Friedenspädagogik in der Kita

– Möglichkeiten und Grenzen einer Verbindung mit dem Anti-Bias-Ansatz

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorstellung des Anti-Bias-Ansatzes und der Friedenspädagogik
  2. Möglichkeiten und Grenzen einer Verbindung beider Ansätze
  3. Fazit
  4. Literaturverzeichnis

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Vorstellung des Anti-Bias-Ansatzes und der Friedenspädagogik

In diesem Kapitel wird eine Gegenüberstellung des Anti-Bias-Ansatzes und der Friedenspädagogik vorgestellt. Dabei kann es im Rahmen dieser Arbeit nicht um eine kritische Auseinandersetzung beider Ansätze gehen. Stattdessen werden wesentliche Grundzüge aufgezeigt und miteinander verglichen.

2.1 Definitionen
Der Anti-Bias-Ansatz setzt sich mit Schieflagen („bias“) in der Gesellschaft auseinander. Damit sind insbesondere Ungerechtigkeiten, die Minderheiten der Gesellschaft erleben, gemeint. Im Anti-Bias-Ansatz geht es darum, diese „Schieflagen zu beseitigen und ein Gleichgewicht herzustellen, allen Mitgliedern der Gesellschaft gleiche Teilhabemöglichkeiten zu geben (...).“ (Gramelt 2010, S.196, Auslassung L.V.).

Demgegenüber beschäftigt sich die Friedenspädagogik mit Frieden, Gerechtigkeit und Krieg. Sie will Kriege reduzieren,

„(...) Gewalt in Familie, Gesellschaft und Politik reduzieren, die Wahrnehmung von Konflikten als Chance für positive Veränderungen fördern und schließlich Visionen des Friedens und der Solidarität zwischen den Menschen weltweit, gleich welcher Ethnie, Religion, Geschlecht, kultureller oder sozialer Herkunft entwickeln und deren Umsetzung fördern.“ (Berghof Foundation 2012, S.51, Auslassung L.V.).

Friedenspädagogik hat als Aufgabe die Theoriebildung und Erforschung von Frieden und Konflikt, sowie die Vermittlung dieser Themen und die Entwicklung praktischer Modelle und Konzepte (vgl. Hoffmann 2005, S.2). Ansätze und Konzepte von Friedenspädagogik sind zum einen die Friedenserziehung, die Bildung für Nachhaltigkeit und zum anderen Globales Lernen und Menschenrechtserziehung (vgl. Hoffmann 2005, S.1). Diese Konzepte unterscheiden sich nicht nur begrifflich, sondern auch bezüglich ihrer Ausgangspunkte, ihrer Kernthemen und ihrer Historie. Dennoch „(...) verfolgen [sie] alle eine ganzheitliche Sichtweise und sehen ihr Hauptziel in der Verwirklichung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit in der Welt.“ (Hoffmann 2005, S.36, Hinzufügung & Auslassung L.V.) Sie weisen außerdem dieselbe Vorgehensweise auf: Wissensvermittlung, Kompetenzerwerb und persönliches Engagement. Diese Konzepte sind nicht für den Elementarbereich konzipiert. Hier fehlt ein entsprechendes Konzept, deswegen orientiert sich die Gegenüberstellung beider Ansätze an den Ideen der Friedenserziehung, da der Anti-Bias-Ansatz gezielt um den Aspekt des Friedens erweitert werden soll (weitere Literatur für Friedenserziehung: Gugel/Jäger 1999). Aus diesem Grund wird im Folgenden von Friedenspädagogik als Ansatz gesprochen.

2.2 Geschichte
Der Anti-Bias-Ansatz wurde Mitte der 1980er Jahre in Kalifornien von einer Gruppe von KleinkindpädagogInnen unter der Leitung von Louise Derman-Sparks entwickelt. Ihre Forschungsschwerpunkte lagen in der Interkulturellen Pädagogik und Bildung in der frühen Kindheit. Im Anti-Bias-Ansatz wird beides miteinander verbunden (vgl. Gramelt 2010, S.101). Es dauerte zwei Jahre bis daraus ein tragfähiges Curriculum entstehen konnte, das einen konzeptionellen Handlungsrahmen für Bildungseinrichtungen bieten soll (vgl. Gramelt 2010, S.101).

