Katholische Kleinkinderziehung von 1800 - 1920

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Anfänge und Entwicklung der katholischen Kleinkindererziehung
  2. 3. Die Stellung der katholischen Kleinkindererziehung gegenüber den Fröbel’schen Kindergärten
  3. 4. Theoretische und praktische Ausrichtung der katholischen Kleinkindererziehung
  4. 4. Zur Ausbildungssituation an katholischen Seminaren
  5. 5. Fazit
  6. Literatur

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Zur Ausbildungssituation an katholischen Seminaren

Im Vergleich zur katholischen Kirche, baute die evangelische Kirche „in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Netz ihrer Ausbildungsstätten aus, indem sie in einer Reihe von Diakonissenanstalten ‚Mutterhäuser für Kleinkinderpflege‘ angliederten“ (Metzinger 1993, S. 75). Auf katholischer Seite sah man vordergründig in der Arbeit mit Kleinkindern eine karitative Aufgabe, für die die „gottgegebene Mütterlichkeit“ völlig ausreichte. Eine Ausnahme bildeten die in München ansässigen "Armen Schulschwestern v. U.Lb.Fr.". Im Jahre 1843 errichtete die Kongregation der Schwesternschaft, die 1833 von der in Regensburg gebürtigen Lehrerin Maria Theresia Gerhardinger gegründet wurde, einen einjährigen "Lehrkurs zur Heranbildung der Kleinkinderbewahranstaltskandidatinnen“. Dem Lehrplan von 1881 ist zu entnehmen:

„Den Bewahranstalts-Kandidatinnen soll in diesem Lehrkurse jene Ausbildung vermittelt werden, welche sie zur Führung solcher Anstalten befähigt, nämlich: Kenntnis der kindlichen Natur, Bekanntschaft mit dem Erziehungsziele der Bewahranstalten und den hiezu dienenden Mitteln, Übung in Anwendung der letzteren... Das wichtigste über die leibliche, intellektuelle und sittlich-religiöse Bildung des Kindesalters, über die hierin anzustrebenden Ziele und hiefür anzuwendenden Mittel. – Bedeutung der Bewahranstalten für die kindliche Erziehung und ihre besonderen Erziehungsmittel“ (zit. n. Fachakademie für Sozialpädagogik der A. Schulschwestern v.U.L.Frau 2013, S. 44).

Weiter Ausbildungskurse wurden in den Häusern der Ordensgemeinschaften der „Schwestern von der Göttlichen Vorsehung“ 1857 in Finthen, der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“ 1867 in Dernbach, 1883 in Speyer im "Institut der Armen Schulschwestern O.P.“ und 1889 in Mallersdorf von den „Armen Franziskanerinnen“ ins Leben gerufen.

Beispielsweise ist über die Ausbildungsstätte in Speyer, die 1905 die staatliche Anerkennung erhielt und 1928 nach Landstuhl verlegt wurde, nachzulesen:

„Auch diese Schwestern (die in „Kleinkinderschulen“ oder „Spielschulen“ arbeiten; M. B.) bedürfen einer Ausbildung, sollen sie ihrem Erziehungsauftrag gerecht werden. 1883 erfolgte die Einrichtung einer privaten Ausbildungsstätte für ‚Kleinkindlehrerinnen‘ im Mutterhaus in Speyer (war zwischen 1816 und 1945 Sitz der bayrischen Verwaltung der Pfalz; M. B.) in starker Anlehnung an die Ausbildung der Volksschullehrerinnen nach den in Bayern geltenden Richtlinien... In einem Schreiben vom 15. 12. 1908 forderte das Königlich-bayrische Bezirksamt in Speyer... die Satzungen der Lehrpläne‘ für die Unterrichtskurse zur Heranbildung von Schwestern für die ‚Kinderpflege‘ an. In den Akten sind folgende Lehrfächer ausgewiesen:

Psychologie, Erziehungslehre, Kindergartentheorie – Kindergartenpraxis, Beschäftigungslehre – Handfertigkeit, Turnen, Literatur- und Kunsterziehungs-Erzählen, Gesundheitslehre, Sachkunde – Naturkunde, Musik – Gesang und Violine“ (Dominikanerinnen Landstuhl 1983, S. 18)

