Fachbeiträge

Katholische Kleinkinderziehung von 1800 - 1920

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Anfänge und Entwicklung der katholischen Kleinkindererziehung
  2. 3. Die Stellung der katholischen Kleinkindererziehung gegenüber den Fröbel’schen Kindergärten
  3. 4. Theoretische und praktische Ausrichtung der katholischen Kleinkindererziehung
  4. 4. Zur Ausbildungssituation an katholischen Seminaren
  5. 5. Fazit
  6. Literatur

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Anfänge und Entwicklung der katholischen Kleinkindererziehung


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Kinderbewahranstalt in Plattling (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Innerhalb der katholischen Kleinkindererziehung standen von Anfang an Frauenorden in der Pflicht. Die Klosterschwestern arbeiteten in Kleinkinderbewahranstalten, Krippen, Säuglingsheimen, Krankenhäusern und Spitälern, Armen- und Pfründhäusern, Alten- und Siechenheimen, unterhielten Stationen der ambulanten Kranken- und Siechenpflege, Waisen- und Rettungshäuser sowie Mädchenschulen. In den meisten Fällen oblag auch die Leitung aller genannten karitativen Einrichtungen in den Händen der Klosterschwestern. Unter den weiblichen Ordensgenossenschaften engagierten sich insbesondere die „Schulschwestern“, deren „Hauptarbeitsgebiet Unterricht und Erziehung in Volks- und höheren Mädchenschulen ist... Fast stets haben sie nebenher aber auch Bewahrschulen oder Kindergärten, vereinzelt auch Waisenhäuser errichtet“ (Liese 1914, S. 61 f). Neben den „Schulschwestern“ waren die „Barmherzigen Schwestern“, die allgemein als Hauptträgerinnen kirchlicher Caritas gesehen werden, intensiv in Kleinkinderbewahranstalten tätig.

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Quelle: Ida-Seele-Archiv
Bereits schon vor 1782 hatte der Orden der „Ursulinen zu Straubing“ in ihrem Kloster eine geschlechtsgebundene „Vorbereitungs Schuhl“ für „unfähige Mägdlein von vier und fünf Jahren“ ins Leben gerufen.

Die „Lehr“ bestand u.a. im „Gebeth und Gesang, Unterhaltungen über Gott, Biblische Erzählungen, Übungen des Verstandes und Handarbeiten... Die unfähigen Mägdelein ‚sollen ‚Gott wahrhaft fürchten und die Sünde über alles verabscheuen lernen‘“ (Hergang 2013, S. 25).

Ab Mitte der 1830er Jahre begannen weitere weibliche Ordensgemeinschaften damit, Kleinkinderbewahranstalten ins Leben zu rufen, beispielsweise die „Dillinger Franziskanerinnen“. Am 2. November 1837 nahm der Stadtmagistrat von Dillingen an der Donau das Anerbieten des Klosters, entsprechend der Restaurationsurkunde vom 25. April 1827, eine Einrichtung für kleine Kinder zu eröffnen, mit Dank an und versprach, die geforderten Wünsche der Oberin, Frau M. Theresia Haselmayr, zu erfüllen. Bürgermeister Wieser schrieb an die Oberin:
„Das Anerbieten des Kloster-Konventes, dahier ebenfalls eine Kleinkinder-Bewahranstalt zu errichten, bekundet auf rühmliche Weise den hehren Sinn der Ordensfrauen für eine frühzeitige Bildung und das Gedeihen der zarten Jugend und hat darum die diesseitige Anerkennung nicht verfehlt. Indem man sich in Folge dessen verpflichtet hält, im Namen der Eltern und Vormünder etc. das Wohlgefallen und den vorläufigen Dank hiermit auszusprechen, erklärt sich der Magistrat noch, daß sowohl die zugemutete Herbeischaffung des zur Beheizung erforderlichen Holzes als auch die anzubringende neue Türe nach mitgeteiltem Wunsche sogleich besorgt werden werde“ (zit. n. Schreyer 1980, S. 80).

Die Klosterchronik berichtet wie folgt:

„Den 6. November 1837 hat man die Mauer von der Pforte (d. Klosters) in das Apothekerstübchen eingebrochen, um eine neue Türe einzusetzen, weil dieses Stübchen in Zukunft zu einer Kinderbewahranstalt verwendet wird.
Den 21. November 1837 nahm die Kleinkinderbewahranstalt den Anfang.“ (ebd.).

