Bindung und Trennungsangst

Im Übergang von der Familie in die Kita

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklung von Bindungsbeziehungen
  2. Trennungsangst und Trennungsschmerz
  3. Der Übergang von der Familie in die Kita oder Tagespflege
  4. So gelingt die Eingewöhnung
  5. Literatur

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Der Übergang von der Familie in die Kita oder Tagespflege

Für alle Kinder ist der Übergang in die Kita oder Tagespflege mit der Aufgabe verbunden, die fremde Umgebung und die neuen Menschen – sowohl die Fachkräfte als auch die anderen Kinder – kennenzulernen und mit ihnen vertraut zu werden. Eine Schlüsselposition haben hierbei die Eltern, die als primäre Bindungspersonen ihrem Kind die Sicherheit und das Zutrauen vermitteln können, neue Beziehungen einzugehen. Die Betreuungsbedingungen (z. B. das Verhältnis Erwachsene zu Kindern) in der Familie und der Kita sind sehr unterschiedlich. Zudem haben jüngere Kinder von sich aus nicht das Verlangen, sich von ihren Eltern zu trennen, um sich für eine längere Zeitspanne auf fremde Erwachsene in einer fremden Umgebung einzulassen. Schließlich brauchen sie die Eltern in ihrer Nähe, um ihr Wohlbefinden zu regulieren (Datler, Datler, Nover-Reisner 2010). Wenn sie jedoch vertrauensvolle Beziehungen zu den neuen Bezugspersonen aufbauen, können sie mit der Betreuungsvielfalt gut umgehen (Ahnert 2010).

Eine individuelle Eingewöhnung, in der die Eltern, das Kind und die Erzieherin den Übergang gemeinsam gestalten und bewältigen, ist die Voraussetzung für die Erzieherin-Kind-Beziehung. Darüber hinaus tragen auch die anderen Kinder in der Einrichtung zur Übergangsbewältigung bei. Wurden die Kinder früher am ersten Tag in der Einrichtung einfach abgegeben, so wird heute die Gestaltung der Eingewöhnung als entscheidend für die weitere „Karriere“ des Kindes in der außerfamiliären Betreuung betrachtet.

Die Eingewöhnung ist ein Qualitätsstandard und wird über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen elternbegleitet, bezugspersonenorientiert und abschiedsbewusst durchgeführt (Haug-Schnabel & Bensel 2006). Elternbegleitet heißt, dass das Kind in Anwesenheit und Begleitung seiner Bezugsperson die fremde Umgebung der Kindertageseinrichtung und seine Bezugserzieherin kennenlernen kann. Mutter oder Vater dienen dem Kind als sichere emotionale Basis, von der aus es dieses neue Umfeld erkunden kann. Die Bezugserzieherin widmet sich in dieser Eingewöhnungsphase ganz dem neuen Kind und versucht, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm aufzubauen. So kann sie selbst zu einer sicheren Basis für das Kind werden. Es gibt einen klaren Abschied, zu dem bald das verinnerlichte Vertrauen auf die Rückkehr der Mutter oder des Vaters gehört.

Auch die Eltern sind herausgefordert, sich auf die Fachkräfte als Ansprechpartner und Vertrauenspersonen und die zusätzliche Betreuung ihres Kindes in der Kita einzulassen. Für die Fachkraft sind die Eltern wichtige Partner und Informanten, nicht nur in der Phase der Eingewöhnung. Ziel eines regelmäßigen Austauschs zwischen Fachkraft und Eltern ist es, das Kind beim Übergang in die Kita sowie bei seinen täglichen Herausforderungen gemeinsam und gemäß seiner aktuellen Entwicklungsphase zu unterstützen. Für die Eltern ist es wichtig zu erfahren, dass ihr Kind in der Kita gut aufgehoben ist. Der Einbezug der Eltern in die Eingewöhnung trägt, neben regelmäßigen Gesprächen mit den Fachkräften, maßgeblich dazu bei.

Nicht übersehen werden darf, dass die Eltern nicht nur Unterstützer ihres Kindes sind, sondern dass sie selbst auch einen Übergang bewältigen müssen. Sie werden in Zukunft nicht nur Eltern in ihrer Familie sein, sondern auch Eltern eines Krippen- oder Kita-Kindes, d. h. sie müssen „Familienelternschaft“ und „Kita-Kind-Elternschaft“ in ihr Selbstbild integrieren. Das ist mit intensiven, meist gemischten Gefühlen verbunden. Zur Freude über die Entwicklungsschritte ihres Kindes kommen eventuell Schuldgefühle oder Zweifel. Ähnlich wie ihr Kind müssen sie vertrauensvolle Beziehungen zu den Fachkräften aufbauen und Mitglied der Elterngruppe werden – auch sie müssen ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln (Griebel & Niesel 2013; Niesel & Griebel 2013).