Bindung und Trennungsangst

Im Übergang von der Familie in die Kita

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklung von Bindungsbeziehungen
  2. Trennungsangst und Trennungsschmerz
  3. Der Übergang von der Familie in die Kita oder Tagespflege
  4. So gelingt die Eingewöhnung
  5. Literatur

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Trennungsangst und Trennungsschmerz

Die Trennung eines Kindes von seinen Eltern gilt als der wichtigste Stressor in der frühen Kindheit. Kleinkinder sind selbst in einer völlig fremden Umgebung wenig irritiert und kaum ängstlich, solange die Eltern dabei sind. Das liegt daran, dass die Eltern durch ihre Nähe dem Kind ermöglichen, bei Überforderung durch die fremde Umgebung bei ihnen Schutz zu finden und Hilfe zu bekommen, um ihre Ängste zu regulieren.

Im Alter von sechs bis acht Monaten stellt sich beim Baby die Trennungsangst ein, die meist bis zum 14. Monat anhält, aber bis zum fünften Lebensjahr noch bedeutsam sein kann. Trennungen von den Eltern tun Kindern fast auf die gleiche Weise weh wie körperlicher Schmerz (Sunderland 2006). Auch kurzzeitige Trennungen können Schaden anrichten. Wenn die Eltern nicht anwesend sind, muss ein Kleinkind von einer ihm vertrauten Person betreut werden – alles andere führt zu Stressreaktionen.Kommen Kleinkinder ohne Eingewöhnungsphase von einem Tag auf den anderen in eine Kinderkrippe, so wie dies früher insbesondere auch in der ehemaligen DDR der Fall war, zeigen sie sehr starke Stressreaktionen, die sich auf ihre gesamte Entwicklung negativ auswirken können (Ahnert 2010). Ein solcher abrupter Übergang in die außerfamiliäre Betreuung kann sich auch negativ auf die Mutter-Kind-Beziehung auswirken. In einer Studie von Ahnert (2004), bei der die Bindungsqualität vor und drei Monate nach dem Krippeneintritt gemessen wurde, konnte gezeigt werden, dass die Mutter-Kind-Bindung von einem sicheren in ein unsicheres Muster kippte, wenn der Übergang in die Krippe ohne Eingewöhnung stattfand. Wenn sich die Mutter aber für die Eingewöhnung des Kindes in die Krippe genügend Zeit nahm, blieb die Bindung erhalten oder verbesserte sich in einigen Fällen sogar.

Die Entwicklung von Vertrauen und der Aufbau von emotionalen Beziehungen brauchen viel Zeit und gemeinsame Erfahrungen. Oder anders ausgedrückt, nur dann, wenn ein Kind bei einer Bezugsperson Trost suchen und finden kann, wird es sie als sichere Basis nutzen können. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass die Bezugsperson dem Kind wirksam helfen kann, seine Gefühle zu regulieren und zu explorieren. Daher ist es beim Übergang von der familiären zur außerfamiliären Betreuung so wichtig, auf die Bindungsbedürfnisse des Kindes zu achten und ihm bei der Stressregulation zu helfen.

Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung zeigen eindeutig: Damit Kinder sich wohlfühlen, brauchen sie emotionale Sicherheit und eine Vertrautheit mit ihren Bezugspersonen. Mit dem Übergang von der Familie zur außerfamiliären Betreuung treten neue Menschen in das Alltagsleben eines Kindes, die nicht zur Familie gehören und zunächst fremd sind. Damit verbunden ist die zeitweise Trennung von den engsten Bezugspersonen, von Mutter, Vater und gegebenenfalls den Geschwistern. Zu den Entwicklungsaufgaben in der Familie kommen weitere in der Einrichtung hinzu (Griebel & Niesel 2013).

Jedes Kind erlebt diesen Übergang von der Familie in die Kindertageseinrichtung anders. Sein Verhalten ist von den bisherigen Beziehungs- und Trennungserfahrungen geprägt und kann sehr unterschiedlich ausfallen. Hier spielen auch Temperamentsunterschiede eine Rolle: Während sich manche Kinder leichter tun mit Veränderungen und sich neuen Situationen bereitwilliger stellen, brauchen etwa leicht irritierbare Kinder mehr Unterstützung bei der Übergangsbewältigung. Dieser Prozess der Eingewöhnung erfordert Zeit, Geduld und einen regelmäßigen Austausch zwischen Eltern und pädagogischer Bezugsperson, um den jeweiligen Bedürfnissen des Kindes möglichst gerecht werden zu können. Aufgabe der Fachkraft ist es, Unterschiede zwischen den Kindern zu erkennen und zu akzeptieren und jedem Kind Mitgestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, z. B. indem das Kind den Zeitpunkt bestimmt, wann es Interaktionsangebote der Bezugserzieherin annimmt (Niesel & Griebel 2015).