Die Gehirnarchitektur des Menschen und damit auch seine Persönlichkeit werden durch die optischen, emotionalen und kognitiven Abbildungen zwischenmenschlicher Interaktionen geformt. Das die Entwicklung organisierende Prinzip ist die Qualität der frühen Bindungserfahrungen.
Bei Eltern mit unverarbeiteten traumatischen Erfahrungen wie z.B. Vernachlässigung, emotionale Misshandlung, Gewalt und sexueller Missbrauch in den frühen Lebensphasen kommt es zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung ihrer Beziehungsfähigkeit. Hinzu treten Störungen der Affektregulation, der Mentalisierung und der Identitätsbildung. Sie sind daher nicht in der Lage, die Bindungsentwicklung ihrer Kinder durch ein ausreichend einfühlsames und responsives Verhalten zu fördern. Durch ihre Tendenz zu Stress- und Kontaktvermeidung ist ihre Kooperationsfähigkeit mit den Helfersystemen beeinträchtigt.
Anhaltende psychosoziale Mangelerfahrungen in den ersten beiden Lebensjahren führen bei den Kindern zu ängstlichem Rückzug mit stark eingeschränkter Exploration. Die Folgen sind sprachliche, motorische, emotionale und kognitive Entwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome und Auffälligkeiten im Sozialverhalten. Die herausfordernden und dysfunktionalen, aber ebenso entwicklungslogischen Überlebensstrategien der Kinder werden auch in den zuständigen Betreuungs- und Bildungseinrichtungen „reinszeniert“ und können langfristig nur durch ein konsequent bindungssensibles Fürsorgeverhalten der Bezugspersonen verändert werden.
Im ersten Teil des Vortrages werden die Entstehungsbedingungen der traumatischen Störungen im familiären Kontext dargestellt. Im zweiten Teil werden die Prinzipien und Methoden eines bindungskompetenten Umgangs mit den betroffenen Kindern erläutert. Der einvernehmliche Kontakt mit den Eltern kann dabei nur dann über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten werden, wenn es gelingt, den zu erwartenden Irritationen im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle nachhaltig entgegenzuwirken. Eine gute multiinstitutionelle Vernetzung verfolgt das Ziel, die Familien ganzheitlich wahrzunehmen, zu unterstützen und sowohl die Eltern als auch die Kinder zu den entsprechenden Therapien zu motivieren. Videogestützte Methoden können einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Interaktion zwischen den Kindern und den wichtigsten Bezugspersonen leisten.
- Referent: Dr. med. Michael Hipp (Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes Hilden, Kreisgesundheitsamt Mettmann, Mitbegründer des Förderkreises KIPKEL, Prävention für Kinder psychisch kranker Eltern)