zimmer dvs 200Was können die Sportwissenschaften zur frühkindlichen Bildung beitragen? Wie kommen ihre neuen Forschungsergebnisse einerseits schnell in der Praxis an und wie werden andererseits Impulse aus der Praxis zum Gegenstand ihrer Forschung? Diese Fragen standen im Fokus einer gemeinsam von der nifbe-Forschungsstelle Bewegung und Psychomotorik, der Universität Osnabrück und der Deutschen Vereinigung der Sportwissenschaft veranstalteten Tagung unter dem Titel „Bewegung in der frühkindlichen Bildung – Interdisziplinäre Ansätze“. Zur Begrüßung unterstrich nifbe-Direktorin Prof. Dr. Renate Zimmer, die das Thema der Bewegung als Motor der frühkindlichen Entwicklung bereits seit den 70er Jahren erforscht und umsetzt, dass die Tagung „einen Akzent setzen und die Sportwissenschaften schon in der frühen Kindheit noch deutlicher sichtbar machen“ solle. Sie warb dabei auch für einen „Schulterschluss mit den ElementarpädagogInnen“.

Forschungszugänge in der Pädagogik der frühen Kindheit

alber dvs 200In seinem Auftaktvortrag zeigte der Elementar- und Inklusionspädagoge Prof. Dr. Timm Albers von der Universität Paderborn unter dem Titel „Bildungsprozesse in der frühen Kindheit verstehen und gestalten“ zentrale Forschungszugänge in der Pädagogik der frühen Kindheit auf. Durch die gesellschaftliche Aufwertung der ersten Jahre und die Anerkennung der KiTa als erstem Bildungsort seien auch die Herausforderungen an pädagogische Fachkräfte und deren weiterer Professionalisierung enorm gestiegen. Ziel der frühpädagogischen Forschung sei so auch die „wissenschaftliche Fundierung und Professionalisierung der KiTa-Praxis im Sinne einer optimalen Entwicklungsbegleitung, -unterstützung und –förderung von Kindern.“ Klassische Forschungstraditionen der Kindheitsforschung seien dabei die entwicklungspsychologische, die soziologische und die elementarpädagogische. Allerdings kritisierte Timm Albers einen Widerspruch zwischen dem Professionalisierungsbedarf und einem Forschungsdefizit.

Interaktions-Prozesse als entscheidender Aspekt

Als zentrale Frage stellte Timm Albers auch das „Verstehen und Gestalten von Interaktionsprozessen zwischen Pädagogischen Fachkräften und den Kindern sowie der Kinder untereinander“ heraus. So habe die längsschnittlich angelegte „EPPE“-Studie ("Effective Preschool and Primary Education") die positiven Effekte einer hohen Interaktionsqualität belegt.  Dazu gehöre auch das „langandauernde gemeinsame Denken“ zwischen Pädagogischen Fachkräften und Kindern sowie „der Versuch ein Problem gemeinsam zu lösen“. Für die Interaktionsqualität sei neben der „Balance zwischen strukturierten Phasen und Freispiel“ und zwischen kind- und erwachseneninitiierten Interaktionen auch die „Planung und Gestaltung einer anregungsreichen Umgebung“ entscheidend. Die Bewegung sei dabei eine „hervorragender Ausgangspunkt für Interaktionen in verschiedensten Bildungsbereichen.“

Bewegung als Ausgangspunkt für Interaktionen

Dieser Aspekt wurde in der Folge von interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en WissenschaftlerInnen verschiedener Hochschulen und Institute ausgeführt. So nahm Prof. Dr. Gorden Sudeck von der Eberhard Karls Universität Tübingen anhand einer empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.en Untersuchung die „Bedingungen der Bewegungsförderung in Kitas“ unter qualitativen und quantitativen Aspekten in den Blick. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie das kindliche Bewegungsverhalten mit den räumlich-materiellen Voraussetzungen der Einrichtungen, mit deren Konzepten (offen / geschlossen) und Einstellungen der ErzieherInnen zusammen hängt. Die Untersuchungsergebnisse machten deutlich, dass insbesondere gut ausgestattete Spiel- und Bewegungsflächen im Außenbereich einer Kita zur Intensität der Bewegungsaktivitäten der Kinder und zu einer Erweiterung der Aktivitätsformen beitrugen.

