Individuelle Förderung und Selbstkompetenz-Entwicklung

Inhaltsverzeichnis

  1. Potenziale und Kompetenzen
  2. Individuelle (Früh-)Förderung
  3. Ressourcenorientierung
  4. Kultur der Anerkennung
  5. Fazit
  6. Literatur

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Fazit: Professionelle Beziehungen brauchen geeignete strukturelle Rahmenbedingungen


Damit Beziehungen in Institutionen gelingen, bedarf es einer pädagogischen Haltung,4 die auf fundierten Kenntnissen kindlicher Entwicklungsund Bildungsbedingungen basiert und der kontinuierlichen Reflexion unterliegt. Diese Reflexion umfasst sowohl die Dimension der Beziehungsgestaltung als auch das Wissen um das einzelne Kind mit seinen spezifischen Entwicklungs- und Lernbedingungen. Unterstützt wird dies durch entsprechende Formen der kollegialen Zusammenarbeit. Dafür benötigen LehrerInnen und ErzieherInnen einen entsprechenden institutionellen Rahmen, der ihnen Zeit für die Beziehungsgestaltung, die Auswahl und Anwendung der passenden Methoden und Instrumente, Zeit für notwendige Fortbildung und auch für die kollegiale Zusammenarbeit bietet. Auch die ErzieherInnen und LehrerInnen benötigen eine Kultur der Anerkennung.


Beeinflusst wird das pädagogische Handeln durch das Wissen darum, dass sich Kinder unterschiedlich verhalten und unterschiedliche Formen der Ansprache, Unterstützung und Nähe brauchen. In der Elementarpädagogik wird der Beziehungsaufbau unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der Kinder thematisiert. So gibt es beispielsweise ausführliche Eingewöhnungsprogramme, die den Kindern den Übergang von der Familie in die erste Bildungsinstitution erleichtern sollen. Auch in der Schule spielt die LehrerIn-Kind-Beziehung für das pädagogischeHandeln eine wichtige Rolle, aber strukturell besteht die Aufgabe der LehrerIn auch darin, Wissen zu vermitteln und Leistungen zu beurteilen. Die hieraus resultierenden Zwänge stehen einer aus pädagogischer Sicht als notwendig erachteten Beziehungsarbeit oft im Wege. Die einzelne GrundschullehrerIn muss die Erfüllung des Bildungsauftrags mit ihrem Selbstverständnis als PädagogIn vereinbaren.


Als hinderlich für eine Beziehungskultur als Grundlage für eine verbesserte individuelle Förderung werden in unseren Studien sowohl von den AkteurInnen in der Kita als auch von der Grundschule deshalb auch immer wieder die institutionellen Rahmenbedingungen genannt. Die ErzieherInnen klagen beispielsweise über die Gruppengröße oder die geringe Anzahl an Vor- und Nachbereitungsstunden, die zudem mit einer Vielzahl von organisatorischen Aktivitäten gefüllt sind. Von LehrerInnen wird ebenfalls die Klassengröße als Problem genannt. Erstaunlich häufig werden in den Schulen auch die räumlichen Bedingungen als unzureichend erlebt; dadurch sind die Möglichkeiten der Kleingruppenarbeit eingeschränkt und zuweilen ist es der LehrerIn im überfüllten Klassenraum kaum mehr möglich, zu einzelnen Kindern zu gelangen. Hinzu kommt der Auftrag im Rahmen der Schullaufbahnempfehlungen, die Kinder in das dreigliedrige Schulsystem einzuordnen und damit auch zu hierarchisieren. Rahmenbedingungen dieser Art können zum Hemmschuh für individuelle Förderung werden, da sie den Aufbau von echten (professionellen) Beziehungen beeinflussen. Hinzu kommen systemimmanente »institutionelle Verstörungen« (Bönsch 2001: 898), die »hierarchische Beziehungen, die der Echtheit entbehren« (ebd.), schaffen. Beziehungen werden teilweise nur noch sehr formalisiert durchgeführt und erlebt – mit Konsequenzen für PädagogIn und Kind.


Man muss also davon ausgehen, dass die Beziehungskulturen in Kita und Schule extrem von den strukturellen Möglichkeiten der Institutionen geprägt werden. Es muss auch aus diesem Grund dafür gesorgt werden, dass PädagogInnen bei den zahlreichen neuen und zum Teil sehr widersprüchlichen Ansprüchen, die an sie herangetragen werden, von Seiten der Bildungspolitik und der Wissenschaft die größtmögliche Unterstützung und Anerkennung erhalten. Als derartige Widersprüche werden z.B. immer wieder im Bereich der Schule der bildungspolitische Anspruch der Standardisierung auf der einen Seite und der Anspruch der individuellen Förderung auf der anderen Seite genannt. Für Kindertageseinrichtungen erscheint der Ruf nach mehr oder anderer ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   zum Teil als zeitlich uneinlösbar und mitunter überfordernd, was ebenfalls das Beziehungsverhalten schwächen könnte. Fest steht: Aus den aktuell sehr zahlreichen Reformen in beiden Institutionen ergeben sich eine Reihe neuer Anforderungen an eine institutionalisierte (Früh-)Förderung und an die Schule.


Dass es aufgrund der Rahmenbedingungen (wie Zeit und Personal) nicht immer gelingt, die spezifischen Potenziale aller Kinder gleichermaßen aufzudecken und zu berücksichtigen, wird dabei von vielen ErzieherInnen und Lehrkräften selbstkritisch reflektiert. Das Ziel allerdings wird anerkannt.


Bei der Umsetzung des Auftrags verstärkter Wahrnehmung und Förderung individueller Begabungen ist die Beziehungskompetenz ein Schlüsselelement. Sie ist Grundlage für das Erkennen von Begabungen und bei den Kindern Grundlage für die Entwicklung von Selbstvertrauen und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Eines steht nämlich fest: Welche Bildungs- und Erziehungsziele auch immer gesellschaftlich diskutiert und favorisiert werden, welche Methoden und Instrumente man dafür als geeignet empfiehlt – alles muss über die pädagogische Beziehung, das persönliche Verhältnis vermittelt werden. Hierfür gibt es noch keine überzeugende Theorie (vgl. dazu Giesecke 1999): Wie geht man mit der Forderung nach Echtheit und Nähe um bei der gleichzeitigen zeitlichen Begrenztheit des pädagogischen Verhältnisses? Wie viel Emotionalität muss sein und wie viel kann ich aushalten, ohne immer wieder traurig zu sein, wenn ein Kind die Institution verlässt etc.? Ist in der Schule vielleicht aus solchen Gründen sehr selten die Rede von Emotionalität? In welchem Verhältnis muss Emotionalität zu einer ebenfalls notwendigen Distanz stehen? Kurz: Wie muss die pädagogische Beziehung gestaltet werden, damit das große Potenzial, das sie für die Entfaltung sichtbarer und verborgener Begabungen hat, genutzt werden kann? Was muss innerhalb einer gut funktionierenden Beziehung geschehen, wenn begabungsrelevante Kompetenzen gefördert werden sollen? Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.