Die historische Entwicklung der Friedenspädagogik zeichnet sich über Jahrhunderte hinweg mit vielen verschiedenen Friedens-Bewegungen aus; deshalb gehen die Autorinnen im Folgenden nur auf einige, in diesem Zusammenhang bedeutende Vertreter ein.

Ein wichtiger Vertreter war Johan Amos Comenius (1592-1670), der sich gegen Krieg und für den Dialog aussprach und einen Vorschlag für die Gründung von Friedensinstitutionen machte (vgl. Hoffmann 2005, S.2). Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966) setzte sich über 200 Jahre später für eine Kultur des Friedens ein (vgl. Hoffmann 2005, S.3). 1918 taucht in der dritten Auflage seines Buches „Staatsbürgerliche Erziehung“ erstmals der Begriff Friedenspädagogik auf (vgl. Hoffmann 2005, S.2). In den 1960er Jahren wird Frieden als politisches „Problem“ gesehen (vgl. Hoffmann 2005, S.3). Es entwickelt sich ein kritischer Blick auf Frieden, der strukturelle Gewalt in Gesellschaften aufdecken möchte. 1983 formuliert die KultusministerkonferenzKultusministerkonferenz|||||Die KMK  ist die ständige Konferenz der Länder in der BRD, wurde 1948 gegründet und ging aus der "Konferenz der deutschen Erziehungsminister" hervor. Sie basiert auf dem freiwilligen Zusammenschluss der zuständigen Minister/Senatoren der Länder für Bildung, Erziehung und Forschung. Da nach dem Grundgesetzt und sog." Kulturhoheit der Länder" die Zuständigkeiten für das Bildungswesen bei den einzelnen Ländern liegt, behandelt die KMK Angelegenheiten von  überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer "gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung, sowie der Vertretung gemeinsamer Anliegen".  erste Empfehlungen zur Friedenserziehung (vgl. Hoffmann 2005, S.4).

2.3 Ziele
Im Anti-Bias-Ansatz sollen Stereotypisierungen und Vorurteile thematisiert und das Augenmerk auf Diskriminierung gerichtet werden. Den Praktikern soll es möglich sein, sich aktiv gegen besagte Missstände aufzulehnen (vgl. Gramelt 2010, S.102). „Auf diese Weise trägt der Anti-Bias-Ansatz dazu bei, Kindern und Jugendlichen Partizipations- und damit Bildungsmöglichkeiten einzuräumen und erhöht somit die Chancengleichheit.“ (Gramelt 2010, S.224).

Das Ziel der Friedenspädagogik lässt sich in drei Teilziele untergliedern:
  1. Vermittlung von Friedenskompetenz,
  2. Anleitung zur Erlangung von Friedensfähigkeit,
  3. Anleitung zum Friedenshandeln.

1. Mit Vermittlung von Friedenskompetenz ist die Aneignung von Wissen über die Entstehung und Eskalation von Konflikten, über Gewalt und Krieg, Deeskalationsmöglichkeiten und friedliche Streitschlichtung gemeint. Friedenspädagogik bietet verschiedene Möglichkeiten, um über den Aspekt "Krieg" nachzudenken und zu diskutieren. Allerdings ist kritisch zu prüfen, ob Kinder im Alter zwischen null und sechs Jahren mit dieser Thematik möglicherweise überfordert sind. Deshalb wird die gezielte Thematisierung von Krieg in der pädagogischen Arbeit der Kita im Folgenden nicht explizit behandelt. Falls das Interesse der Kinder in diese Richtung gehen sollte – beispielsweise vor dem Hintergrund von Fluchterfahrungen einzelner Kinder – bedarf es aber einer kindgerechten Auseinandersetzung mit diesem Thema. Die Vermittlung von Kenntnissen über Strukturen und Arten von Gewalt und die Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander sind ebenfalls Teil der Friedenskompetenz, sowie Zusammenhänge begreifen, Entwicklungen einordnen und selbstständige Analysen und Strategien zur Auseinandersetzung mit Konflikten und Gewalt entwickeln zu können (vgl. Gugel/Jäger 1999, S.1). Ergänzend soll hier noch das Entwickeln eines Friedensverständnisses aufgeführt werden (vgl. Berghof Foundation 2012, S.31).

