Sprachentwicklung und Sprachbildung im Kindergarten

Inhaltsverzeichnis

  1. Geborgenheit und Resonanz
  2. Empathie und Sprache
  3. Sprachentwicklungsphasen
  4. Haltung der Erzieherin
  5. Dialogrunden und Erlebnisse der Kinder
  6. Nachdenken über das eigene sprachliche Handeln
  7. Literatur

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VIII. Dialogrunden und Erlebnisse der Kinder

Im Alter von vier bis fünf Jahren sind Kinder zu länger anhaltenden Gesprächen fähig, die sich unabhängig vom Handlungskontext auch auf fiktive Zusammenhänge beziehen können. Mit vier Jahren verstehen Kinder auch komplexe Satzkonstruktionen. Wenn Kinder erzählen, dann weben sie auch Wünsche und Fantasien in ihre Erzählungen. Sie brauchen interessierte / neugierige Zuhörer. Sie profitieren in der Interaktion von der Sprache der Erwachsenen. Diese sollten modulierend das Sprechen der Kinder begleiten: Fragen stellen, Äußerungen wiederholen und auch erweitern und auf empathische Weise Korrekturen anbringen.

Kinder brauchen Zeit, eine anregende Umgebung und zugewandte Erzieherinnen. So kann sich eine Sprachkultur entwickeln, die für die beteiligten Personen mit  Freude verbunden ist.

 

Erlebnisse der Kinder

Die folgende Geschichte soll als Beispiel dafür gelten, wie differenziert sich fünfjährige Kinder ausdrücken können, wenn sie die Möglichkeit erhalten, an einem für sie interessanten Thema gemeinsam zu arbeiten. Die Erzieherin hatte im Rahmen einer Dialogrunde nach wichtigen Ereignissen aus dem Leben der Kinder gefragt. Ein Junge erzählte von einem Einbruch, der in der Nachbarschaft geschehen war. Andere Kinder erzählten davon, dass in der Zeitung „Räubergeschichten“ gestanden hätten. Daraus entwickelte sich ein Gespräch, das die Erzieherin mitschrieb. Dabei musste sie immer wieder die Kinder bitten, langsam zu sprechen, damit sie auch alles mitschreiben könne. So ist eine fiktive Geschichte entstanden, an der fünf  Kinder beteiligt waren. Jedes Kind hat daran seinen je eigenen Anteil. Zum Schluss las die Erzieherin das Ergebnis vor. In den folgenden Tagen gestalten die Kinder diese Geschichte immer wieder als Rollenspiel. Sprachbildung ereignet sich im Erzählgeschehen und im Prozess der Rollenspielgestaltung auf vielfältige Art.

Wenn Menschen erzählen, finden sie eine sprachliche Form für das, was sie erlebt haben. Sie sind das Subjekt der Erzählung. Das Ereignis findet an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten statt. Vergangenes wird erinnert, findet in der Sprache eine neue Form, ist nicht nur Abbild sondern Neuschöpfung des Erlebten. Stimmungen, Assoziationen, Emotionen verbinden sich mit dem Erzählten.

 

Beispiel: Eine Räubergeschichte

In der Zeitung und im Internet stand, dass eine unheimliche Räuberbande mit Männern und Frauen durch die Gegend schleicht. Die Diebe haben schwarze Sachen an – ein schwarzes Kostüm. Es waren zwei Männer und zwei Frauen. Die Männer haben schwarze Hüte auf und die Frauen schwarze Mützen.

Jonathan wusste, dass sie sich in der Nähe herumtreiben, aber nicht dass sie es gerade auf sein Haus abgesehen hatten. Jonathan wohnt in einem Bauernhaus mit Reetdach.

Als sie die Tür aufgemacht haben, sie haben die Türklinke abgebrochen und das Türschloss aufgebrochen, war es schon 12 Uhr nachts.

Nachdem sie die Schuhe ausgezogen hatten, schlichen sie die Treppe hoch und machten die Tür auf – mit einem Gerät. Das Gerät sieht ungefähr so aus wie ein Maschinengewehr, aber es hat unten ganz lange spitze Zacken. 

Sie kamen ganz leise herein und wollten nach dem Computer greifen, aber Jonathan hat in letzter Sekunde noch das Telefon aus dem Ständer gerissen und hat die Polizei angerufen: „Polizei, bei mir sind Diebe – die unheimlichste Bande Deutschlands.“

Die Diebesbande ist weggelaufen und hat Jonathans Lieblingsbuch geschnappt, in dem er abends immer liest.

Die Polizei hat sie auf dem Weg in die Räuberhöhle ertappt und hat ihnen das Buch abgenommen. Sie hat ihnen Handschellen angelegt und sie ins Gefängnis geführt.

Die Polizei hat Jonathan, nachdem sie die Diebe eingesperrt hatte – ins Gefängnis - sein Lieblingsbuch zurückgebracht, in dem er abends immer liest, wenn er im Bett liegt.

Jonathans Eltern waren noch in der Stadt. Er hat sie angerufen und ihnen erzählt, dass die gefährlichste Räuberbande Deutschlands bei ihm eingebrochen hat und jetzt im Kerker sitzt und jammert, dass sie Jonathans Computer klauen wollte und jetzt eingesperrt ist.

Die Diebe bereuen, dass sie den Computer klauen wollten und das Buch geklaut haben.

