Stressfaktoren in der KiTa

Mit Mitteln der Arbeitsorganisation den drei wichtigsten Ursachen entgegenwirken


Eigentlich gibt es nur eine entscheidende Ursache (1) für gestresste pädagogische Fachkräfte in der Kita: Immer, wenn die Fachkraft-Kind-Relation, also die im pädagogischen Alltag in der jeweiligen Situation gegebene Anzahl von Kinder, für die die einzelne Fachkraft Verantwortung trägt, zu schlecht ist, ist die Situation stressgeneigt. »Schlecht« heißt hier: zu viele Kinder pro Fachkraft. »Zu viele« heißt hier: mehr, als die einzelne Fachkraft subjektiv erwartet hat und als angemessen empfindet. Was deutlich werden soll, ist die Tatsache, dass Stress nur schwer objektiv messbar ist, und die gleiche Situation von unterschiedlichen Menschen als stressig oder auch als nicht stressig empfunden werden kann.

Dass Stress krank machen kann, soll hier nicht weiter erörtert und als allgemein akzeptierte These vorausgesetzt werden. Im »Gesundheitsreport 2020 – Arbeitsunfähigkeiten« der Techniker Krankenkasse (TK) wird bestätigt, dass im Vergleich zu anderen Berufsgruppen die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage von pädagogischen Fachkräften in Kitas deutlich höher liegt. Bei allen Versicherten waren es im Jahr 2019 15,4 Arbeitstage, die wegen Arbeitsunfähigkeit versäumt wurden, bei den Frauen in Sozial- und Erziehungsberufen (und um die handelt es sich bei den pädagogischen Fachkräften immer noch zu weit über 90%) waren es 20,7 Arbeitstage.

Werden Erzieherinnen und Erzieher gefragt, was sie im Beruf am meisten stresst, antworten sie regelmäßig, »dass sie unter hohem Zeit- und Arbeitsdruck stehen, da die Gruppengröße als viel zu hoch erlebt wird. Damit geht einher, dass sie wenig Zeit für Vor- und Nachbereitung haben. […] Im Zusammenhang mit der hohen Kinderanzahl in den Gruppen steht auch der Lärm in der Einrichtung. Aufgrund der lauten Umgebung, der sich die Beschäftigten nicht einfach durch den in anderen Berufen verwendeten Gehörschutz entziehen können, kommt es auch zu einer stimmlichen und psychischen Belastung« (Khan 2010; vgl. auch Viernickel/Voss 2013)

Wir untersuchen hier also folgende drei stresserzeugende Faktoren im Kita-Alltag:
  1. zu groß erlebte Gruppengrößen (grundsätzlich eine schlechte Fachkraft-Kind-Relation)
  2. Zeitdruck, zu wenig Zeit für Vor- und Nachbereitung (fehlende mittelbare pädagogische Arbeitszeit) wegen ständiger Anwesenheit in der Kindergruppe
  3. Lärmbelastung durch zu viele Kinder um die Fachkraft herum

1. Zu groß erlebte Gruppen – warum nie alle Fachkräfte da sein können

Die Sicht auf die Belastung der pädagogischen Fachkraft im Jahresverlauf, wie in Abb. 1 gezeigt, findet in der Regel ungeteilte Zustimmung. Es kommt im Arbeitsalltag in der Kita immer wieder zu Zeiten und Situationen, in denen die/der Erzieher/in hoch belastet ist, weil Kollegen und Kolleginnen ausfallen durch Urlaub, Krankheit, Fortbildung oder Überstundenausgleich, die Kinder aber – mehr oder weniger – kontinuierlich anwesend sind. Die Belastungsspitzen sind also gekennzeichnet durch eine Arbeitssituation, in der die/der einzelne Erzieher/in für »viel zu viele« Kinder verantwortlich ist. »Irgendwie« schaffen es Erzieher/innen aber immer wieder, diese Situationen zu meistern, auch wenn die Qualität der Arbeit, die fachlichen Ansprüche und die Gesundheit darunter leiden. Würde allerdings das gesamte Arbeitsjahr über in dieser Form gearbeitet werden müssen, wäre der »Job« nicht lange auszuhalten.

