische „Dr. Sex“, wie Kinsey genannt wurde, vertrat die „wissenschaftliche Theorie“ „dass die gewaltfreie Annäherung eines Erwachsenen an ein Kind dieses nur verstören könne, wenn es von der herkömmlichen Moral geprägt sei. Erst die hysterischen Reaktionen von Eltern, Polizisten und Richtern nach der Entdeckung eines solchen Falles, so Kinsey, fügen dem Betroffenen nachträglich Schaden zu“ (Heider 2014, S. 283).
5) Das Anfang der 1920er Jahre gegründete „Kinderheim-Laboratorium Internationale Solidarität“, beherbergte Kinder hoch gestellter Persönlichkeiten, darunter auch Stalins Sohn Wassili (vgl. http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=hi&dig=2001%2F09%2F08%2Fa0240&cHash=aecdb1dc44).
6) Zur Biografie von Monika Seifert: Wilma Aden-Grossmann 2014.
7) Dank ergeht an Norbert Ludwig und Helke Sander für die Abdruckgenehmigung der Fotos.
8) Zur Biografie von Helke Sander s: Ute Kätzel 2002; http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/helke-sander/; http://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0914.pdf.
9) Zur Biografie von Marianne Herzog: Marianne Herzog 1980.
10) Zur Biografie von Dorothea Ridder: Gabrielle Goettle 2009.
11) Nach Sven Reichhardt hatte sich der „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ im Mai 1968 konstituiert (vgl. Reinhardt 2014, S. 729).
12) Die hochschwangere Romanistikstudentin Sigrid Rüdiger schleuderte als Protest eine Tomate auf die „männlichen SDS-Köpfe“, mit ihren als chauvinistisch empfunden maskulinen Gebaren. Diese traf „ausgerechnet den schwulen, mickerigen und sehbehinderten Hans-Jürgen Krahl, den wichtigsten Theoretiker der Frankfurter Linken“ (Heider 2014, S. 96). Die „Tomatenrede“ wird manchen Orts als Auftakt der zweiten Welle der Frauenbewegung in der BRD gesehen (vgl. Schneider 2008, S. 221 u. Maurer 2016, S. 355.), bzw. wie Stefanie Pilzweger resümiert, als „Ursprungsmythos der Frauenbewegung verklärt und verkürzt“ (Pilzweger 2015, S. 21). Des Weiteren gründeten sich, von der „Tomatenrede“ angesprochen, „in sämtlichen Universitätsstädten Frauengruppen (‚Frankfurter Weiberrat‘ u.a.). Frauen, die nicht von der Kinderfrage betroffen waren, organisierten sich um andere Probleme“ (Sander/Wille 2008, Sp. 667). Es entstanden in den folgenden Jahren an zahlreichen Orten Räume speziell für Frauen, u. a. Wohngemeinschaften, Buchläden, Frauencafés- und -betriebe, die Frauenkalender, -zeitschriften, --filme,-bücher und vieles mehr produzierten.
13) Gisela Notz gibt an, dass der Internationale Vietnamkongress die Geburtsstunde der KinderlädenKinderläden||||| Die Kinderladenbewegung entstand in den 1986 in Frankfurt mit ersten selbstverwalteten Kindergärten, oftmals Elterninitiativen, in denen Kinder verschiedenster Alter  betreuut wurden. Es wurde die Maxime eines antiautoritären Erziehungsstil vertreten, um neue Erfahrungen für Kinder zu ermöglichen, sowie die Ansicht, dass Regeln von "Autoritäten" nicht blind verinnerlicht werden dürften. Dies führte und führt noch heute zu Diskussionen und fälschlichen Verwechslungen mit dem Laissez-Faire Erziehungsstil.   , die sich später in der ganzen Republik ausbreiteten“ (Notz 2009, S. 198) sei.
14) Helke Sander schreibt, dass der Kita-Streik letzten Endes zersplittert und ohne „nennenswertes Pressecho“ verlief. Auch der „Arbeitskreis der Sozialpädagogen“ berichtet vom weniger erfolgreichen Verlauf des Kita-Streiks (vgl. https://shiftingreality.wordpress.com/2014/02/14/). Demgegenüber konstatiert Manfred Kappeler, dass an dem Streik „mehrere Tausend Kindergärtnerinnen“ teilnahmen und er „neben der Heimkampagne die stärkste Manifestation des politischen Aufbruchs in der Sozialen Arbeit und im Erziehungswesen in West-Berlin in den späteren 60er Jahren“ (Kappeler 2016, S. 142 f) war.
15) Zu Biografie von Ute Erb: Wilhelm Kühlmann 2008.
16) Zur Biografie von Ulrike Poppe: Hermann Wentker 2012.
17) Zur Biografie von Uwe Kulisch: https://www.jugendopposition.de/lexikon/personen/148105/uwe-kulisch.
18) Die beiden Kinder auf dem Foto sind längst Erwachsene. Sie erteilten mir die Abdruckgenehmigung ohne Einschwärzung und versicherten, dass sie sich durch die Veröffentlichung in ihren Persönlichkeitsrechten nicht verletzt fühlen.
19) Zur Biografie von Eberhard Schulz: http://www.menschenrechtsanwalt.de/; http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-32062/report-jetzt-reden-die-kinder_aid_998699.html.
20) „Dass damals viele so dachten, beweist ein Teilabdruck des Kommune-Buches im 1969 erschienen Kursbuch Nummer 17, der die genannten Passagen enthält. Beigelegt war ein Bilderbogen, auf dem Grischa und Nessim nackt beim Betrachten und Zeigen ihrer Genitalien zu sehen sind. Keiner störte sich damals an den kindlichen Nackedeis, während 41 Jahre später in einem Spielegel-Artikel Gesichter und Teile der Körper unkenntlich gemacht sind, so dass aus den harmlosen Fotos Kinderpornos werden. Ein Abgrund trennt die damalige von der heutigen Einstellung zum Thema Kinder und Sexualität. Einst war es die Hauptsorge moderner Eltern und Erzieher, die Kinder vor psychischen Verkrüppelungen durch Sexualverbote zu bewahren. Heute steht die Angst vor Verletzung oder Traumatisierung durch verantwortungslose Erwachsene, der Pädophilen oder ‚Kinderschänder‘, im Vordergrund“ (Heider 2014, S. 107 f).
21) Vgl.: http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-32062/report-jetzt-reden-die-kinder_aid_998699.html.


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