Bildungspläne: Intention - Inhalte - Umsetzung

Inhaltsverzeichnis

  1. Strategien der Implementierung
  2. Rechtlicher Rahmen
  3. Die Frage der Verbindlichkeit
  4. Anforderungen an erfolgreiche Reformprozesse
  5. Resümee

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Jedes der 16 Bundesländer in Deutschland hat mittlerweile einen eigenen Bildungsplan für die (früh-) kindliche Bildung und Erziehung vorgelegt. Doch welche Intentionen stecken hinter den alleine schon in Namensgebung und Umfang so unterschiedlichen Bildungsplänen? Wie werden sie in die Praxis umgesetzt und welche Verbindlichkeit kommt ihnen dabei zu? Taugen die Bildungspläne tatsächlich als Reform-Motoren für die frühkindliche Bildung und Entwicklung?

 

Referenzpunkt des folgenden Fachbeitrages bildet insbesondere ein zweitägiger nifbe-Expertenworkshop im März 2010, in dem rund 60 Länder-VertreterInnen aus den Ministerien, der Bildungs-Administration und wissenschaftlichen Begleitung sowie der Praxis die Umsetzung der Bildungspläne und die Anforderungen an erfolgreiche Reformprozesse durch die Bildungspläne vorstellten und gemeinsam diskutierten. Zitate stammen aus diesem Workshop.

Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf die ganz unterschiedlichen Namensgebungen in den einzelnen Ländern: Diese reichen von „Leitlinien“, „Rahmenplan“ und „Orientierungsplan“ über „Bildungsempfehlungen“, „Bildungs- und Erziehungsempfehlungen“ bis hin zum „Bildungsprogramm“. Grundsätzlich haben die hier unter den Begriff „Bildungsplan“ subsummierten Landes-Konzepte den Anspruch, den Bildungsauftrag des Elementarbereichs zu konkretisieren und der Öffentlichkeit – und hier natürlich insbesondere den Eltern – zu verdeutlichen. Darüber hinaus sollen Sie aber auch zu einer nachhaltigen Qualitäts-Entwicklung und –Sicherung beitragen.


Im Kern richten sich die Bildungspläne der 16 Bundesländer an Kinder zwischen 0 und 6 Jahren, in Niedersachsen nur an Kinder zwischen 3 und 6 Jahren (als Ergänzung sind im Mai 2012 die "Handlungsempfehlungen für die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren" vorgelegt worden). Institutionen übergreifend ist der Bildungsplan in Baden-Würtemberg, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, wo er sich an 0 – 10jährige bzw. sogar an 0 – 14jährige Kinder richtet.


Trotz eines stark differierenden Umfangs der Bildungspläne, der von derzeit 24 Seiten in Nordrhein-Westfalen bis zu 488 Seiten in Bayern reicht, finden sich in den Bildungsplänen große Schnittflächen zwischen den hier beschriebenen Bildungs-, Erfahrungs- und Kompetenzbereichen. Im Zentrum stehen die Sprache und Kommunikation, die kognitiven Fähigkeiten, die sinnlich-kulturelle Bildung sowie Körper, Bewegung und Gesundheit. Sehr unterschiedlich ist allerdings der Praxisbezug ausgefallen: Während es in Thüringen beispielsweise gar keine konkretisierenden Handlungsempfehlungen, in Bremen nur einige wenige Beispiele und in Niedersachsen nur kurze „Anregungen zur Reflexion und Praxisbegleitung“ gibt, bieten Bayern, Berlin oder Brandenburg konkrete methodische Hinweise und Umsetzungsempfehlungen in den Bildungsplänen bzw. in zusätzlichen Materialien und Handreichungen.