Die Belastung der einzelnen Fachkraft sinkt deutlich durch eine geringere Anzahl an Kindern, für die sie die Verantwortung trägt. »Wenn alle da sind, kommen wir eigentlich ganz gut klar«, ist die verbreitete Aussage hierzu. Wenn alle da sind, haben wir Zeit, mal tief durchzuatmen, endlich weiter mit den Kindern am Projekt zu arbeiten und sich im Team auszutauschen. Die Berg- und Talbahn (siehe Abb. 1) befindet sich also gerade in der Talsohle, das heißt: geringere Arbeitsbelastung.
Aber dass diese »Freude« nicht lange währen wird, weiß jede/r Erzieher/in aus Erfahrung: Nächste Woche geht eine Kollegin für 3 Tage auf eine Fortbildung und die Kollegin in der Nachbargruppe macht so einen angeschlagenen Eindruck… Rasch befindet man sich wieder bei einer Belastungsspitze: denn ausfallende Kollegen und Kolleginnen nehmen leider »ihre« Kinder nicht mit zur Fortbildung oder zu ihrem Hausarzt, sodass die in der Kita verbliebenen Fachkräfte mit »zu vielen« Kindern den Alltag gestalten müssen: Stress!

Alle wollen Kontinuität und Verlässlichkeit
Dabei würden alle am Kita-Geschehen Beteiligten, also Eltern und ihre Kinder, der Träger, aber auch die Fachkräfte am liebsten kontinuierliche, verlässliche Abläufe vorfinden, wie sie durch die mittlere, sanft geschwungene Linie symbolisiert werden sollen (siehe Abb. 1): keine ausgefallenen Projekte, keine Gruppenzusammenlegungen, keine Dienstverschiebungen, kein Auf und Ab in der Arbeitsbelastung, kurz: keine Feuerwehrsituationen. Diese sind nämlich am anstrengendsten und können in ihrer negativen Wirkung auch durch die »ruhigeren« Zeiten nicht wieder ausgeglichen werden.
Abb1Kern des Problems ist, dass ZU VIELE Fachkräfte bei den Kindern sind, wenn alle Fachkräfte anwesend sind (im Belastungstal). Da mindestens ca. 20% der Jahresfachkraftstunden einer Einrichtung wegen Ausfallzeiten und Zeiten für mittelbare pädagogische Arbeit der Kindergruppe nicht zur Verfügung stehen, darf ein Dienstplan gar nicht erst mit 100% der Fachkräfte geplant werden.

Folgende Fakten liegen dem zugrunde: Jeder Kita steht im Jahr eine feste, durch die gesetzlich in jedem Bundesland vorgeschriebene Mindestpersonalausstattung vorgegebene Anzahl an Erzieher/innen-Arbeitsstunden zur Verfügung. Die Anzahl der Kinder, die jeden Tag die Kita besuchen, ist – abgesehen von Ferien- und anderen betreuungsärmeren Zeiten – das Jahr über relativ konstant.

Wenn jetzt im Dienstplan einer Kita – relativ zum übrigen Jahr – über einen bestimmten Zeitraum wenige Kinder mit vielen Fachkräften »vorkommen«, so muss das zur Konsequenz haben, dass auch Zeiten vorkommen, in denen – wiederum relativ zum übrigen Jahr – viel zu viele Kinder mit viel zu wenigen Fachkräften in der Kita sind. Denn jede Fachkraftstunde kann nur einmal »gearbeitet« werden. Danach ist sie »weg«, »verbraucht«. Und für den Rest des Jahres bleiben dann »weniger« Stunden übrig. Wenn aber, wie gesagt, die Anzahl der Kinder relativ konstant ist, kann das Mehr an Fachkraft zum einen Zeitpunkt nur ein Weniger an Fachkraft zu einem späteren Zeitpunkt zur Folge haben.
Hier liegt die Ursache für die Berg- und Talbahn. Die Erzieher/innen, die man einsetzen muss, um in den stressigsten Zeiten für Entlastung sorgen zu können (Spitzen), müssen in den »ruhigeren« Zeiten (Täler) aus dem Dienstplan herausgenommen werden. Nur so kann man sich der kontinuierlicheren Mittellinie nähern (siehe Abb. 2).

