Partizipation in der Krippe

Partizipation in Kindertagesstätten ist als Thema der Frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung nicht mehr wegzudenken. Hierbei stützt man sich nicht nur auf das Recht der Kinder zur Mitbestimmung, wie z.B in der UN-Kinderrechtskonvention oder im  SGB VIII festgehalten, sondern auch die Bewegungen der Inklusion, einer Pädagogik der Vielfalt, DiversityDiversity|||||Im Deutschen wird der Begriff auch auch als Vielfalt benutzt und meint besonders, dass soziale Vielfalt konstruktiv genutzt wird. Im Diversity Management wird besonders auf eine positive Wertschätzung der individuellen Verschiedenheit eingegangen, um eine produktive Gesamtatmosphäre zu erreichen. oder Demokratiebildung in der KiTa spielen eine wichtige Rolle. Partizipation und Beteiligung werden hierbei als Schlüssel zu Bildungschancen und zur Teilhabe verstanden.

Seit dem bundesweiten Ausbau von Krippenplätzen, ausgelöst durch das Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung.  (KiföG), liegt der Fokus der öffentlichen und elementarpädagogischen Diskussion nun auch vermehrt bei den Kleinen und Kleinsten. Zur qualitativen Entwicklung gehört hier auch das Thema Partizipation in der Krippe, auch wenn es bisher eher mit Kindern zwischen 3 und 10 Jahren in Verbindung gebracht wird. Und in der Tat können bei diesem Thema in der Krippe Fragen auftauchen, die sich als vermeintliche Hemmschwellen entpuppen: Wie soll das noch nicht sprachfähige Kind sich verständigen? Achten Kinder in dem Alter nicht vorrangig auf ihre eigenen Bedürfnisse? Sind dort Abstimmungen wirklich sinnvoll? Diese Fragen sind berechtigt, jedoch muss zur ihrer Beantwortung zuallererst geklärt werden, was unter Partizipation in der Krippe verstanden wird und welche Voraussetzungen dafür gegeben sein sollten.

Das Kind als Individuum mit Rechten verstehen

Grundsätzlich geht es darum, dass Kind als eigenständiges individuelles Subjekt zu betrachten, dass ein Recht darauf hat an Entscheidungen, die es selbst betreffen, beteiligt zu werden. Auch einem Säugling ist mit Respekt zu begegnen und es ist im Alltag ein Zugang zu demokratischen Prozessen  und Teilhabe zu gewähren. Diese Rechte beginnen nicht erst ab 3 Jahren, sondern es liegt an den Fachkräften geeignete Wege zu finden, Jungen und Mädchen schon unter 3  Jahren Möglichkeiten zum Mitbestimmen zu bieten.

Partizipationsformen und -themen können dabei generell unterschiedlich aussehen. Sie sind im Idealfall „zielgruppenorientiert“ an das jeweilige Individuum mit persönlichen Fähigkeiten, Stärken und dem jeweiligen Entwicklungsstand angepasst und an der Lebenswelt des Kindes orientiert (vgl. Hansen 2003). Das Bildungsverständnis bzgl. der Partizipation in der Krippe als auch bzgl. der Partizipation in Kindergärten und Horten ist dabei grundsätzlich konstruktivistisch geprägt. Bildung wird als selbsttätiges Aneignen von neuen (Welt)-Themen  sowie dem neugierigem Nachgehen der eigenen Interessensbereiche verstanden, das jeweils eingebettet ist in soziale Beziehungen.

Das bedeutet: Partizipation muss nicht immer eine „Abstimmung“ im engeren Sinne des Wortes sein, Säuglinge müssen also nicht zwangsläufig einen Klebepunkt für die Auswahl der neuen Raumdekoration oder für das Mittagessen am nächsten Tag vergeben. Aber wie sieht es aus, wenn er oder sie gerade mal nicht auf den Arm möchte? Wenn er oder sie nicht von ErzieherIn XY gewickelt werden möchte sondern lieber von Erzieherin Z? Könnten Säuglinge hier mitentscheiden?

Rüdiger Hansen schlägt 4 grundlegende Eckpfeiler vor (vgl. Hansen 2013), wenn es um die Etablierung von Partizipation in der Krippe geht.  Er stützt sich dabei auf die Erfahrungen mit dem Konzept der „Kinderstube der Demokratie“ (vgl. Hansen/Knauer/Sturzenhecker 2011), in welchem es vorrangig um strukturell verankerte Partizipation in Kindertageseinrichtungen geht.  Demnach gilt es folgende Bereiche im Fachkräfte-Team zu diskutieren und Wege zu finden, sie auszugestalten.



Mögliche Mit- und Selbstbestimmungsbereiche


Mit- oder  Selbstbestimmungsbereiche für Kinder bis Drei ergeben sich aus der täglichen Interaktion mit den Jungen und Mädchen und der Sensibilität der Fachkraft für Fragen wie: „Muss das jetzt wirklich ein Erwachsener entscheiden? Oder ist es vertretbar die Meinung des Kindes zu diesem Aspekt zu akzeptieren?“ So könnte bereits die Frage der Intensität und Dauer der Eingewöhnungszeit mit von dem Bedürfnis des Kindes entschieden werden.

