Inklusion und Chancen-Gerechtigkeit

Diversity und Verschiedenheit in der Elementarpädagogik

Inhaltsverzeichnis

  1. Orientierung an Norm(wert)en
  2. Intersektionalität: Alles wirkt miteinander
  3. Doing difference – institutionalisierte Benachteiligung
  4. Reflexion von Vielfalt
  5. Das Fremde und das Eigene
  6. Literatur

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Das Fremde und das Eigene – das Fremde in mir

Jedes Kind ist in sich vielfältig – so vielfältig die Existenz und Identität unserer Kinder, so vielfältig müssen auch unsere pädagogischen Ansätze sein, um ihnen gerecht werden zu können. Kinder begegnen Neuem zunächst mit Neugier und sind sehr kreativ darin, den Umgang mit Unbekanntem für sich zu lösen. Dies sind wertvolle Ressourcen, gerade für kindliche Entwicklungsprozesse. Im Laufe der Sozialisation tritt diese Neugier bisweilen in den Hintergrund und weicht dem Bedürfnis, die soziale Umwelt durch eine Zuweisung zu Kategorien zu ordnen – klare Zuweisungen geben auch Sicherheit und entlasten im Umgang mit Fremdem jeglicher Art. Kennt man aber sich selbst, das »Eigene«, ist »selbst-kompetent« und in sich sicher, führt »das Fremde« zu weniger Verunsicherung, und wir müssen nicht so sehr zu konstruierten Ordnungssystemen greifen, um Unbekanntes handhabbar zu machen.

Die Reflexion von Differenz-»Ordnungen« ist eine Einladung, sich selbst bewusst in aller Vielfalt kennenzulernen und sich die vielen verschiedenen Dimensionen, die uns innewohnen, und ihr Zusammenspiel, ihre Intersektionalität zu vergegenwärtigen. So kann es besser und zufriedenstellender gelingen, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, Menschen in ihrer Vielfalt wahrzunehmen und ihnen offen gegenüberzutreten.

Wenn wir dem Bildungsziel, die Persönlichkeit, Begabungen und Fähigkeiten wirklich ganzheitlich zu fördern, gerecht werden wollen, müssen wir diese Prozesse stärker in unserer Pädagogik verankern. So bleibt Begegnung mit Kindern, aber auch Menschen insgesamt, immer neu, vielfältig und spannend, weil nichts stagniert, sondern sich im Takt neuer (Lebens-/Bildungs-)Erfahrungen und Begegnungen permanent verändert. Wir sollten von den Kleinen und ihrer Neugier und Offenheit lernen und nicht zulassen, dass »Anderssein« und damit einhergehende Einschränkungen bereits im Kita- Alltag manifestiert werden.

 
Re-Manifestation und Markierungen – brauchen wir neue Begrifflichkeiten?

In der Soziologie wird oft von Manifestierungen gesprochen, wenn es darum geht, die Internalisierung von Konstrukten zu beschreiben. Aber reicht dieser Begriff aus, und beschreibt er tatsächlich stimmig den sozialisationsbedingten Verlauf von Internalisierungsprozessen? Manifestation klingt leicht nach einem einmaligen Ereignis – und prompt sind Stereotype unwiederbringlich einverleibt. Diese Sichtweise vernachlässigt das Prozesshafte von Internalisierungsvorgängen. Insofern scheint der Begriff der »Re-Manifestation« passender: Re-Manifestation suggeriert nicht, dass permanent vermeintlich neue Zuweisungen internalisiert werden, sondern bereits angeeignete Konstrukte von Verschiedenheit erneut bestätigt und erst dadurch kontinuierlich manifestiert werden. Sie werden durch einen sozialisationsgebundenen Wiederholungsprozess zur vermeintlichen Realität – und diese verfestigten Konstrukte können schnell zu Überzeugungen werden, die sich dann in Interaktion und Kommunikation zukünftig deutlich niederschlagen. Mit jeder Interaktion in Bildungs- und Förderprozessen werden diese selbstkonstruierten Realitäten erneut berührt und gestärkt. Gerade in PädagogInnen-Kind-Beziehungen muss man sich deshalb der eigenen blindenFlecken und Diskriminierungsmomente bewusst sein. Unsere eigenen Erfahrungen und Überzeugungen steuern unsere Beziehungs- und Interaktionsangebote – ob wir wollen oder nicht.

Wir bewegen uns hier im Umfeld der »Etikettierung«, dem Einordnen in Schubladen. Ressourcenorientierte Förderung und diversitätssensible Wahrnehmung von Kindern ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg, Begabungen und Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Mit einer unreflektierten Zuweisung zu einer Kategorie – zum Beispiel »Migrantenkind«, »typisch Mädchen/Junge«, »schwul«, »behindert« oder einfach »anders« – heften wir nicht nur ein Etikett an. Wir stecken die Kinder in eine Schublade, die sich eklatant auf ihre gesamte Bildungsbiografie auswirken wird. Das ist mehr als ein umgehängtes Etikett: Wir »markieren« die Kinder fürs Leben. Da dies nicht immer bewusst geschieht, wird hier für einen Begriff der »unbewussten Markierungen« plädiert. Ein Etikett scheint leichter abnehmbar als eine Markierung, die – im wahrsten Sinne des Wortes – durch »alle Poren dringt« und noch stärker ihre Spuren im Inneren hinterlässt. Ein Etikett wird außen angeheftet, eine Markierung trägt man direkt auf der Haut – sie ist näher und berührt tiefer.

Bereits Kinder äußern Vorurteile und werden Opfer von Benachteiligung (vgl. Preissing/Wagner 2003; Boldaz-Hahn 2008, S. 102ff.). Negieren wir diese Tatsachen oder treten wir ihnen nicht deutlich genug entgegen, werden wir dem Bildungsauftrag nicht gerecht. Dabei geht es um Akzeptanz und Wertschätzung – und weg von dem leidigen Begriff der Toleranz. Das lateinische »tolero« heißt wörtlich übersetzt »Ich ertrage« – und wer von uns möchte schon ertragen werden?

 


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