2. Für die Erlangung einer Friedensfähigkeit ist das eigene Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein fundamental. Diese sind Grundlagen, um konstruktiv mit Konflikten umzugehen. Des Weiteren geht es hierbei um die Vermittlung sozialer Kompetenzen, wie Kommunikationsfähigkeit, Verhalten in Gruppen, demokratisches Handeln und Toleranz (vgl. Gugel/Jäger 1999, S.1).

3. Mit Anleitung zum Friedenshandeln soll bezweckt werden, „Menschen zu ermutigen und zu befähigen, selbständig Wege zum Frieden zu erkennen und zu entwickeln, um den Friedensprozess mitgestalten zu können.“ (Jäger 2006, S.539).

Zusammenfassend werden hier wesentliche Ziele der Friedenspädagogik in Schlüsselbegriffen auf den Punkt gebracht: Chancengleichheit, Partizipation, Vermittlung von Werten auf Grundlage der Menschenrechte, Analyse von Situationen in Bezug auf Frieden und Krieg, Schutzverantwortung, Abbau von Stereotypen und Vorurteilen, Konfliktfähigkeit, Engagement in praktischer Arbeit für Frieden (vgl. Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung zit. nach ev. Luth. Landeskirche Sachsens 2013, S.5).

2.4 Der Blick auf die Kinder
Der Anti-Bias-Ansatz richtet den Blick zunächst auf die Kinder. Sie sollen in ihrer Identität und Persönlichkeit „akzeptiert, anerkannt und wertgeschätzt“ (Gramelt 2010, S.59) und von Beginn an in ihrer Entwicklung unterstützt werden. Dazu gehört, die eigenen Verstehens- und Deutungsmuster sowie die der Umwelt zu reflektieren (vgl. Gramelt 2010, S.103).

In der Arbeit mit Kindern verfolgt der Anti-Bias-Ansatz vier wesentliche Ziele. Das erste Ziel bezieht sich auf die Entwicklung eines positiven Selbstbildes und einer sicheren Identität der Kinder. Letztere kann sich nur im Dialog mit der Umwelt durch Informationen, Bilder, Erfahrungen, Alltagssituationen entwickeln. Es gilt, die Identität eines jedes Menschen zu würdigen (vgl. Gramelt 2010, S.103;127). Ein positives Selbstbild entfaltet sich durch eine positive Rückmeldung zu sich selbst als Individuum und zu seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bezugsgruppe. Es ist daher wichtig, „Kinder darin zu unterstützen, eine positive Identität unabhängig von Gefühlen der Unter- oder Überlegenheit gegenüber anderen Kindern zu entwickeln.“ (Gramelt 2010, S.104).

Die Friedenspädagogik beruht auf der „Annahme, dass der Mensch friedensfähig ist und dass man Friedensfähigkeit vermitteln und erlernen kann“ (Hoffmann 2005, S.5f.). Ein Ziel friedenspädagogischer Arbeit ist es deshalb, das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl der Menschen zu stärken. „Indem das Individuum sich selbst annimmt, kann es auch auf andere zugehen, Kompromisse eingehen und friedliche Lösungsmöglichkeiten finden.“ (Hoffmann 2005, S.6).

In der Friedenspädagogik sollen Menschen außerdem dazu befähigt werden, für sich selbst, für die eigene Existenz und ihr eigenes Glück einzustehen (vgl. Gugel 2010, S.11). Dies soll mithilfe des Empowerment-Ansatzes geschehen.

„Empowerment kann als Ziel, Methode, Strategie und Prozess begriffen und diskutiert werden. Der Kern von Empowerment bezieht sich auf das Individuum: es geht darum Menschen zu befähigen ihre eigenen Interessen wahrzunehmen und auszudrücken.“ (Berghof Foundation 2012, S.18).

