Zeigt her eure Stärken: Multiprofessionelle Teams
Was haben ein Märchenerzähler, eine Schneiderin und eine Hebamme gemeinsam? Sie arbeiten in der Kita. Der Quereinstieg ist einerseits eine tolle Ressource, stellt die pädagogischen Teams aber auch vor Herausforderungen. Wie die Zusammenarbeit für alle gelingen kann.O h je“, sagt Lisa und atmet tief durch. „Was machen wir mit einer Schneiderin?“ Die Erzieherin ist skeptisch. „Wir brauchen pädagogische Profis, die uns entlasten.“ Ihre Kollegin Hannah zuckt mit den Schultern. „Warten wir´s ab“, sagt sie, „wir hatten lange eine Hebamme im Team. Du glaubst nicht, wie wichtig sie für uns war.“
Fachkräfte begegnen der Idee multiprofessioneller Teams sehr unterschiedlich. Das hängt mit ihren Vorerfahrungen und mit Vorstellungen darüber zusammen, was multiprofessionelle Teams sein könnten. Diskussionen über Interdisziplinarität, ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden. und Spezialisierung in Kitas sind nicht neu. Seit Jahren schon tragen Kindheitspädagoginnen, Sozialarbeiter, Hebammen und pädagogische Fachkräfte aus der Kinderkrankenpflege, Physiotherapie oder Logopädie dazu bei, den vielfältigen Anforderungen zu begegnen.
Wissen gezielt einsetzen – ein Märchenerzähler und IT-Profi
Tim ist Märchenerzähler, eigentlich IT-Mitarbeiter, und in verschiedenen Kitas unterwegs. „Ich komme einmal im Monat in diese Kita“, sagt er. Viele Kitas nutzen das Wissen und Können nicht pädagogischer Fachkräfte punktuell. Träger und Einrichtung geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich Fachkräfte aus anderen Berufen einbringen können: Lehrkräfte unterstützen beim Übergang in die Schule. Ergotherapeutinnen oder Logopädinnen kommen in die Kita und arbeiten mit Kindern, die Unterstützungsbedarf haben. Auch Theater, Sport, Musik und Naturpädagogik sind Themenfelder, in denen Kitas gerne Vereinskompetenzen nutzen.
Nach wie vor sind Erzieherinnen die mit Abstand größte Gruppe des pädago gischen Personals in Kitas. Gruppen- oder Leitungsverantwortung liegen überwiegend in ihrer Hand. Logopädinnen, Sozialarbeiterinnen oder Sportpädagoginnen – Kitas, die fachfremde Expertise nutzen, tun dies vor allem, um ihr Angebot zu erweitern und um die vielfältigen Aufgaben in hoher Qualität zu erfüllen.
Unter dem Eindruck des Fachkräftemangels zeigt sich die Tendenz zu mehr Differenzierung im Team in einer neuen Perspektive. Die Frage ist, ob die hierarchische Unterordnung berufsähnlicher Qualifikationen sinnvoll und ob es nicht an der Zeit ist, den Katalog auf Fachleute aus pädagogikfernen Branchen, wie Naturwissenschaft und Technik, Handwerk, Kunst und Kultur, zu erweitern.
Fachpolitische Stimmen und Trägerverbände setzen zunehmend auf heterogen zusammengesetzte Teams, die auch pädagogikfremde Berufe einschließen. Als motivierende Begründung führen sie eine der Unterschiedlichkeit der Kinder und Familien entsprechende Entwicklung von Qualität und Vielfalt an. In der Praxis ist diese Entwicklung sehr umstritten: Wie gelingt es, dies nicht als Entwertung des eigenen pädagogischen Berufsstands zu betrachten?