Abb2

Insgesamt wird durch diese Herangehensweise kein Kind weniger in der Kita betreut, keine Erzieher/innen-Arbeitsstunde ist vom Träger zusätzlich eingesetzt worden und die »ruhigeren« Zeiten, in denen es die/der Erzieher/in endlich einmal mit einer überschaubaren Anzahl an Kindern zu tun hatte, sind seltener.

Man könnte deshalb auch sagen, die Arbeitsbelastung der einzelnen Fachkraft ist, gemessen an den bisherigen ruhigeren Zeiten, erhöht worden. Das stimmt. Dafür sind aber auch die Belastungsspitzen abgeflacht und der allergrößte Stress ist aus dem Alltag genommen worden. Und das senkt die subjektiv empfundene Arbeitsbelastung erheblich, gleichzeitig erhöht es die Arbeitszufriedenheit und macht, was erst Schritt für Schritt auch von den Arbeitsmedizinern wahrgenommen wird, tatsächlich gesünder.

Es ist also notwendig, die personelle Grundausstattung einer Einrichtung (100% der Fachkräfte) nicht mehr als Normalzustand, als »geträumten« Ausgangspunkt der Planung zu nehmen, sondern maximal realistische (2) 70 bis 75% der Fachkraftstunden täglich einzuplanen, weil sonst immer ein gefühltes Personalstundendefizit herrscht. Es muss ein Bewusstsein darüber geschaffen werden, dass der im jeweiligen Kitagesetz des Bundeslandes formulierte Personalschlüssel lediglich die 100% der Fachkraftstunden definiert, die für die Erteilung der Betriebserlaubnis einer Einrichtung vom Träger vorgehalten werden müssen.

Und dass der Arbeitsalltag in der Kindergruppe geprägt ist von der Fachkraft-Kind-Relation, die zustande kommt durch den Abzug aller Fachkraftstunden, die nicht für die unmittelbare pädagogische Arbeit gedacht sind, sowie durch den Abzug der Anzahl der Kinder, die täglich durchschnittlich nicht in der Einrichtung sind (ca. 10–15%). So wird z.B. aus einem Personalschlüssel im Kindergarten im Land Brandenburg von 1 Fachkraft zu 12 Kindern im Gesetz eine Fachkraft- Kind-Relation von 1:14/15 im täglichen pädagogischen Alltag. Oder aus einem Personalschlüssel im Kindergarten in Baden-Württemberg von 1:7,3 im Gesetz eine Fachkraft-Kind-Relation von 1:10/11.

2. Zeitdruck, wegen ständiger Anwesenheit in der Kindergruppe

Aus dem bisher Gesagtem ergibt sich auch die Lösung für dieses Thema. Ist erstmal klargestellt, dass der pädagogische Alltag mit mehr Kindern pro Fachkraft geplant werden muss, dann muss eine Überprüfung des gesamten Tagesablaufes erfolgen: Ist die Struktur des geplanten Tages mit 4 von 5 im Stellenplan vorgesehenen Fachkräften zu schaffen? Wenn nein, wo können Aktivitäten zusammengefasst, gruppenübergreifend organisiert oder ggf. fallen gelassen werden? (3) Wo kann durch bessere Absprachen und intensivere Kommunikation zwischen den Arbeitsbereichen insgesamt für Entlastung gesorgt werden?