Daran anknüpfend stellte Prof. Dr. Sergio Ziroli von der Pädagogischen Hochschule Weingarten das Forschungsprojekt PRIMEL (ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   von Fachkräften im Elementarbereich) vor, in dem die Freispielbegleitung und Angebotsgestaltung unter anderem im Bereich Bewegung untersucht wurde. Im Fokus stand dabei sowohl aus psychologisch-pädagogischer als auch fachdidaktischer Sicht die Prozessqualität und ihre Abhängigkeit von verschiedenen Ausbildungsformen sowie den Einstellungen und dem Wissen von Fachkräften in Deutschland und der Schweiz.

Unter dem Aspekt der Gesundheit von Pädagogischen Fachkräften fragte Prof. Dr. Anja Voss von der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, inwiefern die körperliche Aktivität im Kita-Alltag eine Ressource oder eher eine Belastung darstellt. Ausgehend von den berufs- und freizeitbezogenen körperlichen Aktivitäten von Pädagogischen Fachkräften zeigte sie bewegungsbezogene Ressourcen und Belastungsfaktoren sowie Zusammenhänge zwischen Bewegung und Arbeitsfähigkeit auf und stellte ein integriertes Konzept für ein nachhaltiges betriebliches Gesundheitsmanagement in KiTa vor.

Bewegungsorientierte Sprachbildung

Aus der nifbe-Forschungsstelle „Bewegung und Psychomotorik“ stellten Nadine Madeira-Firmino und Stefanie Rieger in innovatives Konzept zur bewegungsorientierten Sprachbildung in der frühen Kindheit vor. Im Rahmen einer empirischen Studie hatten sie untersucht, ob die Sprachentwicklung von zweijährigen Kindern durch eine bewegungsorientierte und alltagsintegrierte Förderung in der Krippe unterstützt werden kann und welchen Einfluss dabei die elterliche Einbindung besitzt. Es wurden Interventionseffekte in verschiedenen Bereichen der sprachlichen Kompetenzen festgestellt und grundsätzlich die Relevanz alltagsintegrierter, in den Handlungskontext eingebundener Angebote sowie die Bedeutsamkeit des „parental involvement“ in den Sprachbildungsprozess unterstrichen. Aufbauend auf den Ergebnissen wird derzeit ein Modellprojekt mit einer intensiven Qualifizierung zur bewegungsorientierten Sprachförderung und langfristigen Begleitung von ErzieherInnen durchgeführt. Dabei wird auch das in der nifbe-Forschungsstelle neu entwickelte BaSiK, ein Verfahren zur begleitenden alltagintegrierten Sprachentwicklungsbeobachtung in KiTas, eingesetzt.

Bewegung als Querschnittsbereich in der KiTa positionieren

Zum Abschluss der Tagung zeigten Dr. Elke Haberer und Dr. Kathrin Rolfes von der Universität Osnabrück die Perspektiven sportwissenschaftlicher Forschung in der frühen Kindheit auf. Eine sportwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Phase der frühen Kindheit sei zwar punktuell erkennbar, aber falle prozentual im Vergleich zu anderen Disziplinen noch gering aus. Zugleich gründeten sich aber – wie exemplarisch im nifbe – Institute, die in diesem Bereich originäre sportwissenschaftliche Forschung auf den Weg bringen. Als Querschnittswissenschaft, so Haberer und Rolfes, biete die Sportwissenschaft Voraussetzungen, die Erkenntnisse ihrer Mutterwissenschaften mit einander in Bezug zu setzen. Damit sei sie „in der Verantwortung, ihre Forschungsaktivitäten im frühkindlichen Bereich auszuweiten und sich hinsichtlich des Stellenwerts von Bewegung im Rahmen der Erziehung, Betreuung und Bildung  in den ersten Lebensjahren zu positionieren.“

Die Vizepräsidentin der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft Frau Prof. Dr. Ina Hunger von der Universität Göttingen beendete die Tagung mit dem Hinweis auf die Bedeutung interdisziplinärer Ansätze in der sportwissenschaftlichen Forschung im Bereich der Frühen Kindheit, die in einem Institut wie dem nifbe und seiner Forschungsstelle Bewegung und Psychomotorik bereits durch die interdisziplinäre Zusammensetzung der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen besonders gut realisiert würden.