„Erzähl doch mal...“ Mutter-Kind Diskurse über die Vergangenheit und die Entwicklung eines autobiographischen Gedächtnisses im kulturellen Kontext
Projektbeschreibung:
Kooperation zwischen der Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur des nifbe und einem Drittmittel-finanzierten (DFG) Forschungsprojekt der Abteilung Entwicklung & Kultur, Universität Osnabrück
Projektleitung:
Projektmitarbeiter:
Kooperationspartner:
- Prof. Nandita Chaudhary (University of Delhi, India)
- Dr. Relindis Dzeaye Yovsi, (Brüssel, Belgien)
- Prof. Dr. Henning Jensen (Universidad de Costa Rica, San José)
- Prof. Dr. Zaira Papaligoura, (Aristotle University of Thessaloniki, Greece)
Hintergrund und Fragestellung
Das autobiographische Gedächtnis beinhaltet persönlich relevante Ereignisse, die langfristig erinnert werden und es trägt maßgeblich zur Bildung des Selbstkonzeptes bei. In Konversationen mit Erwachsenen fangen Kinder an, Erlebtes zu erinnern und ein autobiographisches Selbst zu entwickeln. Je nach kulturellem Kontext gestalten Erwachsene solche Konversationen auf unterschiedliche Art und Weise, da mit dem Erinnern unterschiedliche Sozialisationsziele angestrebt werden. Sowohl der Konversationsstil als auch der inhaltliche Fokus unterscheiden sich zwischen Erwachsenen unterschiedlicher kultureller Kontexte. Mit diesem Projekt möchten wir untersuchen wie Mütter und ihre 3- und 4-Jährigen Kinder aus verschiedenen kulturellen Kontexten gemeinsam die Vergangenheit rekonstruieren.
Untersuchungsdesign
Hierbei wurden Konversationen zwischen Müttern und ihren 3-jährigen Kindern über vergangene Ereignisse in sieben kulturellen Kontexten untersucht. Es wurden zwei Kontexte mit dem Modell der Autonomie einbezogen: formal hoch gebildete, westliche Mittelschicht-Familien aus Athen (N = 12) und Berlin (N = 36), zwei prototypisch relationale Kontexte: formal niedrig gebildete, nicht westliche, ländliche Bauern von den Nso, Kamerun (N = 28) und aus Gujarat, Indien (N = 23) und drei Kontexte mit einem autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.-relationalen kulturellen Modell: formal hoch gebildete, nicht-westliche Mittelschicht aus Delhi (N = 31), San José (N = 19) und städtische Nso, Kamerun (N = 12). Vier der sieben Stichproben wurden longitudinal untersucht. Familien aus Berlin, Delhi und den Nso Kontexten wurden ein Jahr später erneut besucht.
Die Mütter wurden zu beiden Zeitpunkten gebeten zwei vergangene Ereignisse, die nicht länger als vier Wochen zurück lagen auszuwählen und über diese mit ihrem Kind so zu sprechen wie sie es üblicher Weise tun. Alle Konversationen wurden auf Tonband aufgenommen, später transkribiert und anschließend hinsichtlich des Konversationsstils sowie des Inhaltes ausgewertet.
Ergebnisse
Im Folgenden sind zwei Auszüge aus diesen Mutter-Kind Konversationen zu sehen. Der erste Auszug (siehe Beispiel 1) ist von einer Mutter-Kind Dyade eines autonomen Kontextes (Berliner Mittel-Klasse Familie); der zweite Auszug (siehe Beispiel 2) von einer Mutter-Kind Dyade eines bezogenen Kontextes (ländliche Nso Familie).
Beispiel 1: Mutter-Kind Konversation aus Berlin
(autonomer kultureller Kontext):
M: Wo waren wir denn da? Waren wir da auf einem Kinderfest?
K: Ja
M: Und was hast du da gemacht?
K: Kuchen gegessen
M: Und wo bist du denn gehüpft?
K: Trampoli
M: Und wie\\ waren da ganz viele Kinder auf dem Trampolin?
K: Ja
M: Und was haben wir noch gemacht? *** Mit Papa bist du doch noch einmal losgegangen. Und was hast du da geholt? # K: Ja *** M: Diese Luftballons? *** Den Herzchenluftballon? *** Den haben wir ja vergessen!
K: Ja
M: Den haben wir ja vergessen bei Nino.