Beispiel gemeinsame Gartenaufsicht: Es wird im Dienstplan festgelegt, dass jeweils ein Arbeitsbereich (Etage, Gruppe etc.) für eine bestimmte Zeit eine Gartenaufsicht stellt, die etliche Kinder aus allen Gruppen beaufsichtigt. Das entlastet die Situation in allen Gruppen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch, weil sich dann in den Räumen nur noch Kinder aufhalten, die die dortigen Möglichkeiten in Ruhe nutzen wollen.
Oder eine gruppenübergreifend organisierte Garderobenaufsicht: In dem Zeitraum, in dem die meisten Kinder auf das Außengelände gehen wollen, wird nach Absprache eine Fachkraft für die Gemeinschaftsgarderobe abgestellt, die Kindern helfen kann, die sich noch nicht allein fertig machen können. Häufig reicht hier eine Fachkraft, um einer ganzen Kindergartenabteilung von z.B. 60 Kindern beim Anziehen zu helfen, mit der entsprechenden Entlastung für alle. Unrealistisch? Nein. In diesem Setting werden die Kinder plötzlich sehr selbständig. Selbst 3-Jährige können sich da den Reißverschluss selbst zumachen, während sie früher passiv darauf warteten, dass ihnen eine erwachsene Person hilft. Warum? Weil es selbständig viel schneller in den Garten geht. Diese auf gruppenübergreifenden Absprachen beruhenden Entlastungen sind dann auch der Schlüssel für die fest im Dienstplan verankerten persönlichen Vor- und Nachbereitungszeiten für jede Fachkraft.

Klar muss sein, dass jede Stunde mittelbarer pädagogischer Arbeit (persönliche VN-Zeit, Kommunikationszeiten mit Eltern, Kleinteam, …) eine Stunde weniger bei den Kindern bedeutet. D.h. auch, dass »ihre/seine« Kinder von einer anderen Fachkraft betreut werden. Eigentlich logisch, aber im Kita-Alltag ist diese Einsicht häufig nicht so einfach herzustellen. Ist diese Einsicht erstmal hergestellt, dann ist die einfachste Lösung, die Wochenarbeitszeit jeder Fachkraft um die Stunden für die persönliche Vor- und Nachbereitungszeit zu verkürzen und den Dienstplan für die Kinder mit den »restlichen« Stunden zu füllen. Gehen wir von 2 Stunden persönlicher VN-Zeit für die Vollzeitkraft aus (4), dann werden aus 39 bzw. 40 Stunden jetzt 37 bzw. 38 Stunden. Wir sprechen also von 5% des Arbeitszeitvolumens. Das häufig geäußerte Argument, mit den um die persönliche VN-Zeit verkürzten Fachkraftstunden wäre ein funktionierender Dienstplan nicht mehr erstellbar, ist angesichts der Tatsache, dass 95% der Fachkraftstunden wie sonst auch verplant werden können, nicht recht überzeugend. Voraussetzung ist ein funktionierendes Team, das sich die Verantwortung für diese »Qualitätsstunden« teilt und sich den Tag über gegenseitig entlastet (s.o.) (vgl. Viernickel/Nentwig-Gesemann et al.).
Auch die andere häufig genutzte Möglichkeit, nämlich die VN-Stunden zusammenzufassen und jeder Fachkraft regelmäßig alle 14 Tage einen halben oder einmal im Monat einen ganzen VN-Tag in den Dienstplan zu schreiben, der dann genauso unantastbar ist wie z.B. Fortbildungstage, erfordert zuerst die Einsicht im Team, dass es normal ist, dass mindestens 20% der stellenplanmäßig vorgesehenen Fachkräfte nicht für das tägliche operative Geschäft zur Verfügung stehen.

3. Lärmbelastung durch zu viele Kinder um die Fachkraft herum

Immer wieder wird in wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt, dass pädagogische Fachkräfte in Kitas einer viel zu hohen Lärmbelastung ausgesetzt sind, die den Körper und die Psyche objektiv stressen. »In einer Untersuchung des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Gesamthochschule Kassel wurden individuelle Lärmbelastungen mit Hilfe eines personenbezogenen Schalldosimeters ermittelt und die Nachhallzeiten gemessen. In fast einem Drittel der untersuchten Einrichtungen wurden Beurteilungspegel von 85 dB(A) gemessen; in vielen anderen Berufen besteht bei einer derartigen Lautstärke die Verpflichtung zum Tragen eines Gehörschutzes. Weitere ca. 60% der Einrichtungen lagen zwischen 80 –85 Dezibel. Da es sich in Kindertagesstätten überwiegend um Kommunikations-und Informationsaufgaben handelt, wird ein Lärmpegel von unter 70 Dezibel empfohlen (Hall/Leppelmeier2015)«.

