Bindung und Trennungsangst

Im Übergang von der Familie in die Kita

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklung von Bindungsbeziehungen
  2. Trennungsangst und Trennungsschmerz
  3. Der Übergang von der Familie in die Kita oder Tagespflege
  4. So gelingt die Eingewöhnung
  5. Literatur

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Entwicklung von Bindungsbeziehungen

Die Bindungsbeziehungen bilden sich im ersten Lebensjahr aufgrund der Erfahrungen aus, die ein Kind mit seinen engen und konstanten Bindungspersonen macht. Das Ausmaß, in dem die Bindungsperson auf die Bedürfnisse eines Kindes eingeht, wird dabei durch ihre Feinfühligkeit bestimmt (Ainsworth et al. 1978; Grossmann et al. 1985). Die Feinfühligkeit ist die Fähigkeit und Bereitwilligkeit der Betreuungsperson, die Signale und das Verhalten des Säuglings wahrzunehmen und richtig zu deuten sowie prompt und angemessen darauf zu reagieren. Erfährt ein Kind feinfühlige Reaktionen, vor allem in den Situationen, in denen sein Bindungssystem aktiviert ist, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sichere Bindungsorganisation gegenüber der feinfühligen Bindungsperson entwickeln. Im Kontakt mit wenig feinfühligen oder sehr inkonsistent reagierenden Bindungspersonen werden als Folge im Verhalten des Kindes gegenüber dieser Bindungsperson unsichere Bindungsstrategien beobachtet. Ein unsicheres Bindungsverhaltensmuster ist also Ausdruck der Anpassung des Kindes an die Reaktionen der Bindungsperson auf seine Bindungs- und Explorationsbedürfnisse. Demnach ist das gezeigte Bindungsverhaltensmuster keine Eigenschaft des Kindes, sondern zeigt vielmehr, ob das Kind diese Bindungsperson als sichere Basis nutzen kann, um durch Nähe und Körperkontakt seine negativen Emotionen zu regulieren oder nicht (Grossmann, Grossmann, Waters 2005).

Zunächst entwickeln die meisten Kinder eine erste Bindungsbeziehung zu der Person, die sich am meisten um sie kümmert, also am häufigsten und intensivsten mit ihnen interagiert. Diese primäre Bindung wird in drei Phasen innerhalb der ersten neun Monate vom Kind aus entwickelt, bevor dann weitere Bindungsbeziehungen folgen. Die Bindungsentwicklung erstreckt sich insgesamt über vier Phasen, die sich teilweise überlappen und fließende Übergänge aufweisen (Ainsworth 1964/2003):

Erste Phase der „vorbereitenden Anhänglichkeit“ (0-3 Monate):Das Baby zeigt Orientierung und Signale ohne Unterscheidung der Person und unterschiedslose Ansprechbarkeit auf alle Personen.

Zweite Phase der „entstehenden Bindung“ (3-6 Monate): Das Baby zeigt Orientierung und Signale, die sich auf eine oder mehrere besondere Person(en) richten, und differenzierende Ansprechbarkeit auf die primäre Bezugsperson, meist die Mutter, wobei die Ansprechbarkeit auf andere Personen fortbesteht.

Dritte Phase der „ausgeprägten Bindung“ (6-12 Monate): Das Baby versucht, die Nähe zu bestimmten Personen durch Fortbewegung, Signale und Kommunikation aufrechtzuerhalten. Es zeigt jetzt eine klar definierte Bindung an die primäre Bezugsperson mit auffallender Verminderung der Freundlichkeit gegenüber anderen Personen. Schon während der dritten Phase (8-12 Monate) können Bindungen an eine oder mehrere bekannte Personen über die Mutter hinaus beobachtet werden. Babys, die an die Pflege durch eine andere Person als die Mutter gewöhnt sind, verlieren die Toleranz gegenüber einer solchen Pflege nie vollständig, obwohl sie vielleicht anfänglich gegen den Weggang der Mutter protestieren. Sehr kurz, nachdem das Baby eine klare Bindung an die Mutter erkennen lässt, beginnt es vor allem durch Grußreaktionen eine Bindung an andere Personen, oftmals an den Vater, zu zeigen. Nachdem Unterscheidungsfähigkeit und Bindung an andere Personen als die Mutter oder eine andere primäre Bindungsperson auftreten, äußern manche Babys Angst vor Fremden. Das bedeutet, dass nun das Kind klar unterscheidet, welche Personen als ihm zugehörig akzeptiert werden und welche nicht – ein sinnvoller Mechanismus, um sich zu schützen. Wenn nun neue Personen (z. B. Erzieherinnen) als Bezugs- oder gar Bindungspersonen eingeführt werden sollen, muss dies vor allem in der Phase des Fremdelns behutsam und gut geplant vorgenommen werden.

Vierte Phase der „zielkorrigierten Partnerschaft“ (12-36 Monate): In dieser Phase entwickelt das Kind die Fähigkeit, Ziele und Pläne einer anderen Person zu verstehen und von den eigenen zu unterscheiden. Von nun an sind Kinder in der Lage, ihre Bindungsbedürfnisse mit ihren Bindungspartnern zu verhandeln. Das Kind versucht, Pläne und Absichten der Partner durch „zielkorrigiertes" Verhalten mit den eigenen Zielen in Einklang zu bringen. Das bedeutet auch, dass Kinder jetzt mit kurzen Verzögerungen umgehen können, also z. B. verstehen, wenn die Bindungsperson zum Kind sagt, es soll noch kurz warten, bis sie ihm etwas geben kann.