1897 bildete der "Marianische Mädchenschutzverein" in der "Marienanstalt", unterstützt von Emy Gordon of Ellon, einer führenden Persönlichkeit des Katholischen Deutschen Frauenbundes, junge Mädchen in vierteljährigen Fachkursen zu Kindergärtnerinnen heran. Für die Durchführung der Kurse zeichneten die "Augsburger Franziskanerinnen vom Kloster Maria Stern" verantwortlich, die seit 1879 in Würzburg in verschiedenen sozialen Feldern wirkten. Die "Statuten für die Aufnahme von Schülerinnen, die sich zu Kindergärtnerinnen ausbilden wollen in der Marienanstalt in Würzburg" lauteten:

"1. Zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen und Pflegerinnen werden nur solche Mädchen angenommen, welche gesund, unbescholten, mit den nöthigen geistigen Fähigkeiten ausgestattet und mindestens 16 Jahre alt und zur Pflege eines Kindes auch körperlich genugsam entwickelt sind.
2. Die heranzubildenden Mädchen müssen entweder ihre Eltern, Verwandte oder Vormünder am Ort haben, oder in der Anstalt wohnen. Ausnahmsweise kann auch der Aufenthalt bei ordentlichen Miethleuten gestattet werden.
3. Sollten ausnahmsweise solche Mädchen aufgenommen werden, welche noch 'fortbildungsschulpflichtig' sind, so haben sich dieselben zu verpflichten, den vorschriftsmäßigen Unterricht in der zuständigen Fortbildungsschule zu besuchen.
4. Der Lehrkurs dauert zum mindesten in der Regel drei Monate; d. h. es wird kein Mädchen zum Unterricht angenommen, welches sich nicht für drei Monate zum Unterrichtsbesuche verpflichtet. Wer vor dieser Zeit wegbleibt, verliert jeden Anspruch auf sein im voraus einbezahltes Lehr- und Schulgeld.
5. Das für drei Monate voraus zu bezahlende Lehrgeld beträgt monatlich 12 Mark ohne Kost. Für solche Mädchen, welche in der Anstalt essen und über Mittag bleiben, allenfalls auch die Nähschule daselbst besuchen wollen, ist von der Oberin eigene Genehmigung zu erbitten, die je nach Befund ertheilt und die Vergütung dafür vereinbart wird...
6. Die Anstalt stellt den Mädchen beim Austritt ein Zeugniß aus, daß sie in einem Kindergarten thätig waren, und dort theoretischen wie praktischen Unterricht genossen haben, und zwar mit Angabe des Betragens, der Geschicklichkeit, wie der erzieherischen Verlässigkeit.
Die Entlassung aus dem Unterricht erfolgt auf Vorschlag der Lehrerin mit Genehmigung des Ausschusses des Marianischen Mädchenschutzvereins.
7. Zu einem Unterrichtskursus werden in der Regel nur je sechs Mädchen gleichzeitig zugelassen"(ebd., S. 149 f).

Der theoretische Unterricht gliederte sich in zwei Hauptbereiche:

"1. Erziehungslehre, wobei besonders Gewicht gelegt wird auf Beschäftigung und Unterhaltung der Kinder (wozu Arm-, Hand- und Fingerspielen nach dem System Fröbel gehört), Anleitung zum Erzählen, Redeform und Gesprächston, Belohnung und Bestrafung kleiner Kinder.
2. Einige Kenntniß auf dem Gebiete der populären Medicin, sich erstreckend auf die Pflege der Hauptorgane des Menschen: Auge, Ohr u.s.w.; den Unterricht über Achtsamkeit auf Knochen, Muskeln, Nerven, Rückenmark ect., die Athmungsorgane, über die Verdauung, die am meisten vorkömmlichen Gesundheitsstörungen der Kinder u.a.m. Die hierbei nothwendigen Belehrungen oder Ergänzungen sind durch den Anstaltsarzt zu geben" (ebd., S. 150).

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden katholische Ausbildungsseminare u.a. in Aachen (gegr. 1906), Nördlingen (gegr. 1906), Würzburg (gegr. 1908), Münster (gegr. 1909), Aschaffenburg (gegr. 1912), Dillingen (gegr. 1913), Freiburg (gegr. 1914), Ulm (gegr. 1918) und Trier (1920) gegründet, um nur einige der vielen zu nennen.