„Der durchschnittliche Schalldruckpegel bei allen Personenmessungen lag bei 80 dB(A) und der Mittelwert des maximalen Schalldruckpegels lag bei 112 dB(A). […] Ab einem Wert von 64 dB(A) wird die Sprachverständlichkeit beeinflusst. […] Physische und vegetative Reaktionen können ab 70 dB(A) auftreten, da Schallschwingungen auf den Körper weitergeleitet werden. Als typische Reaktionen auf Lärm werden in der Literatur z.B. die Aktivierung des autonomen Nervensystems, die Ausschüttung von Stresshormonen und Änderungen im Herzkreislaufsystem genannt (vgl. Sica 2017)«.

Zur Orientierung:
  • 60 dB(A) entsprechen einer normalen Unterhaltung.
  • 82 dB(A) entsprechen starkem Straßenverkehr in 7 m Entfernung.
  • 115 dB(A) entsprechen dem Geräusch eines Presslufthammers.
Abb3

Zwischen 50 und 90% der pädagogischen Fachkräfte sagen, dass sie persönlich den vorherrschenden hohen Schallpegel als belastend oder stark belastend empfinden (Sica 2017). Die höchsten Lärmbelastungen wurden im Gruppenraum im Freispiel, im Flur/in der Garderobe und bei den gemeinsamen Mahlzeiten sowie in der Abholsituation gemessen.


Lautstärke gehört zum Beruf, da Kinder von Natur aus laut sind? Ja. Aber: Neben bauakustischen Maßnahmen ist mit den Mitteln der Arbeitsorganisation, also der Gestaltung der Abläufe und des sich hieraus ergebenden Personaleinsatzes, wesentlich Abhilfe zu schaffen.
Alle Situationen, in denen der Schallpegel stressige Dimensionen annimmt, zeichnen sich dadurch aus, dass sich eine (wegen des vielfach unzureichenden Personalschlüssels) (zu) große Anzahl an Kindern in derselben Situation befindet:

  • alle über 20 Kinder der Kindergartengruppe spielen im selben (Gruppen-) Raum
  • alle 12 Kinder der Krippengruppe sind zur selben Zeit in der Garderobe
  • alle 22 Kinder fangen im selben Augenblick an zu essen
  • … usw.

Die klassische Frage der Organisationsentwicklung bei der Identifikation einer veränderungswürdigen Situation ist: Muss die Situation überhaupt so sein? Und: Wenn sie sein muss, kann man sie verändern/verbessern?
»Alle Kinder spielen im selben Raum« muss nicht sein. Entscheidend für die Reduzierung des Schallpegels ist die Reduzierung der Anzahl der Personen »am gleichen Ort«. Also ist zu prüfen, ob nicht ein Teil der Kinder zur gleichen Zeit andere Räume nutzen kann: den Mehrzweckraum, die Flure, oder die Waschräume? Die große Mehrheit der Kinder ist auch fähig und verantwortungsbewusst genug, sich außerhalb der direkten »Draufsicht« (5) von Erwachsenen zu bewegen. Gemeinsam ausgehandelte Regeln für das Privileg größerer Selbständigkeit sind Teil eines partizipativ gestalteten Tages in der Kita.
»Alle Kinder sind zur selben Zeit in der Garderobe« kann auch mittels guter Absprachen und Kooperation in Team abgeschafft werden. »Alle Kinder fangen im selben Augenblick an zu essen« kann verändert werden.