Gemeinsame Verantwortung in multiprofessionellen Teams
Auch wenn es nur wenig empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.e Forschung über die Wirkung von multiprofessionellen Teams in Kitas gibt: Wir wissen aus anderen Branchen ziemlich gut, dass und wie es gelingt, die Potenziale unterschiedlicher Qualifikationen gewinnbringend für alle zu nutzen. Dafür brauchen Kitas zum einen wichtige Entscheidungen von Trägern und zum anderen die Bereitschaft der Teams, sich auf Neues einzulassen.In multiprofessionellen Teams sollen fachfremde und pädagogische Berufsgruppen zu einer gleichwertigen Arbeitsgemeinschaft werden. Gemäß den Vorgaben des Landes und dem Leitbild des Trägers der Einrichtung sind sie arbeitsteilig zuständig für qualitätsvolle und zeitgemäße Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder.
Im Gegensatz zum multiprofessionellen Arbeiten, also dem punktuellen oder sporadischen Zusammenarbeiten von unterschiedlichen Professionen, sind alle Mitarbeitenden im multiprofessionellen Team gleichermaßen für die Ausarbeitung und Umsetzung des pädagogischen Konzepts der Einrichtung verantwortlich.
Die Multiprofessionalität im Team ist kein Selbstläufer. Da die fachlichen Voraussetzungen der verschiedenen Mitarbeitenden sehr unterschiedlich sind, muss das Team seine Gemeinsamkeiten, die es enger zusammenschweißen, auf der strukturellen und auf der persönlichen Ebene absichern.
Auf die Plätze, fertig, los! Alles bereit dank klarem Konzept
Es bedarf eines klaren pädagogischen Konzepts, um die verschiedenen Vorstellungen über kindliche Entwicklung auf einen Nenner zu bringen. Träger und Leitung der Kita brauchen ein Konzept, das nicht nur Ziele, sondern vor allem Handlungsleitlinien enthält. Selbst wenn Erzieherinnen, Sozialpädagogen, Heilpädagoginnen und manchmal auch Therapeuten davon ausgehen, dass sie ähnliche Ziele verfolgen, steckt der Teufel im Detail. Im Teambildungsprozess ist es daher wichtig, die von der Kita-Pädagogik entfernten Qualifikationen und Sichtweisen wahrzunehmen und zu reflektieren.Gleichzeitig ist es wichtig, dass nicht pädagogische Fachkräfte sich schnell anschließen können. Dies gelingt etwa durch ein praxisbegleitendes Mentoring und eine gute individuelle Weiterqualifizierung, um die praktische Bedeutung von Zielsetzungen in der Pädagogik nach-vollziehen zu können. Die Praxis braucht konkrete Aussagen darüber, wie Autonomie für und von Kindern verstanden werden soll.
Klarheit muss auch darüber herrschen, was mit Ressourcen, Unterstützung und Förderung gemeint ist. Sollen wir Kinderhände führen beim Halten von Stift oder Schere? Bieten wir balancierenden Kindern eine haltende Hand? Wie viel Selbstbestimmung ist den Kindern möglich? Wie und wann werden sie ermutigt, Verantwortung zu übernehmen? Anfangs sind die Meinungen dazu meist kontrovers.
Fragen zur Multiprofessionalität
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Netzwerk statt Lückenbüßer – gemeinsam stark
Gelingt es, Kontroversen und andere Perspektiven auf Situationen und Probleme im Zusammenhang zu betrachten und zu reflektieren, sprechen wir von vernetztem Denken. Es entsteht da, wo sich das Team als Netzwerk unterschiedlicher, aber gleichwertiger und gemeinsam verantwortlicher Kolleginnen und Kollegen versteht.In multiprofessionellen Teams wird vernetztes Denken zum interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en Denken, wenn Personen aus pädagogikfernen Branchen als Quereinsteigende dazukommen. Aber nicht nur sie müssen sich einfügen. Auch die traditionell in der Überzahl befindlichen pädagogischen Fachkräfte müssen sich in einer Anerkennungskultur üben, also in Respekt vor den Kompetenzen anderer, und gleichzeitig ein professionelles Selbstverständnis entwickeln: Sie brauchen Wissen über persönliche Kompetenzen.