Entwickelt wurden die in Deutschland ab 2004 eingeführten Bildungspläne zum Teil in den zuständigen Fachministerien selber, in der Mehrzahl jedoch unter Federführung von dafür beauftragten Hochschulen bzw. wissenschaftlichen Instituten. Gemeinsames Merkmal war hier eine breite Beteiligung relevanter Akteure wie Kita-Träger, Kommunale Spitzenverbände, Elternverbände, FachberaterInnen, Gewerkschaften oder Ausbildungseinrichtungen. Zusätzlich wurden nach der ersten Konzeptentwicklung feed back-Schleifen insbesondere mit der Praxis eingebaut – in Hessen beispielsweise durch eine dreimonatige Anhörungsphase nach der Veröffentlichung im Internet, in Niedersachsen durch das Versenden eines „Diskussionsentwurfes“ mit einem Rücklaufbogen an alle KiTas. In diesem Sinne war die Entwicklung von vornherein stark auf eine Konsens-Bildung durchaus unterschiedlicher InteressenvertreterInnen ausgerichtet.


Grundsätzlich sollen die Bildungspläne bestehende pädagogische Konzepte der KiTas keineswegs ersetzen, sondern eher zur Weiterentwicklung und zur Reflexion der eigenen Haltung dienen.


Strategien der Implementierung


Jedes Land hat seinen ganz eigenen Weg gesucht, um die Bildungspläne nicht nur auf dem Papier zu belassen, sondern tatsächlich in der Praxis der rund 50.000 KiTas in Deutschland zu verankern.
Folgende Instrumente, die in ganz unterschiedlicher Intensität und Kombination eingesetzt werden, stehen im Mittelpunkt der Implementierungs-Strategien der Länder:


• Erprobungs- / Pilotphasen
• Wissenschaftliche Begleitung / Evaluation
• Einrichtung von Modell- / Konsultations-KiTasKonsultations-KiTas|||||Konsultations-KiTas, initiert vom Niedersächsischen Kultusministerium,  sind Elemente der praxisunterstützenden Weiterbildung und Qualifizierung. Fachkräfte bieten zu einem Schwerpunktthema Beratungsangebote an (z.B. Konsultationen, Workshops, Arbeitsgespräche), um die in der Praxis gemachten Erfahrungen an Interessierte weiterzugeben. Als Vorraussetzung für eine Bewerbung gelten sowohl allgemeingütige wie auch individuelle Kriterien.   oder Kompetenzzentren
• Qualifizierung von MultiplikatorInnen / LeiterInnen / ErzieherInnen
• Verankerung in der Ausbildung
• Handreichungen / Praxismaterialien
• Öffentlichkeitsarbeit und Internet-Plattformen

Die Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte in Bezug auf die Bildungspläne spielt hierbei die wichtigste Rolle. Landesweite Qualifizierungsoffensiven wurden so beispielsweise in Baden-Würtemberg, Bayern oder auch in Hessen gestartet. Mit Hilfe von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds wird dies nun auch in Sachsen-Anhalt möglich.

Insgesamt sind landesweite und flächendeckende Qualifizierungs-Offensiven für die Praxis aber die Ausnahme geblieben. In der Mehrzahl setzen die Länder auf den Schneeballeffekt durch die Fortbildung von MultiplikatorInnen wie FachberaterInnen oder KiTa-LeiterInnen. In Thüringen wurden so 100 MultiplikatorInnen über insgesamt 28 Tage fortgebildet, um den Implementierungsprozess vor Ort in und mit den KiTa-Teams zu begleiten. Parallel wird hier auch noch ein ebenfalls über ESF-Mittel finanzierter Wochenkurs zur externen Qualifizierung von LeiterInnen angeboten.


Rechtlicher Rahmen

Schauen wir uns nach diesen Annäherungen an die Bildungspläne und ihre Umsetzung noch einmal kurz den rechtlichen Rahmen der frühkindlichen Bildung an. In der Bundes-Gesetzgebung findet sich der Bildungsauftrag des Elementarbereichs im Achten Buch Sozialgesetzbuch des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHGKJHG||||| Das Kinder- und Jugendhilfegesetz umfasst die bundesgesetzlichen Regelungen, die die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland betreffen. Das SGBVIII (Achte Buch Sozialgesetzbuch) ist der Artikel 1 des KJHG. Es umfasst ein Angebote- und Leistungsgesetz für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern, welches der früheren Kontroll- und Eingriffsorientierung entgegensteht. Daher steht das Inkrafttreten  (Januar 1991) auch für einen Paradigmenwechsel in der Kinder-und Jugendhilfe. ). In §22 steht so unter der Überschrift „Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege“ in Absatz 3 der zusammenfassende Satz: „Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes.“