Die Friedenspädagogik nimmt folglich – ebenso wie der Anti-Bias-Ansatz – zunächst den einzelnen Menschen in den Blick.

Das zweite Ziel des Anti-Bias-Ansatzes soll es dem Kind ermöglichen, einen respektvollen Umgang mit Vielfalt zu erlernen. Das bedeutet, den Kindern Heterogenität präsent zu machen. Dies soll stets in einem empathischen Miteinander geschehen (vgl. Gramelt 2010, S.126f.). Durch die Thematisierung von Heterogenität lernen die Kinder bestehende Bilder und Vorurteile kennen. Ziel ist es, die „Kinder davor zu bewahren, solche Vorurteile überhaupt erst aufzubauen (...)“ (Gramelt 2010, S.106, Auslassung L.V.).

Vertreter der Friedenspädagogik nennen als Voraussetzung für Friedenskompetenz die Wahrnehmung und Wertschätzung von Heterogenität.

„Achtung vor der Würde eines anderen Menschen ist ein grundlegender Wert. Wer diese aufbringt, ist in der Lage, auch andere Werte für sich zu schaffen. Achtung heißt, den anderen so zu respektieren wie er ist, mit seinen Vorzügen, aber auch mit seinen Schwächen und Fehlern und ihm eigene Rechte und Bedürfnisse zuzugestehen.“ (Müller et.al. 2010, S.13).

Dies geht mit einer Wahrnehmung anderer Denk- und Lebensformen sowie einem respektvollen Umgang mit diesen einher (vgl. Müller et al. 2010, S.13). Ferner soll eine personale Kompetenz entwickelt werden, die es ermöglicht, die Komplexität von Problemlagen zu erfassen und zu reflektieren (vgl. Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 2013., S.7). Es wird deutlich, dass sowohl der Anti-Bias-Ansatz als auch die Friedenspädagogik auf eine Wahrnehmung und Achtung der Heterogenität hinarbeiten und einen respektvollen und empathischen Umgang wünschen.

Ein drittes Ziel des Anti-Bias-Ansatzes ist das Erkennen von Ungerechtigkeiten. Hierfür sollen Alltagssituationen thematisiert werden, in denen ausgrenzendes Verhalten stattfindet (vgl. Gramelt 2010, S.107). Dadurch werden die Kinder befähigt, kritisch über Vorurteile, Einseitigkeit und Diskriminierung nachzudenken. Außerdem sollen Erfahrungen mit Ungerechtigkeit sprachlich geäußert werden. (vgl. Gramelt 2010, S.126f.).

Die Friedenspädagogik verfolgt das Ziel, „eine fundierte Urteilsbildung für friedensethische Fragen zu ermöglichen.“ (Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 2013, S.7) Damit dies erreicht werden kann, ist eine analytische Kompetenz erforderlich. Darunter wird die Beschaffung von Informationen und deren Verarbeitung verstanden. Als weitere Voraussetzungen gelten die interkulturelle Kompetenz – also die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und Empathie – und die soziale Kompetenz (vgl. Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 2013, S.7). Zudem soll ein Wissen über Krieg, Konflikte und Gewalt vermittelt werden (vgl. Gugel/Jäger 1999, S.1).

Eine weitere Gemeinsamkeit beider vorgestellten Ansätze liegt also in der Analyse von Konflikten und Ungerechtigkeiten.

Das vierte und letzte Ziel des Anti-Bias-Ansatzes bezieht sich auf die Beseitigung von Ungerechtigkeit (vgl. Gramelt 2010, S.107). Dies geschieht einerseits durch die Versprachlichung von ungerechten Situationen und andererseits durch gezielte Methoden, die den Kindern vermittelt werden (vgl. Gramelt 2010, S.126f.). In der Kindertageseinrichtung wird gemeinsam mit den Kindern nach Lösungen gesucht, die Ausgrenzungen verhindern sollen (vgl. Gramelt 2010, S.107).