Dazu gehört, sich mit den unterschiedlichen Vorstellungen in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen. Teams, die das nicht tun, sind für neue Fachkräfte oft eine Herausforderung, weil ihre falschen Erwartungen über ihr handlungspraktisches Wissen und Können nicht korrigiert werden. Wäre Tim, der Märchenerzähler, Teil des kultur- und kontextsensitiven Teams, würde er lernen, dass nicht alle Kinder Geschichten und Märchen mögen.
Im Dialog mit dem Team würde er verstehen, warum und wie die Fachkräfte in dieser Kita sowohl sprachlich als auch inhaltlich auf andere Kulturen und Traditionen eingehen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die neuen Mitarbeitenden im Team bestehende Handlungspraktiken unreflektiert übernehmen. Wer es vermeidet, sich mit der Vielfalt im Team auseinanderzusetzen, verwehrt den fachfremden Teammitgliedern die Ausbildung eines (berufs-)spezifischen Aufgabenprofils und mindert ihre persönlichen und beruflichen Entwicklungschancen. Es ist wichtig, dass die Kita die Neuzugänge nicht als Lückenbüßer wahrnimmt, sondern alles daransetzt, sie gut in das Team einzubinden und ihre Perspektiven zu würdigen.
„Wir brauchen Pädagoginnen, keine Schneiderinnen oder Mechatroniker.“ Aussagen wie diese sind immer wieder zu hören, wenn es um die Frage der Qualität in Kitas geht. Immer wieder werden Befürchtungen laut, dass eine größere Anzahl nicht einschlägig qualifizierter Fachkräfte in der Einrichtung die Prozessqualität schwächt. Eine Studie der Sozialwissenschaftlerin Dörte Weltzien aus dem Jahr 2015 bestätigt dies. Allerdings gilt das vor allem für den Start von fachfremden Teammitgliedern. Sie verfügen anfänglich oft nur über rudimentäres Wissen bezüglich bildungs- und stärkenorientierter Pädagogik. Ihnen fehlen Theorie und vor allem Handlungspraxis für Kindergruppen und vielfach auch Ideen zur Entwicklungsbegleitung in vielfältigen Kompetenzbereichen.
Den Weg für alle Teammitglieder ebnen
Vielfach fühlen sich die fachfremden Personen in einem Dilemma: Sie sind gestandene Fachexpertinnen und Fachexperten, sehen aber wenig Möglichkeiten, ihr Fachwissen im Alltag der Kita einzubringen. Dort wird von ihnen erwartet, dass sie wie Erzieherinnen funktionieren. Zudem merken die nicht pädagogisch Qualifizierten oft, dass sie die Komplexität der Anforderungen in Kitas unterschätzt haben.Sie erleben die Aufgabe als Belastung, was zu abnehmender Motivation und Unzufriedenheit führt. Daher benötigen die Quereinsteigenden insbesondere zu Beginn ihrer Tätigkeit eine intensive und wohlwollende persönliche Begleitung durch die Leitung und immer wieder Gelegenheit, ihre besonderen Kompetenzen im Team einzubringen.
Die Leitung hat in multiprofessionellen Teams eine wichtige Rolle inne. Sie ist verantwortlich dafür, dass Zeit und Raum für die Entwicklung des pädagogischen Konzepts und vor allem für die Qualifizierung der Mitarbeitenden zur Verfügung stehen. Personalentwicklung beinhaltet auch, Einstellungen, Haltungen und Kompetenzen der Mitarbeitenden auf den Prüfstand zu stellen. Eine gute Arbeitsatmosphäre unterstützt das Onboarding von neuen Mitarbeitenden. Ein angenehmes Arbeitsklima zu erhalten, erfordert das Engagement und die Veränderungsbereitschaft des gesamten Teams, nicht nur das der Leitung. Neid, Missgunst, Abwertung oder das Gefühl, nicht genügend beachtet zu werden, sind auch professionell arbeitenden Erwachsenen nicht fremd. Solche Gefühle müssen, analog zu fachlichen Differenzen, diskutiert werden.
