Sexuelle Bildung von Anfang an

Oder warum Sexualität ein elementar-pädagogisch bedeutsames Lernmoment ist

Inhaltsverzeichnis

  1. 1.1 Sexualpädagogik- ein Teilgebiet der Sozialpädagogik
  2. 1.2 Sexualerziehung als Sozialerziehung
  3. 1.3 Von der Sexualaufklärung über die Sexualpädagogik hin zur sexuellen Bildung
  4. 2. Sexuelle Bildungskompetenzen
  5. 2.1 Sexuelle Bildungskompetenzen in einzelnen Handlungsfeldern
  6. 2.2 Sexuelle Bildung & sexuelle Entwicklung in der Kindheit
  7. Sexuelle Entwicklung im Jugendalter
  8. 3. Sexuelle Bildung & Arbeit mit Sorgeberechtigten
  9. 3.1 Der Elternabend
  10. Literatur

Gesamten Beitrag zeigen


2.1 Sexuelle Bildungskompetenzen in einzelnen Handlungsfeldern
Der Anspruch sexueller Bildung ist gekoppelt mit der Idee des lebenslangen Lernens. Hierbei ist die Entwicklung des Einzelnen von essenzieller Bedeutung, da in den verschiedenen Lebensphasen humaner Entwicklung auch verschiedene Entwicklungsaufgaben an das Subjekt gestellt werden. Im Folgenden werden diese für die verschiedenen sozialpädagogischen Handlungsfelder ausbuchstabiert (vgl. Dannenbeck et al. 2002, Havighurst 1953).

Zentralste Aufgabe für die sexuelle Bildung in der Krippe ist, sich für die Beziehungsarbeit Zeit zu nehmen, da in diesem Lebensabschnitt das Urvertrauen entwickelt wird. Von pädagogischen Kräften sind hier vorrangig verlässliche und empathische Kompetenzen gefordert, sowie auch das Spiegeln eines positiven Körperbildes. Dies kann besonders im Kontext des Wickelns entwickelt werden, wenn Kinder merken, dass sich individuelle Zeit für sie genommen wird. Auch das Spüren ihres*seines eigenen Körpers muss Platz eingeräumt werden, was während des Wickelns z.B. verbal durch Reime oder Lieder begleitet werden kann, sodass nicht nur der Sauberkeitsaspekt, sondern auch das Körpergefühl im Vordergrund steht (vgl. Hierholzer 2016: 37f.).

„Aufgabe der Kita ist es, den sexuellen Bildungsprozess der Kinder zu unterstützen und zu begleiten, wie es für alle anderen Bildungsbereiche selbstverständlich ist“ (Hubrig 2014: 56).

Gerade im Kindergartenkontext ist das Fachwissen über psychosexuelle Entwicklungsbedingungen unerlässlicher Bestandteil pädagogischer Professionalität. „Durch Fachwissen können Ängste und Unsicherheiten, die viele pädagogische Fachkräfte gegenüber kindlicher Sexualität und den damit verbundenen Anforderungen in der Kita haben, minimiert oder auch ganz aus dem Weg geräumt werden“ (ebd., S.22).

Das stark ausgebaute Explorationsverhalten von Kindern im Kindergartenalter und die Neugierde auf das andere, ist während dieser Zeit besonders stark ausgeprägt, daher rührt auch die Frage nach Zuordnung zu einem Geschlecht. Fragen nach der eigenen Herkunft, nach dem Menschsein und nach der eigenen Identität gilt es nun gemeinsam ko- Konstruktivistisch zu erkunden (vgl. Wustmann et al. 2021).

Eine sexualfreundliche und klare Sprache ist mit Kindern einzuüben. Dabei muss diese Sprache die Kinder befähigen, sprachfähiger zu werden, sodass sie Ängste äußern oder Fragen stellen können. Auch in Bezug auf Spielzeug liegt es an der pädagogischen Begleitung, inwiefern hier Stereotype bedient und weitere Genderaspekte berücksichtigt werden, ob auch Jungen beim Vater-Mutter-Kind-Spiel die Mutter spielen dürfen oder sich auch keinem Geschlecht zurechnen können.

Darüber hinaus ist die Förderung der eigenen Körperwahrnehmung zentral. Dies beinhaltet die eigenen Gefühle wahrnehmen und ausdrücken zu können. Dabei ist das Aufzeigen der eigenen Intimität sowie der Intimität anderer Menschen bedeutend, um ungewollten Körperkontakt zu vermeiden. Dies gilt nicht nur für Kinder untereinander, sondern auch für das Küsschen Dritter. Hierbei erhält das Nein-Sagen eine tragende Rolle. Pädagogische Fachkräfte müssen Kindern ihre eigenen Grenzen aufzeigen, sodass sie verstehen, dass auch Erwachsene Grenzen haben, sowie auch, dass sie ihre eigenen Grenzen gegenüber Peers und Erwachsenen artikulieren können und sollen (vgl. Hierholzer 2016: 38; Hubrig 2014: 57).

Für den Hort (Sechs- bis Zehnjährige) lässt sich vor allem das Thema Freundschaft in geschlechtsgetrennten Gruppen als zentral herauskristallisieren. Die Fragen, was einen Freund ausmacht und was es bedeutet, ein geschlechtliches Wesen zu sein, sind dabei die zentralen Fragestellungen dieser Altersgruppe. Dieses Thema in Bezug zur Entwicklung und die homogenen Gruppen eignet sich hier, da in dieser Phase die größten körperlichen und psychischen Differenzen zwischen Kindern auftreten (vgl. Hierholzer 2016: 45). Sorgeberechtigte haben mitunter Mühe, sexuelle Bildung als „normales“ Erziehungsthema aufzugreifen und fühlen sich nicht selten überfordert mit einer angemessenen sexuellen Begleitung ihrer Kinder, wodurch der Schule und dem Hort eine bedeutende Rolle in der sexuellen Bildung der Kinder zukommt. „Wenn Kinder auch sexuell mit dem gesamten Weltwissen in Kontakt kommen, brauchen sie eine bildende Begleitung wie für alle anderen Themen der EnkulturationEnkulturation|||||Unter Enkulturation versteht man  das automatische Verinnerlichen und Hereinwachsen in die eigene Kultur. Dies beginnt als Sozialisationsprozess vom neugeborenen Säugling zum kulturell integrierten Erwachsenen. auch“ (Sielert 2015: 170). Da Kinder vor allem Lernen am Modell betreiben, ist es eine essenzielle Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte eine offene Fragekultur zu etablieren, da die Kinder hierdurch lernen, dass auch Sexualität als ein Thema neben anderen besprochen und hinterfragt werden darf.

Aufgrund des offenen Kinder- und Jugendarbeitsfeldes und dessen freiwilliger Struktur bieten sich hier vorrangig projektorientierte partizipative Projekte an. Besonders dem Themenfeld Verhütung kommt nun eine zentrale Bedeutung zu, da nun erste sexuelle Begegnungen bei den Jugendlichen anstehen. „Auch eine Flirtschulung könnte eine angemessene Idee sein, in der die Jugendlichen Fragen stellen können, wie sie am besten in Kontakt mit dem eigenen/anderen Geschlecht treten“ (Hierholzer 2016: 46). Da neben den ersten amourösen Kontakten der Jugendlichen auch deren sexuelle Präferenz nun stärker in den Vordergrund rückt, ist auch die Bearbeitung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt empfehlenswert, die eine dichotome Geschlechtereinteilung und homo- und transnegative Impulse in Frage stellt. Allgemein gesagt gilt es, Normen prinzipiell in Frage zu stellen.


Verwandte Themen und Schlagworte