Kulturelle und religiöse Vielfalt

Eine pädagogische Chance in Kindertageseinrichtungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Kultur und Religion – große Begriffe, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen
  2. Früh für kulturelle und religiöse Vielfalt sensibilisieren
  3. Pädagogische Zugänge einer kultur- und religionssensiblen Bildung
  4. Ausblick
  5. LITERATUR

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Früh für kulturelle und religiöse Vielfalt sensibilisieren

Perspektiven aus Politik, Pädagogik und Entwicklungspsychologie
Im aktuellen wissenschaftlichen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  werden die Themen kulturelle und religiöse Vielfalt als elementar bedeutsame Inhalte diskutiert, die für Kindertageseinrichtungen gleichzeitig Herausforderungen und Chancen mit sich bringen (vgl. z.B. Edelbrock, Biesinger, Schweitzer 2012). Die Tatsache, dass Kinder unterschiedlicher Kulturen und Religionen gemeinsam in der Lebens- und Bildungswelt Kindertagesstätte zusammenfinden und verschiedene religiöse und weltanschauliche Vorstellungen in die Einrichtung tragen, wird auch in der gegenwärtigen politischen Diskussion intensiv thematisiert. Der Anteil muslimischer Kinder und Integrations- bzw. Inklusionsmöglichkeiten durch Kindertageseinrichtungen stehen hier häufig im Zentrum des Interesses: „Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten sollte möglichst frühzeitig beginnen und kann dementsprechend den Anfang der Demokratieerziehung darstellen“ (Ter Avest & Siebren 2008, S. 67).

Kultur und Religion werden in diesem Kontext in einer wechselseitigen Beziehung gesehen und als wichtige Komponenten frühkindlicher Bildung diskutiert. Grundsätzlich ist dabei zu bedenken, dass Kinder bereits zu einem sehr frühen Zeitprunkt damit beginnen, eigene Vorstellungswelten zu konstruieren, Überzeugungen zu entwickeln und Kompetenzen zu erwerben: „Bildung beginnt mit der Geburt – schon der Säugling ist aktiv und kommunikativ. Er erblickt das Licht der Welt mit einer Fülle von Strukturen und Kompetenzen, die es ihm erlauben, von Anfang an aktiv zu seiner Umwelt Beziehungen aufzunehmen“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2014, S. 23).

Kinder konstruieren zu einem sehr frühen Zeitpunkt kulturelle und religiöse Vorstellungen und Überzeugungen: Sie nehmen bestimmte Orte, Feste und Traditionen wahr, entwickeln Wertvorstellungen, machen sich Gedanken zum Thema Endlichkeit und Unendlichkeit und können häufig auch ganz persönliche Gottesvorstellungen und -bilder konstruieren. Diese Konstruktionen entwickeln sich nicht innerhalb starrer Entwicklungsmuster, die Kinder auf die ersten und einfachsten Entwicklungsstufen festlegen.

Vielmehr sind Kinder – bereits in sehr frühem Alter – fähig, Kompetenzen zu entwickeln, die auf komplexe Reflexions- und Aushandlungsprozesse aufbauen. Die Betrachtung des Kindes als eine Art unfertiger Erwachsener, als Mensch, der sich in aufeinanderfolgenden Stufen entwickeln muss, ist kritisch zu hinterfragen und wird im aktuellen entwicklungspsychologischen Diskurs so nicht mehr unterstutzt. Im Horizont der kognitionspsychologischen Diskussion werden beispielsweise Säuglingen und Kleinkindern höhere Kompetenzen zugeschrieben als dies bei Piagets Stufentheorie ursprünglich der Fall ist (vgl. Kruger & Grunert 2002, S. 18).

Dabei muss auch im Kontext kultureller und religiöser Kompetenz in der frühen Bildung ein stufenförmiger Verlauf der Kompetenzentwicklung generell hinterfragt werden: „Die Bestätigung eines tendenziell kontinuierlichen Entwicklungsverlaufes kann nicht geleistet werden. (...) Hierarchische Stufeneinteilungen des religiösen Entwicklungsverlaufs, wie sie von Oser & Gmunder und Fowler vorgelegt wurden, gilt es daher unbedingt weiter zu entwickeln“ (Eckerle 2002, S. 67).

Eine sensible Annahme und bewusste Initiierung von Themen, die sich mit religiöser und weltanschaulicher Vielfalt beschäftigen, kann kindliche Kompetenzen in diesen Bereichen also bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt fordern: Kinder können Kompetenzen in bestimmten Bereichen (Domänen) entwickeln, wenn diese Bereiche auch eine gezielte Forderung erfahren (vgl. z.B. Rothgangel 2009, S. 103). Diese Forderung kann zum einen von den vielfältigen Vorstellungen und Erfahrungen der Kinder in der Einrichtung ausgehen und diese zum Thema machen, zum anderen können die Themen Kultur und Religion aber auch bewusst initiiert werden.

Für den Umgang mit kultureller und religiöser Vielfalt bedeutet dies, dass kindliche Vorstellungen, Erfahrungen und Fragen ganz bewusst aufzunehmen und gemeinsam zu entwickeln sind und die kulturelle und religiöse Vielfalt in der Einrichtung gezielt zum Thema gemacht wird. Auf diese Weise können Kinder mit ihren persönlichen Vorstellungen und Überzeugungen ganz individuell wahrgenommen und als eigenständige Konstrukteure ernstgenommen werden (vgl. Fthenakis 2009, S. 8-13). „Für das Zusammenleben in unserer pluralistischen Gesellschaft ist es von großer Bedeutung, dass Kinder schon im Vorschulalter lernen, religiöse und kulturelle Unterschiede wahrzunehmen, ein Bewusstsein der eigenen religiösen und kulturellen Zugehörigkeit zu entwickeln und sich mit anderen zu verständigen“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2009, S. 22).

Das Bemühen um gegenseitiges Verständnis sowie Schutz und Forderung sozialer Gerechtigkeit und Freiheit stellen grundlegende Werte unserer Gesellschaft und des christlichen Glaubens dar, die es in Kooperation mit anderen zu fordern gilt. Die frühkindliche Pädagogik hat somit in einer frühen Erziehungs- und Bildungssituation die Möglichkeit und die Pflicht, Konflikte zu entschärfen, Vorurteile abzubauen und ehrliches, wechselseitiges Verständnis zu fordern. Die Lernwelt Kindertagesstatte kann die Entwicklung kultureller und religiöser Kompetenz in besonderer Weise fordern, indem sie die faktische PluralitätPluralität|||||Pluralität bezeichnet die Koexistenz von Vielfalt. In der heutigen Gesellschaft bedeutet das, dass es häufig  vielfältige, individuelle  Interessen und Lebensstile, Bildungswege, Familienkonstellationen etc. in der Gesellschaft geben kann. annimmt und zum Gegenstand des Miteinanders macht.



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