Dass, wie hier die „Dillinger Franziskanerinnen“, ein Frauenkloster selbst eine Kleinkinderbewahranstalt ins Leben ruft, ist eher eine Seltenheit. In den meisten Fällen wurden die Frauenklöster von Gemeinde-, Stadtverwaltungen, Vereine und Pfarreien angefragt, ob sie Schwestern zur Übernahme der von ihnen gegründeten oder geförderten vorschulischen Institutionen übernehmen könnten. Genannte Träger waren an Klosterfrauen sehr interessiert, kamen diese doch gegenüber dem weltlichen Personal wesentlich billiger. Bald nach ihrer eigenen Kinderbewahranstaltsgründung wurden die „Dillinger Franziskanerinnen“ so auch an andere Orte, vor allem in Bayern, Württemberg und Rheinpfalz, zur Betreuung vorschulpflichtiger Kinder gerufen (vgl. Schreyer 1980). Zum Beispiel hatte der Magistrat der Stadt Volkach 1858 eine Schwester für die hiesige Kinderbewahranstalt angestellt. Am 6. Juli 1895 forderte die damalige Oberin des Dillinger Mutterhauses in einem Brief an das Kgl. Bezirksamt Gerolzhofen, die bezirksamtliche Genehmigung der Einrichtung:


Betr.: Kinderbewahranstalt in Volkach

Die gehorsamste Unterfertigte stellt an das kgl. Bezirksamt Gerolzhofen das Ansuchen um bezirksamtliche Genehmigung der von unseren Schwestern geleiteten Kinderbewahranstalt Volkach. Dieselbe besteht seit dem Jahre 1858 und wurde auf Wunsch und Anregung der Stadtgemeinde Volkach eröffnet. Sie erfreute sich stets einer guten Frequenz mit einer Durchschnittszahl von 70 – 80 Kindern. Diese Anstalt ist Gemeindeanstalt, die auch für die nötige Einrichtung des Lokals und Beschaffung von Spielzeug aufzukommen hat. Gegenwärtig sind für einige Stunden am Tag zwei Schwestern notwendig. Die Anstalt ist das ganze Jahr geöffnet. Die Kinder kommen im Sommer um 7 Uhr morgens, im Winter um 8 Uhr und bleiben bis 11 Uhr; nachmittags kommen sie um 12 Uhr und bleiben im Sommer bis 5 Uhr, im Winter bis 4 Uhr. Hierfür errichtete jedes Kind pro Woche 10 – 15 Pfennig. Für ganz arme Kinder zahlt die Stadt jährlich 100 M.

Um die gnädige Genehmigung dieser Anstalt bittend, zeichnet hochachtungsvollst
ergebenste (M. Angelina Schmid =.S.F. Oberin)“ (Schreyer 1980, S. 411)


1849 wurde auf dem zweiten Deutschen Katholikentag in Breslau die Notwendigkeit von Kleinkinderbewahranstalten hervorgehoben. Demzufolge setzte ein beschleunigter Aufschwung zur Errichtung von katholischen vorschulischen Einrichtungen ein (vgl. Hermanutz 1977, S. 83 ff.), zumal die einzelnen deutschen Staaten ab 1850 die in kirchlicher Trägerschaft stehenden frühkindlichen Institutionen unterstützten:

„Drei Viertel aller bestehenden Einrichtungen im Deutschen Bund wurden in jenem Jahr von kirchlichen Vereinen getragen. In den meisten Fällen waren diese Vereine sogar selbst Gründer der Anstalten gewesen. Der Staat beanspruchte dennoch die Aufsicht und ließ die Kinderbewahranstalten von Schulinspektoren überprüfen“ (Schröder 2014, S. 89).

Die um 1870 festzustellende Stagnation ist auf den "Kulturkampf" in Preußen zurückzuführen, der auch Auswirkungen auf andere Gebiete des Deutschen Reiches hatte. Der Konflikt zwischen Staat und Kirche traf auch schwer die Frauenorden, die inzwischen für zahlreiche Einrichtungen verantwortlich zeichneten (vgl. Krieg 1987, S. 71 ff.). Beispielsweise wurde vom Innenministerium des Großherzogtums Baden folgendes Gesetz erlassen:

"Das Gesetz vom 2. April 1872, die öffentliche Lehrwirksamkeit der Mitglieder eines religiösen Ordens betreffend, ist - wie der Inhalt der vorausgegangenen ständischen Verhandlungen unzweideutig ergibt - auch auf sog. Kleinkinderbewahranstalten zu beziehen. Mitglieder ordensähnlicher religiöser Congregationen - insbesondere barmherzige Schwestern - dürfen deshalb an solchen Anstalten nicht verwendet werden "(zit. n. Joos 1879, S. 178)

Nach Wilhelm Liese, engster Vertrauter und Mitarbeiter des Präsidenten des Caritasverbandes Prälat Lorenz Werthmann, sind die meisten katholischen Anstalten für kleine Kinder "erst seit 1885 entstanden" (Liese 1914, S. 38). Eine von ihm sehr kryptische Zusammenstellung aus dem Jahre 1915 führt für Deutschland „1610 Bewahranstalten und 29 Kindergärten (an; M.B.)... Unter diesen 1639 Tagesheimen für Kleinkinder sind kaum 50 - also etwa 3% - nicht von Ordensschwestern geleitet. Man könnte sonach füglich die Ordensschwestern als die Träger der katholischen Kleinkinderpflege nennen. Sie steht und fällt mit ihnen" (Noppel 1917, S. 184). Zum Beispiel existierten 1913 in Groß-Berlin zehn katholische Kleinkinderbewahranstalten. Im Norden: „Herz Jesu“, Schönhauser Allee 182; „St. Afra“, Graunstraße 31; „Hl. Familie“, Pappelallee 61; „St. Josef“, Wildenowstraße 8. Im Nord-Osten: Kleinkinderbewahranstalt Greifswalder Straße 18; „Corp. Christi“, Thorner Straße 64. Im Nord-Westen: „St. Paulus“, Waldstraße 52; „St. Paulus“, Kruppstraße 8. Im Süden: keine Einrichtung. Im Süd-Osten: „St. Michael“, Michaelkirchplatz 3. Im Süd-Westen: keine Anstalt, ebenso im Osten. Im Westen: „St. Matthias“, Koloniestraße 38 (vgl. Zentrale für private Fürsorge 1913, S. 22 f). Aber auch kleinere Gemeinden und Vereine wünschten sich Ordensfrauen für die Betreuung noch nicht vorschulpflichtiger Kinder. Dabei wurden, wie voranstehend schon vermerkt, die Klosterschwestern auch für weitere sozialen Anliegen verpflichtet, wie nachstehend am Beispiel der Kleinstadt Vohenstrauß in der Oberpfalz deutlich wird:

„Schon am 19. Juli 1898 kam ein Vertrag zwischen der Vorstandschaft des Kinderasyl-Vereins Vohenstrauß und dem General des Ordens der Armen Schulschwestern zustande. In diesem wurde die Übernahme der Leitung der katholischen Mädchenschule und der katholischen Kleinkinderbewahranstalt in Vohenstrauß vereinbart. Der Orden verpflichtete sich hier, zwei vorschriftsmäßig geprüfte Elementarlehrerinnen, eine Handarbeitslehrerin und eine Aufsichtsschwester für die Kindebewahranstalt zu stellen. In den Vereinbarungen heißt es u.a.:

‚Der Kinderasyl-Verein gewährt für jede der anderen obengenannten Schwestern einen Jahresgehalt von 300 Mark. Er liefert an dieselben das für die Beheizung der Unterrichtsräume und für ihren Hausbedarf nötige Brennmaterial, stellt ihnen freie Wohnung im Schulhaus und Nutznießung des daran liegenden Gartens, sowie die erste Hauseinrichtung in nutznießlicher Weise zur Verfügung und übernimmt die Obsorge für die Reinigung der Mädchenschulzimmer.‘
Für ihre Verpflegung hatten die Klosterfrauen selber zu sorgen“ (Heimatkundlicher Arbeitskreis Vohenstrauß e.V. 1998, S. 15 f).

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Nebenstehende Statistik (Stand 1917, Quelle: Leo Hermanutz 1977, S. 83) gibt einen Überblick über die Gründung katholischer Kleinkinderbewahranstalten (die im Gegensatz zur Zentrale für private Fürsorge für Berlin 9 Einrichtungen ausweist).

Daraus wird ersichtlich, dass die Zahl der Einrichtungen für noch nicht vorschulpflichtige Kinder kontinuierlich anstieg, anfangs schleppend, mit zunehmender Jahreszahl rasanter.