lehrplanAusschnitt: Lehrplan für „Kindergärtnerinnen-Lehrkurs“ (Quelle: Ida-Seele-Archiv)Am Beispiel der „Franziskanerinnen in Dillingen an der Donau“ sollen nun exemplarisch die Anfänge der professionellen katholischen Ausbildungssituation erläutert werden. Die Generaloberin des bis in das Jahr 1241 zurückreichenden Frauenordens, Sr. M. Innocentia Mußak, war davon überzeugt, wie sie der „Königl. Regierung von Schwaben und Neuburg, Kammer des Inneren“, brieflich mitteilte, dass eine „profunde Ausbildung der Erziehungsschwestern durchaus erforderlich ist, da ein mütterliches Herz und frommer Sinn allein für die Erziehung von Kleinkindern nicht mehr ausreicht, sicher aber weiterhin von hoher Bedeutung sein wird“ (zit. n. Berger o. J., S. 15). Im Gegensatz zu den bereits im Königreich Bayern bestehenden Kindergärtnerinnenseminaren konnten den zehn monatigen Kindergärtnerinnen-Lehrkurs in Dillingen auch „begabte Volksschülerinnen“ absolvieren. Aufgenommen wurden nur junge Mädchen und Frauen, die schriftlich erklärten, in den Orden der Franziskanerinnen einzutreten. Aber auch für die unausgebildeten Klosterfrauen, die als sog. „Erziehungsschwestern“ nicht nur in Kindergärten, ebenso in Erziehungsheimen, Krippen, Heil- und Pflegeanstalten etc. tätig waren, war die Ausbildung gedacht. Diese orientierte sich an der Friedrich Fröbels pädagogischem Gedankengut, zu dessen Verständnis sein Leben und Wirken in die Einzelheiten hinein behandelt wurde. Im Rechenschaftsbericht aus dem Jahre 1913 steht geschrieben:

„Auf dem Gebiet der geistigen Erziehung ist immer noch unser Altmeister Fröbel tonangebend. Er ist ja auch keineswegs unzeitgemäß. In seinem Buch ‚Die Menschenerziehung‘ hat Fröbel viele seiner Gedanken über Erziehung niedergelegt...Er gibt uns doch Anhaltpunkte, die mit den modernsten Zeitideen übereinstimmen. Der Begründer des Kindergartens war ein Vertreter des Familiengedankens, er hat in seinen berühmten Spielgaben zum erstenmal ein festgefügtes System der geistigen Erziehung im Kleinkindalter erdacht, er hat vor allem die sittlich-religiöse Seite der Erziehung in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt. Darum ist Friedrich Fröbel uns auch heute noch Vorbild in der täglichen Erziehung im Kindergarten“ (zit. n. ebd.).

Nachstehender Stoffverteilungsplan für das Fach Pädagogik (einschl. Kindergartenlehre) belegt die Orientierung an der Fröbel’schen Konzeption:

1. Der geistige Standpunkt eines Kindes im Kindergartenalter
2. Zweck des Kindergartens
3. Erziehungsmittel des Kindergartens:
I. Das Spiel
1. Die Bewegungsspiele des Kindergartens
a) Arm- und Fingerspiele
b) Marschier- und Gehspiele
c) Kreisspiele
2. Andere Spiele (mit minder kostspieligen Spielsachen wie Papierstückchen, Fäden, Blätter, Steinchen)
3. Turnübungen
II. Spielgaben und Beschäftigungsmittel (nach Fröbel)
*Der Ball (1. Gabe)
*Kugel, Walze und Würfel (2. Gabe)
*Das Bauen mit den Baukästen (3. bis 6. Gabe)
*Das Täfelchenlegen
*Das Verschränken
*Das Stäbchenlegen
*Das Ringelegen
*Das Legen mit Steinchen und rundlichen Körper
*Das Fadenlegen
*Das Ausschneiden
*Das Zeichnen
*Das Formen (Modellieren)
*Das Ausstechen
*Das Ausnähen
*Das Kettenschnüren
*Das Flechten
*Das Stäbchenverbinden
III. Das Erzählen
IV. Das Lernen von Gedichten
V. Anschauungsübungen
VI. Der Gesang
VII. Der Verkehr des Kindes mit der Natur
4. Äußere Einrichtung des Kindergartens
5. Beschäftigungspläne für den Kindergarten
6. Die Pflichten der Kindergärtnerin
a) Im Kindergarten
b) In der Familie
7. Zur Geschichte der Anstalten des Vorschulalters
a) Kinderbewahranstalten
b) Kindergärten
c) Andere Anstalten für das Vorschulalter.

Im Fach "Kindergartenlehre" wurde ferner über bedeutende Persönlichkeiten der Kleinkinderpädagogik (Pestalozzi und seine Wohnstubenkraft, Fröbel und sein Kindergarten, Schrader-Breymann und ihr Monatsgegenstand, Montessori und ihr Material), über Für und Wider ihrer Pädagogik diskutiert (vgl. Fachakademie für Sozialpädagogik der Franziskanerinnen in Dillingen 1988, S. 17).