Das KJHG bestimmt damit den Rahmen, in dem sich die Länder mit ihrer eigenen Kita-Gesetzgebung bewegen müssen. Die harten und nicht zu hintergehenden Paragraphen zur frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung auf Bundes- und Landesebene werden nun, wie beispielsweise in Niedersachsen durch die Bildungspläne ergänzt. So heißt es im Niedersächsischen Orientierungsplan erläuternd: „Es geht darum, die gesetzlichen Vorgaben in den §§ 2 und 3 [im niedersächsischen Gesetz über Tageseinrichtungen] für Kinder zu konkretisieren und um dort nicht berücksichtigte Aspekte zu erweitern. Der Orientierungsplan dokumentiert den Konsens, der hinsichtlich des Bildungsauftrages existiert und der landesweit den Rahmen für einrichtungsspezifische Konzeptionen abgibt.“


Die Frage der Verbindlichkeit

Hier schließt sich nun die - auch schon in der unterschiedlichen Namensgebung hindurch schimmernde - Kernfrage nach dem normativnormativ|||||Normativ  bedeutet normgebend, somit wird etwas vorgeschrieben, dass Normen, Regeln oder ein „Sollen“ beinhaltet.en Charakter und letztlich auch der Verbindlichkeit der Bildungspläne an.


In der Gesamtschau der 16 Bildungspläne ist mit wenigen Ausnahmen und in graduellen Abstufungen nur ein geringer bis sehr geringer Verbindlichkeitsgrad festzustellen. In der Regel gibt es Vereinbarungen des Landes mit den Trägern, die aber über eine Selbstverpflichtung kaum hinausgehen. Man könnte an dieser Stelle auch von einem entschiedenen „Jein“ der meisten Länder als Antwort auf die Frage nach der Verbindlichkeit ihrer Bildungspläne sprechen. Hinter dieser Unentschlossenheit steckt – Sie haben es längst vermutet – das Geld. Etwas differenzierter ausgedrückt ist es wohl die Angst der Länder vor dem „Konnexitätsprinzip“ – denn dieses verpflichtet den auftragenden Gesetzesgeber als Verursacher für den finanziellen Ausgleich der von ihm aufgetragenen Aufgaben (in diesem Falle ein verstärkter frühkindlicher Bildungsauftrag) zu sorgen. Ganz deutlich wird diese in einem Passus des Niedersächsischen Orientierungsplanes, der von Trägern und ElternvertreterInnen gemeinsam unterzeichnet worden ist: „Es lassen sich aus dem Orientierungsplan weder gegen das Land noch gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die kreisangehörigen Städte und Gemeinden finanzielle Forderungen ableiten. Aufgrund der extrem schwierigen Haushaltslage aller öffentlichen Haushalte müssen die formulierten Ziele schrittweise und ohne finanzielle Mehrbelastung gemeinsam umgesetzt und erreicht werden. Die Stärkung des Bildungsauftrages kann deswegen nur im Rahmen der bestehenden finanziellen Möglichkeiten aller Beteiligten verfolgt werden.“

 

Während in Niedersachsen wie in den meisten anderen Bundesländern der Verbindlichkeitsgrad der Bildungspläne im Hinblick auf mögliche Folgekosten gering gehalten wird, hat Berlin als bisher einziges Bundesland sein Bildungsprogramm verpflichtend eingeführt. Dazu wurde eine „Qualitätsvereinbarung Tageseinrichtung“ (QVTAG) zwischen der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung und den Trägerorganisationen abgeschlossen und mit dem Berliner Kindertagesförderungsgesetz verkoppelt. Die Unterzeichnung der QVTAG ist Voraussetzung für die Zuweisung von Landesmitteln an die Träger und sieht die Überprüfung und Sicherung der vereinbarten Qualität vor. Dazu wurde eigens das „Berliner Institut für Qualitätsentwicklung“ (BeKi) unter Leitung von Dr. Christa Preissing gegründet. Im Zuge dieser Qualitätsvereinbarung und einer Machbarkeitsstudie zu den Rahmenbedingungen konnte in Berlin sogar eine verbesserte Finanzierungsvereinbarung durchgesetzt werden. Eine Schlüsselfunktion nahmen hier, wie die Leiterin des Beki ausführt, die Elternverbände und eine eigens gebildete „Kita-Bürgerinitiative“ mit einer Unterschriftenaktion für ein Volksbegehren ein. Möglich wurde dieses Mut machenden Beispiel aber auch, so Preissing, durch die „intensive Einbindung der Träger und eine intensive politische Lobbyarbeit“.