Auch die Themen Schlafen und Wickeln, also die körperlichen Bedürfnisse, können mit Kindern gemeinsam entschieden und gestaltet werden. Dies fordert jedoch nicht nur den dialogischen wertschätzenden  Austausch mit den Müttern und Vätern  (die vielleicht nicht vorrangig Interesse an einem unausgeschlafenen Kind bei Abholung haben), sondern auch die Balance zwischen Fürsorge und Autonomie muss ausgehandelt werden. Wenn ein Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht gewickelt werden möchte, entsteht die Frage, ob das Kind trotzdem gewickelt wird, um den wunden Po zu vermeiden oder ob das Kind die Erfahrung macht, dass die eigenen Entscheidungen akzeptiert werden.

Diese Entscheidung ist nicht immer einfach für Fachkräfte und daher ist es wichtig die Situationen als Prozesse zu verstehen, in welchen man aus Erfahrung lernen kann. Eine fehlerfreundliche Kultur und offene Haltung ist hierbei von Vorteil ebenso wie die Kompetenz Ungewissheit und Unplanbarkeit aushalten zu können.  Zu den möglichen Mitbestimmungsthemen, die sich vorrangig auf den Körper beziehen, kommt auch das Thema der Bewegung hinzu. Wo möchte ich meinen Körper hinbewegen? Wie möchte ich das tun? Dies können Kinder z.B. schon signalisieren, indem sie versuchen ihre Schuhe anzuziehen um rauszugehen oder dass sie sich langsam und träumend bewegen und nicht „husch husch“ noch schnell hochgehoben oder gehetzt werden möchten. Müssen Kinder wirklich die Hand am Treppengeländer haben, wenn sie sich lieber langsam und rutschend ausprobieren möchten? Dies sind nur einige Fragen, die es gilt gründlich unter den FachkollegInnen zu besprechen und konsensfähige Antworten dazu zu finden.

Partizipation bedeutet dabei nicht Regel- und Grenzenlosigkeit. Entschließt ein Team, dass Kinder auf jeden Fall gewickelt werden, wenn sie eine Gefahr für sich oder andere Kinder werden, oder das Mobiliar beschmutzt wird, so ist dies eine transparente Regel und Grenze, die für das Team funktionieren kann.


Wertschätzende Kommunikation


Grundsätzlich fungiert die Fachkraft als sichere und authentische Begleitung in der Exploration der Jungen und Mädchen.  Der Aspekt der wertschätzenden und respektvollen Interaktion und Kommunikation kommt hierbei besondere Wichtigkeit zu, denn Kinder von 0 bis 3 Jahren üben sich noch in der verbalen Kommunikation, signalisieren aber dennoch deutlich ihre Interessen und Entscheidungen auf nonverbaler Ebene. Hier ist die Fachkraft gefragt nicht nur ein sensibles Augenmerkt auf die individuellen Ausdrucksformen der Kinder zu haben (vgl. Malaguzzis „100 Sprachen der Kinder“), sie muss auch ihre eigene nonverbale Kommunikation reflektiert anwenden. Dazu gehört es unter anderem zu erkennen, wenn man z.B. mit Suggestivfragen die Meinung des Kindes versucht zu beeinflussen:  „Bist du sicher, dass du da hoch willst, ist das nicht viel zu gefährlich?“ ist nur ein Beispiel, dass sich hierbei wieder auf den Sicherheitsaspekt bezieht. Auch die eigene Körperhaltung kann dazu beitragen mehr oder weniger wertschätzend wahrgenommen zu werden. Steht die Fachkraft hoch über dem Säugling, streckt die Hände in die Hüfte und kommentiert mit lauter Stimme, so wird dies durchaus anders von Kindern wahrgenommen, als wenn Gespräche tatsächlich auch körperlich „auf Augenhöhe“ stattfinden. Körpergesten wie verkrampfte Schulterhaltung, unentspannte Atmung, gerunzelte Stirn, aber auch Stimmlage oder hektische Bewegungen werden hierbei von Säuglingen als Beobachtungskünstler ihrer Umgebung bereits wahrgenommen und mit Bedeutung belegt.