Bei sehr großen Unterschieden in Haltung und Denken im Team ist es zum Schutz der Position der Leitung ratsam, externe Unterstützung in die Teambildung einzubinden. Mit den pädagogischen Rahmenverordnungen der Länder vertraute Supervisions- oder Fachberatungspersonen können Kontroversen aus einer neutralen Position begleiten. Gemeinsam mit der Leitung führen sie das Team zu spannenden neuen Sichtweisen und verankern gleichzeitig die Ausweitung der Fachlichkeit in der Einrichtung.
Spezialistinnen und Spezialisten im stark verbundenen Team
Brauchen wir Spezialisten? Natürlich! Einrichtungen mit multiprofessionellen Teams tun gut daran, über Spezialisierung nachzudenken. Jedes Teammitglied möchte mit seinem fachlichen und biografischen Profil gesehen und verstanden werden. Je besser und wertschätzender die Leitungskraft die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden in die Gesamtaufgaben der Einrichtung einbindet, desto eher steigt auch die Arbeitszufriedenheit. Es ist sinnvoll, spezielle Aufgaben in der Einrichtung an fähige Mitarbeitende zu übertragen. Ich denke dabei etwa an Elternberatung, Inklusionsüberwachung, Sprachförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Reparaturwerkstatt oder Buchführung.Dann bleiben dem Team die spezifischen Kompetenzen erhalten und führen weiter zum vernetzten Denken. Die Gefahr besteht allerdings, dass das Team die an Spezialisten oder Spezialistinnen übergebenen Aufgaben als „aus der gemeinsamen Zuständigkeit ausgegliedert“ wahrnimmt. In diesem Fall ist ebenfalls die Leitung gefragt, auf die gemeinsame Verantwortung für die Prozesse in der Einrichtung hinzuweisen.
Gegebenenfalls hilft eine rotierende Verantwortlichkeit für Spezialaufgaben.
Spezialisierung – gepaart mit vernetztem Denken – ist ein guter Weg, um die Vielfalt an Wissen und Können gewinnbringend für die Kinder und ihre Familien zu nutzen. Sie ist eine Chance zur stetigen optimierenden Anpassung der Pädagogik an die wachsende Vielfalt der Aufgaben in der Kita. Die Chancen für multiprofessionelle Teams stehen gut, sowohl für einzelne Kinder als auch für die ganzheitliche Förderung von Kindern und Familien passende Kompetenzen mobilisieren zu können.
LITERATUR
- FRÖHLICH-GILDHOFF, KLAUS; WELTZIEN, DÖRTE; STROHMER, JANINA (2021): Unterstützungspotenziale für multiprofessionelle Teams in Kindertageseinrichtungen. Zentrale Erkenntnisse einer Längsschnittstudie in Baden-Württemberg. Frühe Bildung Jg. 10. Heft 1. Seite 4 bis 15.
- GERSTENBERG, FRAUKE; CLOOS, PETER (2021): Grenzarbeit in multiprofessionellen Teams und interorganisationaler Kooperation. Frühe Bildung Jg. 10. Heft 1. Seite 16 bis 22.
- KOKEMOOR, KLAUS (2019): Inklusive Bildung – multiprofessionelle Teamarbeit zum Erfolg führen. In: Kita aktuell spezial 2019/4. Seite 141 bis 143.
- WELTZIEN, DÖRTE; FRÖHLICH-GILDHOFF, KLAUS; STROHMER, JANINA; TINIUS, CLAUDIA; REUTTER, ANNEGRET (2015): Projekt „Team-Evaluation bezüglich der Arbeitsprozesse und Arbeitszufriedenheit multiprofessioneller Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg“ (Team Baden-Württemberg). https://www.zfkj.de/images/TEAM_BaW%C3%BC_4seiter.pdf
Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung
aus TPS 2-2025, S 12-15
- Zuletzt bearbeitet am: Freitag, 28. Februar 2025 10:03 by Karsten Herrmann