In der Friedenspädagogik geht es um die Vermittlung von Handlungskompetenz. Das bedeutet, dass Kinder und Erwachsene dazu befähigt werden sollen, in ihrer Umgebung und der Politik Einfluss zu nehmen (vgl. Gugel/Jäger 1999, S.1). Frieden und Versöhnung sind zentrale Inhalte dieser Arbeit. Dabei wird versucht, eine gewaltfreie Konfliktlösung zu erzielen. Gleichzeitig sollen Kinder aber auch ermutigt werden, bei der Verletzung wichtiger Werte Widerstand zu leisten. Nicht zuletzt sind Nachhaltigkeit und die Schonung der Natur Inhalte der Friedenspädagogik (vgl. Gugel 2010, S.11).

Der Anti-Bias-Ansatz und die Friedenspädagogik richten ihren Blick damit in ähnlicher Weise auf die Handlungsfähigkeit der einzelnen Person. Sie soll dazu befähigt werden, in Situationen von Ungerechtigkeit und Gewalt für sich und für andere einzustehen.

2.5 Rolle der pädagogischen Fachkraft
Der Anti-Bias-Ansatz schreibt der pädagogischen Fachkraft eine tragende Rolle zu. Es geht „darum, PädagogInnen mit Kompetenzen auszustatten, um Bildungssituationen unter den Bedingungen von Vielfalt zu gestalten.“ (Gramelt 2010, S.46).

Kompetentes Verhalten im Alltag der Kindertagesstätte setzt eine reflexive Auseinandersetzung der Fachkräfte mit sich selbst voraus (vgl. Gramelt 2010, S.32). Neben dieser ständigen Selbstreflexion soll sich die Fachkraft darum bemühen, die verschiedenen Ideologien der Familien über Erziehung und Bildung herauszufinden (vgl. Gramelt 2010, S.174). Wichtig ist, die Kinder genau zu beobachten, um ihre Interessen zu erkennen, ihren Gedanken folgen zu können und sie in ihrer persönlichen Entwicklung zu stärken (vgl. Gramelt 2010, S. S.43;179). Darüber hinaus sind die pädagogischen Fachkräfte aufgefordert, die Kinder in ihrer Identitätsentwicklung zu unterstützen und sie vor Ausgrenzung und Herabsetzung zu schützen (vgl. Gramelt 2010, S.114). Diskriminierende Situationen müssen aufgedeckt und angesprochen werden. Gleichzeitig sollen die Kinder selbst ermutigt werden, sich gegen Diskriminierung einzusetzen. Aufgabe der Fachkraft ist es, die Umgebung so zu gestalten, dass sie frei von Stereotypisierung und einseitigen Darstellungen ist, Vielfalt aufzeigt und Kindern Identifikationsmöglichkeiten einräumt (vgl. Gramelt 2010, S.114). Dafür ist die Einnahme einer kritischen Grundhaltung der pädagogischen Fachkraft gegenüber Diskriminierung und Vorurteilen innerhalb des Kindergartens, im Elementarbereich und in der Bildungspolitik notwendig (vgl. Gramelt 2010, S.174).

Auch die Friedenspädagogik benennt wichtige Aufgaben der pädagogischen Fachkraft. Hierzu gehört es zunächst, die eigene Einstellung transparent zu machen. Darüber hinaus muss die Fachkraft in der Lage sein, zwischen sachlicher Information und eigener Meinung zu differenzieren und selbst aktiv für Frieden einzustehen. Im Umgang mit den Kindern thematisiert die Fachkraft Frieden und Krieg (vgl. Gugel/Jäger 1999, S.1). Damit dies gelingen kann, ist eine offene und unvoreingenommene Haltung unverzichtbar. Die PädagogInnen sollen außerdem die Meinungen und Fragen der Kinder ernst nehmen und die Bedeutung gegenseitiger Achtung und Toleranz betonen (vgl. Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 2013, S.8; Gugel 2010, S.17).

Schließlich haben „Bildung und Erziehung (...) die mündige Persönlichkeit zum Ziel. Daher ist es unabdingbar, auch den Prozess der friedensethischen Bildung in einer kommunikativen und konstruktiven Form zu gestalten, der seine Inhalte und Ziele transparent macht, kritischen Nachfragen aufgeschlossen gegenüber tritt und sich von allen Formen der Indoktrination und Suggestion fernhält.“ (Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 2013, S.8, Auslassung D.B.).

