Kindlicher Stress, erwachsenes Wohlbefinden und pädagogische Qualität in Kitas
Zusammen denken, was zusammengehört
Inhaltsverzeichnis
- Entwicklung von Stressreaktionsmustern in der Kindheit
- Mögliche Folgen von belastenden Lebensumständen und Stress auf das kindliche Körper-Geist-System
- Stress ist nicht gleich Stress
- Das Prinzip der Ko-Regulation
- Wie der erwachsene Körperzustand das kindliche Bindungsverhalten beeinflusst
- Kindliches Wohlbefinden als Indikator für pädagogische Qualität
- Selbstfürsorge ist auch Kinderschutz
- Erwachsenes Wohlbefinden als Voraussetzung für pädagogische Qualität
- Fazit
- Quellen
Seite 9 von 11
Erwachsenes Wohlbefinden als Voraussetzung für pädagogische Qualität
Die Gesundheit und das Wohlbefinden von Fachkräften sind kein „nice to have“, sondern die Voraussetzung dafür, dass Kinder sich sicher binden können, sich in einem Zustand relativen Gleichgewichts befinden und damit den Grundstein für Gesundheit, Exploration und Lernen legen können. Selbstfürsorge ist daher nicht nur entscheidend für die eigene Stabilität, sondern auch für die emotionale Sicherheit der Kinder (Scherwath 2021). Es reicht dabei nicht, dass erwachsene Bezugspersonen anwesend sind - entscheidend ist die emotionale Präsenz und die Fähigkeit, die eigenen Emotionen und Gefühle so zu regulieren, dass eine responsive und sensitive Begleitung der Kinder möglich wird. So bekommen Kinder das Gefühl, dass sie mit all ihren Bedürfnissen und Gefühlen da sein dürfen und dass sie gesehen und gehört werden: „Zeig mir, dass du stark genug bist, mich zu halten“ (Kruse 2023: 103).Eine qualitativ hochwertige, auf verlässliche Beziehungen ausgerichtete und an den Bedürfnissen der Kinder orientierte Pädagogik wird erst dann überhaupt möglich. Wenn das Wohlbefinden der Fachkräfte hoch ist, dann steigert dies auch die Qualität der Fachkraft-Kind-Interaktion, die wiederum mehrfach als wesentlicher Faktor der gesamt-pädagogischen Qualität herausgestellt wurde (Schelle et al. 2020). Für die Interaktionsqualität wiederum ist der körperliche, geistige und emotionale Zustand der Fachkraft grundlegend. Hier wird sichtbar, wie das Wohlbefinden der Fachkräfte, die Interaktionsqualität und die pädagogische Qualität zusammenhängen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit formuliert daher in ihrem Positionspapier zum strategisch-konzeptionellen Vorgehen bei der Etablierung „Gesundheitsförderung in Kitas“, dass es deutlich stärker als bisher auch um die Gesundheit der Fachkräfte gehen sollte – und zwar nicht nur, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder zu steigern, sondern als „wichtiger Baustein eines gesundheitsförderlichen Gesamtkonzeptes und einer Anerkennungskultur sowie als essenzielle pädagogische Qualitätskomponente“ (BAG-BEK e.V. 2021: 4, Hervorhebung der Autorin).
Um sensibel und responsiv auf kindliches Verhalten zu reagieren, müssen sich pädagogische Fachkräfte in einem eigenen – zumindest genügend – sicheren, ruhigen Zustand befinden. Dieser Zustand verändert sich natürlich im Laufe des Tages bei Bedarf in Richtung Anspannung, um gerade vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen den pädagogischen Alltag zu bewältigen. Auch hier geht es nicht darum, dauerhaft in einem Zustand von Entspannung und Ruhe zu sein, sondern von Allostase flexibel in Homöostase zurückzufinden. Dass dies zurzeit häufig nicht möglich ist, zeigt sich sowohl in der zum Teil besorgniserregenden gesundheitlichen Situation von Fachkräften, als auch in den vermehrt berichteten bindungsabsichernden Verhaltensweisen der Kinder. Es bedarf also nicht nur einer guten Selbstwahrnehmung und hohen Reflektionsfähigkeit der Fachkräfte, um den eigenen körperlichen, geistigen und emotionalen Zustand zu erkennen und bei Bedarf bewusst zu beeinflussen. Es bedarf auch Methoden und Techniken der Selbstregulation und ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. förderung um sich selbst in einen guten körperlichen, geistigen und emotionalen Zustand zu versetzen und damit unreflektierte Verhaltensweisen zu minimieren. In der Aus- und Fortbildung von Fachkräften spielen solche Kompetenzen noch eine untergeordnete Rolle. Zudem darf die Verantwortung für Selbst- und Ko-Regulation nicht nur beim Individuum – hier der pädagogischen Fachkraft – liegen. Sie arbeitet in einem System, das es häufig schwer bis unmöglich macht, fürsorglich mit sich selbst zu sein, physisch und psychisch stabil zu bleiben und die eigene Resilienz zu stärken. Auch wenn es hier um wichtige individuelle Kompetenzen geht, dürfen die Verhältnisse, in denen sie entweder möglich oder unmöglich umzusetzen sind, nicht aus den Augen verloren werden. Politik und Träger dürfen sich hier ihrer Verantwortung, für ausreichende Rahmenbedingungen zu sorgen, nicht entziehen da ansonsten eintritt, was Jacob Schmidt treffend formuliert: „Die Stabilisierung unseres Selbst stabilisiert den gesellschaftlichen Kontext, der uns zu einer Stabilisierung erst nötigte.“ (Schmidt 2024:113). Hier schließt sich ein bildungspolitischer DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. an, der unter gemeinsamen Anstrengungen aller Akteur*innen ein Ziel haben sollte: Kitas zu Orten zu machen, in denen sich Kinder und Fachkräfte wohlfühlen.
- Zuletzt bearbeitet am: Donnerstag, 26. September 2024 09:01 by Karsten Herrmann