Seit die PISA- und OECD-Studien erwiesen haben, dass Bildungschancen im hohen Maße von den sprachlichen Fähigkeiten der Kinder abhängen, ist die Sprachförderung in den Fokus der hiesigen Bildungspolitik gerückt. So gibt es mittlerweile in allen Bundesländern regelmäßige Sprachstands-Erhebungen in den Kindertageseinrichtungen und erhebliche Fördermittel und personelle Ressourcen werden in Sprachfördermaßnahmen investiert.

 

Wie Renate Zimmer in ihrem neuen „Handbuch Sprachförderung durch Bewegung“ jedoch zu bedenken gibt, ist dabei „ein besorgniserregender Trend zur isolierten Förderung der sprachlichen Kompetenzen zu verzeichnen.“ Im Gegensatz dazu plädiert sie dafür, die Sprachförderung in den Kindergartenalltag einzubinden und mit anderen wesentlichen Bildungsbereichen zu verknüpfen. Ausgangspunkt ist für sie dabei immer die Körperlichkeit des Kindes und dessen konkrete sinnliche Erfahrungen.
Die Sport- und Erziehungswissenschaftlerin legt ihrem Konzept einen Bildungsbegriff zu Grunde, der Bildung als soziale Ko-Konstruktion auffasst, also als einen kontextabhängigen sozialen Prozess, an dem Erwachsenen und Kinder gleichermaßen beteiligt sind. Daher kann es ihr zufolge auch nicht darum gehen Kindern bestimmte Sachverhalte isoliert beizubringen. Vielmehr müssten diese aktiv an Lernprozessen beteiligt werden, „indem sie möglichst viel selbständig handeln, entdecken, experimentieren, sich mit allen Sinnen beteiligen können.“

 

Vom Greifen zum Begreifen


In diesem Sinne ist für Renate Zimmer auch der Spracherwerb ein „Lernprozess, der durch die aktive Auseinandersetzung des Kindes mit seiner materialien und sozialen Umwelt geprägt ist.“ Erst komme das körperlich-sinnliche Erkunden einer Sache, dann erfolge erst die sprachliche Begleitung, die zunächst einmal der Vergewisserung und der Bewusstmachung des erlebten Effekts diene. Mit zunehmender Verinnerlichung werde Sprache aber auch zur gedanklichen Vorwegnahme oder zur nachträglichen Reflexion eines Geschehens genutzt – bis die erworbenen Begriffe dann nach und nach eine zunehmend komplexer werdende innere Abbildung der Welt und das abstrakte Denken ermöglichten. So führt der Weg vom sinnlichen Ergreifen und Ertasten der Dinge zum intellektuellen Begreifen und Erfassen.
Im Kita-Alltag kommt es Zimmer zufolge nun darauf an, den Kindern durch situative und bewusst inszenierte Bewegungsangebote auch differenzierte Sprachanlässe zu bieten: „Das Grundanliegen einer bewegungsorientierten Sprachförderung von Kindern sollte darin bestehen, eine anregungsreiche, zur Aktivität und zum Handeln auffordernde Umwelt zu schaffen, in der das Kind seinen Körper, Bewegung, Sprache und Stimme gleichermaßen einsetzen darf, um sich mit sich selbst und anderen auseinandersetzen. Bevorzugtes Mittel ist dabei das Spiel.“
Nach der theoretischen Fundierung und Positionierung ihres Ansatzes fächert Renate Zimmer in der Folge differenziert die verschiedenen Stufen und Bereiche der Sprachentwicklung auseinander und verknüpft sie mit der motorischen Entwicklung. Die zahlreichen Praxisbeispiele zeigen dabei insbesondere auf, wie man die Unterstützung des Spracherwerbs und die gezielte Förderung von Sprachbereichen in den Krippen- und Kita-Alltag integrieren kann und wie ErzieherInnen systematisch sprachanregende (Bewegungs-) Aktivitäten schaffen können – vom Wattekugel-Pusten über Mundgymnastik, Geräusche-Quiz und Detektivtraining bis zu einer Vielzahl von Bewegungs- und Wortspielen. In einem eigenen Kapitel richtet die Sprachdidaktikerin Havva Engin den Fokus zusätzlich auch auf die Sprachförderung bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache.

 

Gelungene Balance zwischen Theorie und Praxis
 

Einmal mehr überzeugt Renate Zimmer auch in ihrem neuen Buch durch die gelungene Balance zwischen fundierter Theorie und konkretem Praxisbezug. Das „Handbuch Sprachförderung durch Bewegung“ ist dabei leicht verständlich und pointiert geschrieben sowie leserfreundlich aufbereitet: So startet jedes Kapitel mit einer knappen Einführung, bevor dann die Vertiefung und Ausdifferenzierung des jeweiligen Themas folgt. In der Marginalien-Spalte springen die zentralen Schlagworte in das Auge und pfiffige Symbole weisen auf wichtige praxisrelevante theoretische Erkenntnisse und praktische Beispiele für den Kita-Alltag hin.
Zusammen gefasst präsentiert Renate Zimmer in ihrem „Handbuch“ das innovative Konzept einer ganzheitlich orientierten und in den Kita-Alltag eingebundenen Sprachförderung mit Hand, Herz und Kopf. Erste von ihr durchgeführte Studien belegen dabei auch schon die Wirksamkeit einer solchen Sprachförderung durch Bewegung – und zwar gerade bei leistungsschwächeren Kindern.

 

Karsten Herrmann
 

  • Renate Zimmer: Handbuch Sprachförderung durch Bewegung. Herder 2009, 220 S., 22,95 Euro.