Gesetzlich gestützt ist die Einführung des Bildungs- und Erziehungsplans zwar auch in Bayern, Schleswig Holstein und Thüringen, aber es fehlt hier an einer tatsächlichen Überprüfung. So heißt es in § 6 des Thüringer Kita-Gesetzes lediglich: „In Umsetzung der im Bildungsplan aufgeführten Ziele und Aufgaben erstellt jede Einrichtung eine für sie verbindliche pädagogische Konzeption, die fortzuschreiben ist. Die Konzeption soll auch Aussagen zur Gestaltung der Zusammenarbeit mit den Schulen sowie mit den Angeboten der Familienbildung und -beratung im Einzugsbereich enthalten.
(4) Die Kindertageseinrichtungen sollen auf der Basis kontinuierlicher Selbstevaluation unter Einbeziehung der Eltern und in Verbindung mit internen Zielvereinbarungen konsequent und systematisch an der Weiterentwicklung der Qualität arbeiten.“

In Baden-Würtemberg musste die zum Kindergartenjahr 2009/2010 angekündigte verbindliche Einführung auf Druck von Gemeinde- und Städtetag kurzfristig ausgesetzt werden. Knack- und Streitpunkt waren hier die für die verpflichtenden Einführung notwendigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen und deren Finanzierung.



Anforderungen an erfolgreiche Reformprozesse


Zum Abschluss des zweitägigen nifbe-Expertenworkshops wurden im Plenum Anforderungen an erfolgreiche Reformprozesse in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung definiert. Grundvoraussetzung, so die einhellige Meinung aller TeilnehmerInnen, sei die Partizipation aller Akteure in diesem Bereich. Daneben seien desweiteren notwendig:


• Eine breite politisch-gesellschaftliche Konsensbildung über Mindeststandards für pädagogisches Handeln und für die Strukturqualität bzw. die Rahmenbedingungen in den Kitas
• Eine Prozess-Steuerung auf allen Entscheidungs- und Fachebenen
• Die Verankerung der Bildungspläne in der Aus-, Fort- und Weiterbildung
• Die Anerkennbarkeit von Aus-, Fort- und Weiterbildung im Rahmen des deutschen und europäischen Qualifikationsrahmens („Durchlässigkeit“)
• Die Sichtbarmachung und historische Kontextualisierung von Veränderungsprozessen
• Orte des Innehaltens, der Reflexion und des länderübergreifenden Austausches schaffen, um Stolpersteine und Erfolgsfaktoren für den Umsetzungsprozess identifizieren zu können


Resümee

In der Zusammenschau fehlt es in fast allen Bundesländern an einer systematischen Steuerung und Begleitung des Prozesses der Implementierung der Bildungspläne über alle beteiligten Ebenen hinweg. Die rechtliche und überprüfbare Verbindlichkeit der Bildungspläne bzw. darauf fußender Qualitätsvereinbarungen sowie eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die KiTa-Praxis sind dabei entscheidende Faktoren. (siehe hierzu auch die Beiträge von Prof. Dr. Ursula Rabe-Kleberg und Prof. Dr. Susanne Viernickel).
Implizit ist mit der Einführung der Bildungspläne eine Annäherung des Elementarbereichs an das mit der Grundschule beginnende öffentliche Bildungssystem vollzogen. Ohne weiteres könnte man an dieser Stelle von einem Paradigmenwechsel sprechen - doch dessen eigentliche Konsequenzen stehen noch aus.