Warum sind Mahlzeiten – häufig – das Gegenteil des pädagogisch Erwünschten? Warum sind sie, mit regelmäßig gemessenen über 80 dB(A), nicht der Ort der zugewandten Kommunikation, der gemeinschaftlichen Rituale etc.? Nicht nur, weil zu viele Kinder zur gleichen Zeit das Gleiche machen sollen, sondern auch, weil es in diesen Situationen immer wieder zum sogenannten Raupen-Effekt kommt. Zwingt man Kinder zum Warten und Stillhalten ohne klar nachvollziehbaren Grund, staut sich ihre Energie an und »explodiert«, sobald wieder Bewegung erlaubt ist.

Je jünger die Kinder, desto weniger nachvollziehbar sind ihnen viele Festlegungen im Tagesablauf. Zwar gewöhnen sich Kinder auch an den größten Unsinn, den Erwachsene sich für sie ausdenken, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen (exemplarisch: Corona-Regeln in der Kita…), aber je häufiger pädagogische Fachkräfte sich vornehmen, mit allen Kindern der Gruppe zur gleichen Zeit das Gleiche zu machen, je häufiger am Tag sie die große Anzahl der Kinder versuchen, durch ein »Nadelöhr« zu zwängen, desto stressiger wird der Tag. Falls die Idee eines Kinderesszimmers nicht konsensfähig ist, dann kann das Mittagessen wenigstens so gestaltet werden, dass die Rituale, seien es Tischsprüche weltlicher oder religiöser Art, als erstes, wenn sich die Kinder am Tisch versammelt haben, zelebriert werden. Dann darf jedes Kind, das Essen auf dem Teller hat, anfangen zu essen. Und wenn 5 oder 6 Kinder fertig sind – und sei es nach 5 Minuten – dürfen sie schon aufstehen und sich ruhig anders beschäftigen. So verbleiben am Tisch nur die Kinder, die wirklich essen und sich unterhalten wollen. Deutlich »entstresst«, denke ich.

Fazit

Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Kita-Alltag zu »entstressen« und die Fachkräfte zu entlasten. Ein durchdachter Dienstplan ist natürlich die Grundlage, aber es gibt auch andere Mittel der Arbeitsorganisation, die Abhilfe schaffen können.

Literatur

  • Hall, A./Leppelmeier, I. (2015): Erzieherinnen und Erzieher in der Erwerbsarbeit. Ihre Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und die Folgen. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Wissenschaftliche Diskussionspapiere, Heft-Nr. 161.
  • Khan, A. (2010): Die Gesundheit von Erzieherinnen und Erziehern. Informationen zu Belastungen und Ressourcen. In: Praktische Arbeitsmedizin 2010; Ausgabe 18, S. 11.
  • Sica, L. (2017): Analyse der psychischen Belastung durch Lärm in Kindertageseinrichtungen. Dissertation. Technische Universität Darmstadt.
  • Techniker Krankenkasse (2020): Gesundheitsreport 2020 – Arbeitsunfähigkeiten. Techniker Krankenkasse, Unternehmenszentrale, Hamburg.
  • Viernickel, S./Voss, A. (2013): STEGE – Strukturqualität und Erzieher_innengesundheit in Kindertageseinrichtungen.
  • Viernickel, S./Nentwig-Gesemann, I. et al. (2013): Schlüssel zu guter Bildung. Berlin.
Fußnoten
(1) … neben einem schlechten Arbeitsklima im Team …
(2) »Realistisch« heißt: Aus brutto 100% Fachkraftstunden werden netto, nach Abzug aller Ausfallzeiten und der Zeiten für mittelbare pädagogische Arbeit, ca. 70–75% der Fachkraftstunden. Konkret: Bei einem Team von 10 Fachkräften sind über das Jahr hinweg täglich durchschnittlich zwei Fachkräfte abwesend, manchmal auch eine dritte.
(3) Es ist nicht täglich und in jeder Gruppe für jedes Kind eine von Erwachsenen initiierte Aktivität nötig, damit die Kinder einen erlebnis- und lehrreichen Tag in der Kita erleben können.
(4) So ist es z.B. seit einem Jahr im Freistaat Sachsen gesetzlich vorgeschrieben.
(5) 2. Lehrsatz zum Thema Aufsichtspflicht: »Aufsicht ≠ Draufsicht«.



Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
Kita Aktuell ND, S.  200-203


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