Neurobiologie im Säuglingsalter

Entstehung von Stressbelastungen und Ressourcen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorgeburtliche Erfahrungen prägen die spätere Stressbewältigung
  2. Das Stresssystem wird epigenetisch geprägt
  3. Nachgeburtlich erhält das Kind Unterstützung bei der Regulation der Stressantwort
  4. Oxytocin prägt die emotionale Entwicklung
  5. Schwierige Kinder brauchen die liebevolle Fürsorge mehr als andere
  6. Jenseits der frühen Kindheit

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Vorgeburtliche Erfahrungen prägen die spätere Stressbewältigung

Vorgeburtlich spielen vor allem die Stresserfahrungen der Mutter eine große Rolle. Es geht hierbei nicht um die Anzahl zu beantwortender E-Mails, sondern um chronischen und unkontrollierbaren Stress der Mutter. Um erheblichen Partnerkonflikt, Krankheit oder Tod eines Nahestehenden, Naturkatastrophen, Krieg oder auch um Angststörungen oder Depressionen der Mutter. In unzähligen Studien wurde ein Zusammenhang vorgeburtlichen Stresses mit verschiedenen späteren Eigenschaften gefunden.

Dazu gehören eine größere Neigung zu emotionalen Problemen, zu aggressivem Verhalten, zu Aufmerksamkeits- oder Lernschwierigkeiten, aber auch ein erhöhtes Risiko für spätere Fehlregulationen wesentlicher physiologischer Eigenschaften (für eine Übersicht siehe Weinstock 2008).

So haben junge Erwachsene, die vorgeburtlich Stress erlebten, im Mittel einen erhöhten Body-Mass-Index sowie eine veränderte Funktion von Immunsystem und endokrinem System. Es scheint jedoch so zu sein, dass – abgesehen von extremen Fallen – die vorgeburtliche Stresserfahrung nicht selbst Erkrankungen verursacht, sondern stattdessen das Risiko für spätere Erkrankungen erhöht. Und zwar deshalb, weil der vorgeburtlich gestresste Mensch häufig anders auf spätere potentiell krankmachende Risikobedingungen reagiert als der vorgeburtlich nicht gestresste Mensch (Entringer et al. 2015).

Dieser Beobachtung scheint der Umstand zugrunde zu liegen, dass vorgeburtlich die langfristige Funktion des Stressverarbeitungssystems geprägt wird. Diesem System werden verschiedene Stoffe zugerechnet, etwa das Noradrenalin oder auch das Cortisol. Das Stressverarbeitungssystem wird immer dann aktiv, wenn der Körper hohen Anforderungen gegenübersteht, wenn er also Stress bewältigen muss. Der Blutdruck wird erhöht, die Herzfrequenz gesteigert, Energie mobilisiert und die Leistungsfähigkeit des Körpers durch diese und weitere Maßnahmen erhöht. Insbesondere das Cortisol erhöht zudem auch die Fähigkeit, mit psychosozialem Stress umzugehen, indem es nämlich eine Energiezufuhr an das Gehirn unterstutzt (Peters et al. 2004).

Erlebt eine werdende Mutter Stress, dann wird in ihrem Körper Cortisol freigesetzt. Dies wiederum kann das sich entwickelnde kindliche Cortisolsystem langfristig beeinflussen. Es wird eingestellt, ob dieses Stresshormon bei hohen Umweltanforderungen sofort und anhaltend ausgeschüttet wird und ob es vielleicht sogar in Abwesenheit augenscheinlichen Stresses vermehrt freigesetzt wird.



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