(Beteiligt waren fünf Kinder im Alter von fünf Jahren)

 

Interpretation:

Ausgangspunkt für dieses Beispiel ist die Anregung der Erzieherin. Sie hatte darum gebeten, ein wichtiges Erlebnis zu erzählen. Wenn Kinder erzählen, dann finden sie eine sprachliche Form für ein Ereignis, das sie selbst erlebt oder von dem sie gehört. Sie erzählen dann, wenn das Thema für sie bedeutsam ist. Vergangenes wird erinnert und gegenwärtig dargeboten. Dabei werden unterschiedliche Assoziationen mit einbezogen. Realität und Fiktion werden oft miteinander verknüpft. Damit Erzählen gelingt, braucht es interessierte und aufmerksame Zuhörer. Sie schaffen mit ihrer Aufmerksamkeit den Raum für das freie Erzählen und geben dem erzählenden Kind die Chance, seine eigene Aufmerksamkeit zu erweitern. Der Vorgang des Erzählens ist ein schöpferischer Akt und schafft einen gemeinsamen Erfahrungsraum. In diesen gemeinsam gestalteten Raum fließen die unterschiedlichsten Erfahrungen und Assoziationen ein. So wird aus dem Beginn einer individuellen Erfahrung ein gemeinsam gestaltetes Rollenspiel.

 

Geschichten aus dem Leben der Kinder

Die folgenden Geschichten wurden von der Erzieherin aufgeschrieben. Anregungen waren: „Was hast du erlebt?“ „Gab es ein wichtiges Ereignis in der letzten Woche?“ Wenn die Kinder wissen, dass sich ihre Erzieherin für ihre Erlebnisse interessiert und diese auch aufschreibt, dann äußern sie gelegentlich von sich aus den Wunsch, ein solches Erlebnis zu schildern. Die in den nachfolgenden Beispielen geschilderten Erlebnisse scheinen sehr ähnlich zu sein. Sie unterscheiden sich aber grundlegend. Die Lösung findet sich in dem Nachsatz zum zweiten Beispiel.

 

Beispiel 1: Wie ich mein Seepferdchen bekommen habe

„Erstmal sind wir dann ins kleine Becken gegangen. Da mussten wir uns erstmal wärmen und tauchen. Einmal untertauchen und so winken. Dann haben wir erstmal Schwimmbretter und so Schwimmnudeln bekommen und dann sind wir so Runden geschwommen. Dann, wenn wir erstmal so bereit für alles sind, dann sind wir ins große Wasser gegangen. Ins ganz große, tiefe und breite. Dann sind wir mit Nudeln erstmal hin geschwommen, zum Startblock. Und dann habe ich eine ganze Bahn versucht, die Schwimmbewegungen mit Armen und Beinen zu machen.  Dann sind wir zurück geschwommen, ganz hinten hin, bis zum Tiefen. Dann sind wir wieder ins kleine Becken gegangen. Die Schwimmlehrerin hat gesagt: “Heute haben wir 2 Seepferdchen“ Dann haben sich alle hingesetzt, außer ich und der Junge. Dann haben alle so mit den Füßen geplanscht und dann sind der Junge und ich daran vorbei geschwommen. Und dann hab ich mich auf so eine Nudel gesetzt. Ich hatte die Nudel zwischen meinen Beinen. Dann mussten wir mit den Füßen so strampeln damit wir auch noch hoch und runter kamen. Hoch und runter, hoch und runter. Dann sind wir wieder ins kleine Becken gegangen. Da mussten wir zur tiefsten Stelle gehen und den Ring ins Wasser werfen. Einmal Luft  holen und dann untertauchen und den Ring holen. Danach haben sich alle Kinder an den Beckenrand gesetzt und mit den Füßen gestrampelt und wir sind daran vorbeigeschwommen.“

 

Beispiel 2: Wie ich mein Seepferdchen gemacht habe

„Wir waren im Urlaub in R. Das war zwei Stunden mit dem Auto – aber ich weiß es nicht. Für mich ein bisschen lang.

Ich wollte es einfach mal versuchen, ob ich das Seepferdchen machen kann. Ich hab erstmal im Becken mit Puffärmeln ein bisschen geübt. Ich hab die Frau gefragt, ob ich auch schon Seepferdchen machen darf mit fünf? Die Frau hat „Ja“ gesagt.

Dann bin ich ins Becken gegangen, die Frau ist mitgekommen und Mama und Papa auch. Die Frau hat mir gesagt, was ich machen soll. „Du sollst erstmal zwei Bahnen schwimmen und dann noch mal drei.“ Sie hat mir erstmal alles erklärt. Dann musste ich vom Dreier springen. Dann musste ich den Ring noch vom Boden holen. Dann musste ich untertauchen mit ner Taucherbrille. Die Frau hat mir gesagt, dass ich alles geschafft habe. Und sie hat mir das Seepferdchen im Briefumschlag gegeben.“

 

Erzieherin zur Mutter: „Oh, Jana hat ja schon das Seepferdchen gemacht.“

Mutter:  „Wie? Was? Seepferdchen?“

....

Erzieherin: „Wir legen die Geschichte ins PortfolioPortfolio||||| Ein Portfolio bezeichnet ursprünglich  eine Sammlung von Objekten eines bestimmten Typs. Im  Handlungsfeld frühkindliche Bildung werden Portfolios beispielsweise wie "Ich- .Mappen" für Kinder genutzt um eigene Fortschritte zu dokumentieren. Auch in Studiengängen gibt es Beispiele, wo Portfolios als Prüfungsleistung oder Dokumentation von Entwicklungen zählen können. unter: Ausgedachte Geschichten.“

 



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