Werte gelten als Voraussetzung für ein friedliches Miteinander und „sind handlungsleitend für Gesetzgebung, das Sozialsystem und das alltägliche Miteinander der Menschen.“ (Müller et.al. 2010, S.8). Aus diesem Grund ist es Aufgabe der pädagogischen Fachkraft, gelebte Werte und Normen der Kinder wahrzunehmen, zu interpretieren und zu dokumentieren (vgl. Müller et al. 2010, S.11f.). Da sich die Kinder nicht nur an bestehenden Werten, sondern insbesondere an ihren Bezugspersonen orientieren, nimmt die pädagogische Fachkraft eine entscheidende Vorbildfunktion ein (vgl. Müller et al. 2010, S.9). „Die Vermittlung von Werten seitens der Erzieherinnen ist deshalb besonders wichtig, weil Kinder in diesem frühen Alter Werte und Normen verinnerlichen, die ihr ganzes Leben prägen können.“ (Müller et al. 2010, S.9).

Daraus folgt, dass der pädagogischen Fachkraft in beiden Ansätzen eine ähnliche Rolle zukommt. Sowohl der Anti-Bias-Ansatz als auch die Friedenspädagogik legen Wert auf die Selbstreflexion, die offene Haltung und Fähigkeit zur Perspektivenübernahme seitens der Erwachsenen. Sie nehmen eine Vorbildfunktion ein und haben die Aufgabe, die Kinder intensiv zu beobachten, ernst zu nehmen und in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu fördern.

2.6 Elternarbeit
Der Anti-Bias-Ansatz nimmt nicht nur die Kinder und pädagogischen Fachkräfte in den Blick, sondern auch die Eltern. Auch für diesen Bereich werden konkrete Ziele genannt. Zunächst ist ein offener Dialog zwischen den Eltern und den pädagogischen Fachkräften erwünscht. Gleichzeitig wird ein Informationsaustausch bezüglich der Identitätsentwicklung ihrer Kinder angestrebt. Außerdem wird das Ziel verfolgt, den Eltern die Möglichkeit einzuräumen, sich über den Anti-Bias-Ansatz und dessen Umsetzung auszutauschen. Wünschenswert wäre eine enge Kooperation zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften, um die Kinder optimal in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Nicht zuletzt sollen die Eltern in den Kindergartenalltag integriert werden (vgl. Gramelt 2010, S.113).

Die Friedenspädagogik betont ebenfalls die Bedeutung der Eltern und Familie:

„Kinder erhalten ihren ersten Zugang zur Welt über die Familie. Im familiären Zusammenleben werden die grundlegenden Weltbilder ebenso vermittelt wie Wertschätzung oder Missachtung. Es entstehen Modelle für Konfliktregelungen und Interaktionsmuster verfestigen sich.“ (Gugel 2010, S.11).

Da Eltern das Denken und Handeln der Kinder beeinflussen, müssen diese in die friedenspädagogische Arbeit miteinbezogen werden (vgl. Gugel 2010, S.11f.). Hierfür wird eine Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften empfohlen. Dabei ist darauf zu achten, dass Eltern nicht nur gelegentlich oder bei auftretenden Problemen in die pädagogische Arbeit miteinbezogen werden, sondern dass eine kontinuierliche Kooperation stattfindet (vgl. Müller et al. 2010, S.40f.).

In der Friedenspädagogik wird die Elternarbeit folglich – wie auch im Anti-Bias-Ansatz – in Form einer kontinuierlichen Kooperation gelebt und umgesetzt.