K: Ja
M: Ja
K: Ja ja EISSSS!
M: Eis haben wir da gegessen?
K: Ja
M: Ja stimmt!
Beispiel 2: Mutter-Kind Konversation bei den Nso
(relationaler kultureller Kontext):
M: Wir sind zum Haus von Mi’s Mutter gegangen und was hat sie dir gegeben?
K: Wer?
M: Mis Mutter. Was hat sie dir gegeben?
K: Puff Puff (etwas zu essen).
M: Setz dich auf den Stuhl. Du bist zum Haus von Sallama gegangen und hast was gehört was sie gemacht haben?
K: mmh?
M: Du bist zum Haus von Sallama gegangen und hast was gehört, das sie gemacht haben?
K: mmh?
M: Du bist zum Haus von Sallama gegangen und hast was gehört, das sie gemacht haben?
K: I habe nicht gehört.
M: Ich sage es eh? Du bist zum Haus von Sallama gegangen und hast was gehört, das sie gemacht haben?
K: Sie…
M: Sie sangen das Lied, dass was?
K: Sie gaben puff puff und du gabst puff puff.
M: Sie gaben puff puff?
K: Du gabst Puff Puff
Wie an diesen Beispielen deutlich wird und die Ergebnisse gezeigt haben, elaborieren Mütter der autonomen Kontexte viel und bestätigten die Beiträge ihres Kindes häufig (elaborativer Stil). Im Gegensatz dazu elaborieren die Mütter der relationalen Kontexte wenig und wiederholen dieselben Fragen wieder und wieder (repetitiver Stil). Der inhaltliche Fokus liegt in dem ersten Beispiel auf dem Kind („Was hast du gemacht?“; Wo bist du gehüpft?“) bzw. auf Objekten (z.B. Luftballon; Eis). In dem zweiten Beispiel liegt der Fokus auf dem sozialen Kontext („Was haben sie gemacht?“). Hierbei wird deutlich, dass die zugrunde liegenden kulturellen Modelle die Gestaltung der Konversationen und folglich auch die Entwicklung des autobiographischen Gedächtnisses beeinflusst. Dies spiegelt die unterschiedlichen Sozialisationsziele der Kontexte wider.
Durch den elaborativen und Kind-fokussierte Konversation wird ein autonomes Selbstkonzept gefördert: die Mutter erinnert eine einzigartige Vergangenheit mit dem Kind, gibt dem Kind viel Rückmeldung über seine Beiträge und fokussiert auf das, was das Kind getan hat. Es stellt sich eine Konversation gleichgestellter Gesprächspartner dar. Im Gegensatz dazu wird durch den repetitiven Stil und den Fokus auf den sozialen Kontext ein bezogenes Selbstkonzept gefördert: die Mutter beharrt darauf, dass das Kind das erinnert, was sie für wichtig erachtet und fokussiert darauf, was andere und nicht das Kind gemacht haben. Dies spiegelt ein hierarchisches Experten-Novizen-Verhältnis zwischen Mutter und Kind wider. Mit diesen unterschiedlichen Konversationsstilen der Mütter geht einher, dass Kinder unterschiedlich viel erinnern und zu der Konversation beitragen. Der elaborierte Stil führt dazu, dass Kinder mehr erinnern als Kinder von Müttern mit dem repetitiven Stil.
Diese unterschiedlichen Erinnerungsstile machen deutlich, dass an Kinder sehr unterschiedliche Erwartungen in Konversationen gestellt werden. Ebenso variiert auf inhaltlicher Ebene die Kindzentriertheit stark. Beispielsweise fällt es Kindern aus relationalen Kontexten wahrscheinlich eher schwer auf offene Fragen, in denen etwas über ihr Verhalten/Empfinden gefragt wird zu antworten.
Implikationen für die Praxis
Im Alltag von Kindergärten und Kindertagesstätten können diese Ergebnisse zu einem besseren Verständnis seitens der Erzieherinnen bezüglich der Kommunikationsweise von Kindern beitragen. Insbesondere im Hinblick auf die wachsende Mulikulturalität in Einrichtungen könnten Kinder unterschiedlicher Herkunft in ihrer Art und Weise zu kommunizieren unterschiedlich gefördert werden.
Projektdetails
Projektart: | Forschungsprojekt |
Träger: | nifbe-Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur |
Straße: | Artilleriestr. 34 |
Ort: | 49069 Osnabrück |