Nonverbale Kommunikation spielt daher eine zentrale Rolle beim Thema Partizipation in der Krippe. Gesten, Mimiken und Handbewegungen ermöglichen es der Fachkraft und dem Kind in eine soziale Beziehung zu treten und eine Verständigung aufzubauen. Möchte die Fachkraft das Kind hochnehmen, so kann sie dies mit ausgestreckten Händen deutlich machen, das Kind kann das Angebot annehmen oder ablehnen. Ebenso kann das Kind signalisieren, dass es „hoch“ möchte. Das Interesse an Dingen oder an dem, was die Fachkraft sagt, kann das Kind durch Blickkontakt deutlich machen, worauf die Fachkraft wieder etwas erwidern kann. Grundgedanke ist dabei, dass das Kind, obwohl noch nicht verbal sprachfähig, wahrnimmt, dass es mit seinen Ausdrücken, Interessen und Bekundungen von der Beziehungsperson wahrgenommen und akzeptiert wird. Es ist ein Wechselspiel von Reaktionen, Antworten, Fragen, Kommentaren, die dem Kind verdeutlichen dass es gehört wird von seinem Gegenüber und dass tatsächlich ein Dialog zwischen zwei (unterschiedlich großen) Personen stattfindet und kein Monolog der erwachsenen Person. Verabredete Gesten für bestimmte Aktionen oder Gegenstände können den GesprächspartnerInnen dabei helfen sich besser zu verständigen. Handzeichen für Wickeln, Trinken, Essen, Schlafen, aber auch für Tiere oder Spielzeuge sind nicht schwer zu erlernen - man wiederholt sie einfach beiläufig und ohne Druck, wenn immer sich die Aufmerksamkeit darauf lenkt. Hierbei soll es nicht darum gehen dem Kind außerordentlich früh eine Gebärdensprache beibringen zu wollen, sondern darum für nonverbale Gespräche von Erwachsenen und Säuglingen verabredete Hilfen einzuführen, die das gegenseitige Verstehen und Ausdrücken vereinfachen.


Warum Partizipation in der Krippe sinnvoll ist


Partizipation von Kindern ist nicht nur ihr Recht (und wir Erwachsene sind hier in der Bring-Pflicht für  kindgerechte Partizipationsmöglichkeiten), Beteiligung von Kindern bedeutet auch Bildungschancen zu eröffnen, um im eigenen Tempo sich im sozialen Miteinander zu üben, sprachfähig zu werden, eigene Interessen und Meinungen auszuloten und diese ausdrücken zu können. Das Verständnis der Kinder ein Recht auf diese Aspekte zu haben kann zur Entwicklung einer positiven Selbstwirksamkeit führen und, wie Lutz im Kinderreport 2012 herausstellte, auch einen positiven Effekt auf die ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. bildung haben. In der Studie wird ebenso betont, dass durch frühe Beteiligung von Kindern die Vererbung von Armut durch die Resilienzerfahrung und die Entwicklung sozialer Kompetenzen kompensiert werden kann. Auch das eigenständige Lösen von Konflikten kommt den Kindern zu Gute, denn sie können sich bereits früh darin üben Problemsituationen zu erkennen, zu strukturieren und eigene Lösungswege zu finden und zu optimieren. Nach Lutz entwickelten Kinder durch Partizipation eigenständigere und nachhaltigere Konfliktlösungen, gelassenere Reaktionen und eine nachhaltigere und klarere Meinungsbildung.

Auch demokratietheoretisch ist zu begründen, dass die jüngsten BürgerInnen dieser Gesellschaft sich bereits (kindgerecht) in demokratischen Entscheidungen über ihren Alltag üben sollten. Die Institution Kindertageseinrichtung ist für Kinder der erste Ort außerhalb ihrer Familie, an welchem sie erleben wie große und kleine Menschen zusammen ihren Alltag organisieren; sie erleben, wer bestimmen darf, welche Regeln es gibt, wie diese aufgestellt werden und in wieweit die eigenen Interessen und Meinungen eingebracht werden können. In der „Kinderstube der Demokratie“ (vgl. Hansen/Knauer/Sturzenhecker 2011) wird davon ausgegangen, dass diese Lernerfahrung in Bezug auf die Macht – und Entscheidungsstruktur in der KiTa auch wichtig für das spätere demokratisch Handeln in der Gesellschaft ist. Oskar Negt formuliert es so: "Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss." (Negt 7-8/2008). Und dies beginnt nach Knauer nicht erst ab dem 18. Lebensjahr, sondern  bereits in der KiTa. Grundsätzlich ist es auch nicht mit dem Wissen über Recht und demokratische Verfahren getan, denn Demokratie muss selbst erlebt werden um sich darin zu üben und das Recht auf Mitentscheiden zu verinnerlichen.

Partizipation in der Krippe scheint demnach die erste Chance für die jüngsten BürgerInnen dieser Gesellschaft sich kindgerecht und unter der Begleitung von Erwachsenen in Entscheidungen, welche die eigenen Belange betreffen, üben zu können. Gelingensbedingungen für partizipatorisches Handeln in der Krippe beziehen sich hierbei nicht nur auf das Handeln der Fachkräfte, ihr Wissen, ihre Fertigkeiten und Einstellungen, sondern auch die Rahmenbedingungen und die Organisation des Handlungsfeld KiTa spielen eine Rolle und dürfen nicht vernachlässigt werden. 


Literatur:








Zum Weiterlesen:

Partizipation muss gelernt werden
 
 


Drucken