2.7 Methodik
Der Anti-Bias-Ansatz bietet den pädagogischen Fachkräften einen methodischen Rahmen für die Raumgestaltung, die Zusammenstellung der Materialien sowie die Kommunikation mit den Kindern (vgl. Gramelt 2010, S.109). Im Folgenden wird speziell die Kommunikation als wichtiger Bestandteil der Umsetzung näher betrachtet. Es sollen vielseitige Interaktionen stattfinden, wofür Lieder und Geschichten eine geeignete Möglichkeit darstellen. Außerdem kommen in der Arbeit mit dem Anti-Bias-Ansatz sogenannte „Persona Dolls“ zum Einsatz. Hierbei handelt es sich um Puppen, die von den pädagogischen Fachkräften gestaltet und mit einer eigenen Biographie ausgestattet werden. Die Persona Dolls erzählen den Kindern von sich und von Erfahrungen mit diskriminierenden Situationen. Die Kinder sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, über Ungerechtigkeit nachzudenken und eigene Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln (vgl. Gramelt 2010, S.112f.).

In der Umsetzung der Friedenspädagogik sollen Gespräche über Frieden stattfinden. Dafür werden Problem- und Dilemma-Situationen eingesetzt, die den Kindern dabei helfen, sich selbst zu positionieren sowie Urteilen zu erlernen (vgl. Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 2013, S.7; Gugel 2010, S.21). Gleichzeitig sollen die Kinder an die Übernahme von Verantwortung herangeführt werden und Selbstwirksamkeit erfahren können (vgl. Gugel 2010, S.21). Ein weiterer Bestandteil friedenspädagogischer Arbeit ist das Aushandeln von Regeln des Zusammenlebens (vgl. Gugel 2010, S.11). Friedenspädagogik legt zudem Wert auf Partizipation. Kinder sollen eingeladen werden, aktiv mitzubestimmen und mitzugestalten und auf diese Weise gemeinsame Friedensvorstellungen zu entwickeln (vgl. Gugel 2010, S.21; Berghof Foundation 2012, S.31).

Ebenso wie in der Arbeit mit dem Anti-Bias-Ansatz betont auch die Friedenspädagogik die Notwendigkeit des Dialogs. „Der Dialog ist ein Mittel – wenn nicht gar das klassische Instrument – um konstruktiv mit Konflikten umzugehen.“ (Berghof Foundation 2012, S.11). Auf diese Art und Weise wird versucht, die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Interessen deutlich zu machen und gleichzeitig die der anderen wahrzunehmen und zu verstehen (vgl. Berghof Foundation 2012, S.12).

2.8 Kritische Würdigung der Methodik
Der Anti-Bias-Ansatz birgt möglicherweise Missverständnisse hinsichtlich der Umsetzung, die es zu erkennen und vermeiden gilt. Zunächst besteht die Gefahr der Trivialisierung, indem Eltern beispielsweise lediglich bei Festen oder besonderen Events eingeladen, im Alltag jedoch nicht miteinbezogen werden. Zu beachten ist, dass eine Kooperation zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern breiter angelegt und gelebt werden sollte. Zweitens darf es nicht zu einer Pseudovielfalt kommen. Vielmehr sollten beispielsweise Puppen mit verschiedenfarbigen Hautfarben in gleicher Anzahl in der Einrichtung vertreten sein. Der Anti-Bias-Ansatz darf nicht abgetrennt vom Alltag in der Kindertageseinrichtung, zum Beispiel nur im Morgenkreis und bei besonderen Anlässen, umgesetzt werden. Er soll immer und überall gelebt werden. Zu beachten ist außerdem, dass es keine mangelnde Repräsentanz von Minderheitsgruppen geben darf (vgl. Derman-Sparks/A.B.C Task Force 1989, S.17f.).

Die Friedenspädagogik wird in den pädagogischen Alltag integriert; ein spezifisches Zertifikat ist hierfür nicht notwendig. Dies kann zu Verwirrungen führen, da prinzipiell jede Art der Arbeit als Friedenspädagogik betitelt werden kann – unabhängig davon, ob tatsächlich eine entsprechende Umsetzung der friedenspädagogischen Ziele erfolgt oder nicht.

Weder der Anti-Bias-Ansatz noch der Ansatz der Friedenspädagogik entfaltet seine Potentiale, wenn die Inhalte und Ziele lediglich zu besonderen Anlässen sichtbar werden. Vielmehr sollen beide Ansätze in den Alltag der Kita integriert und dort Tag für Tag gelebt werden.



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