Zur Geschichte des Kindergartens in der SBZ und der DDR (1945 - 1990)

Inhaltsverzeichnis

  1. 2. Etappe der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung (1945-1949)
  2. 3. Periode der sozialistischen Umgestaltung (1949-1961)
  3. 4. Übergang zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft (1962-1972)
  4. 5. Gestaltung der Sozialistischen Gesellschaft (1972-1990)
  5. 6. Schlussbetrachtung
  6. Literatur

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Etappe der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung (1945-1949)

IMG 20170411 0001Ausfahrt mit den Kindern im zerstörten Ost-Berlin (Quelle: Ida-Seele-Archiv)Der erste Kindergarten in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) wurde am 30. Mai 1945 im Berliner Stadtteil Weißensee "im Auftrag des Antifa-Ausschusses durch zwei Genossinnen der SPD" (Barow-Bernstorff u.a. 1977, S. 423) ins Leben gerufen. Bereits am 5. Juni 1945 konnte im genannten Stadtbezirk "durch Mitglieder des Antifa-Ausschusses..., die der SPD und der KPD angehörten", und auf "Initiative der sowjetischen Kommandantur" (ebd.) ein weiterer Kindergarten der Öffentlichkeit übergeben werden.


Aber nicht nur in Ost-Berlin bemühte man sich um die Errichtung von Kindergärten, sondern im gesamten sowjetisch besetzten Gebiet, in den Städten sowie auf dem Land. Beispielsweise wurde noch 1945 in Guben, in Ermangelung anderer geeigneter Räume, ein Kindergarten in einem ehemaligen Gefangenenlager für Ukrainer eingerichtet. In der Baracke befanden sich drei Räume, von denen der größte als Schlafraum, die beiden anderen als Gruppenräume Verwendung fanden:


"Die Einrichtung war immer mit ungefähr 45 Kindern im Alter von zwei bis zwölf Jahren belegt. In jedem Zimmer befand sich nur ein kleiner Eisenofen. Im Winter erwärmten sich die Räume kaum, denn überall in den Wänden waren Ritzen, durch welche die Kälte eindrang. Bei Regenwetter mußten überall Gefäße aufgestellt werden, um das durch die Decke tropfende Wasser aufzufangen. (Eine Reparatur des Daches war nicht mehr möglich.) Im ganzen gesehen waren also die Zustände in unserm Kindergarten katastrophal" (Stürmer 1954, S. 5).


Der vehement betriebene Auf- und Ausbau von Kindergärten vollzog sich in einer spezifischen Koppelung von politischen und ökonomischen Prozessen. Insbesondere das stilisierte und ethisch geschützte Bild der "werktätigen Frau und Mutter" beeinflusste nicht unwesentlich die Entwicklung von Kindergärten (und natürlich anderen sozialen Einrichtungen wie Kinderkrippen, Horte u.a.). Diesbezüglich formulierte die SED (hervorgegangen 1946 aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD) in ihrem Parteiprogramm, anlässlich der Gemeindewahlen im Juni 1946:


"Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands will die Frauen für das politische Leben gewinnen, weil der Aufbau eines demokratischen Deutschlands ohne die Mitwirkung der Frauen unmöglich ist. Sie nimmt sich der Frauen darum besonders an und fordert daher: Volle Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Gleichen Lohn für gleiche Leistung. Ausbau des Mutterschutzes für die arbeitende Frau... Hilfe für die erwerbstätigen Frauen durch Schaffung von Kindergärten, Kinderhorten, Nähstuben, Waschanstalten und ähnlichen Einrichtungen" (zit. n. Barow-Bernstorff 1977, S. 424).


Der Auf- und Ausbau des Kindergartenwesens ist daher nur in Zusammenhang mit der Frauen-/ Familienpolitik zu sehen. Diese umfasste von Anfang an "ein System von ideologischen, materiellen, finanziellen, rechtlichen und anderen auf die Förderung von Ehe und Familie, auf den Schutz von Mutter und Kind sowie auf die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft gerichteten Maßnahmen" (Dietrich u.a. 1987, S. 169 ff.).


Durch das "Gesetz zur Demokratisierung der Deutschen Schulen", das am 12. Juni 1946 von allen fünf Ländern der SBZ (1952 wurden die Länder aufgelöst und in 14 Bezirke unterteilt) verabschiedet worden war, wurde der Kindergarten in § 3 ausdrücklich als Vorstufe der Schule in das System der "demokratischen Einheitsschule", die die gesamte Erziehung vom Kindergarten bis zur Hochschule umfasste, eingegliedert. Kern dieses Gesetzes war die Einführung einer für alle Kinder obligatorischen achtjährigen Grundschule, die Ausgrenzung der Kirchen aus dem Bildungs- und Erziehungsbereich sowie die Einbeziehung des Kindergartens als vorschulische Erziehungseinrichtung, der die Aufgabe hatte, "die Kinder zur Schulreife zu führen" (zit. n. Krecker 1979, S. 355). Mit dieser Zuordnung wurde der Kindergarten aus dem sozial-fürsorgerischen Bereich herausgelöst und, erstmalig in der deutschen Geschichte, dem Bildungssystem angegliedert, wenn auch als Einrichtung mit vorrangig schulpädagogischem Auftrag.


Im Juni 1948 fand eine zentrale Tagung für Vorschulerziehung statt. Diese stand unter dem Motto: "Neues Deutschland - Neue Menschen. Im Kindergarten beginnt ihre Formung". Ministerin Maria Torhorst stellte in ihrem Referat über "Die Bedeutung der Vorschulerziehung für die Umerziehung des deutschen Volkes" die Wichtigkeit der politischen Erziehung der jungen Generation heraus. Sie sagte:


"Wenn viele Pädagogen sich erlauben, die Frage der politischen Erziehung weit von sich zu weisen, so ist das ein Zeichen dafür, daß sie ihre pädagogischen Aufgaben überhaupt nicht verstanden haben. Es ist eine politische Aufgabe, das neue Leben und seine neuen Grundsätze zu begreifen, um die neuen Menschen vom Kindergarten an für dieses neue Leben erziehen zu können" (zit. n. Heller 1985, S. 44).


Die "Deutsche Verwaltung für Volksbildung" bestätigte die von der zentralen Tagung aufgestellten "Grundsätze der Erziehung im deutschen Kindergarten", die in der ersten Fachzeitschrift für Kindergärtnerinnen "Sozialpädagogik. Blätter für die Vor- und Außerschulische Erziehung" (ab Heft 2 "Die Kindergärtnerin"; ab Mitte der 1950er Jahre "Neue Erziehung im Kindergarten") veröffentlicht wurden. Demnach hatte der Kindergarten primär folgende drei Aufgaben zu erfüllen:


1. "er erzieht die Kinder im demokratischen Geist;
2. er sorgt für die Gesundheit der Kinder und bietet ihnen Bedingungen, die eine gesunde und normale Entwicklung sicherstellen;
3. er schafft der Frau und Mutter die Möglichkeit, sich in das wirtschaftliche, kulturelle, öffentliche Leben einzugliedern und so ihre Gleichberechtigung aus einer formalen in eine wirkliche zu wandeln" (zit. n. Heller 1985, S. 44).


Daraus wurden folgende fünf Erziehungsbereiche für den Kindergarten abgeleitet:


1. die körperliche Erziehung,
2. die hygienische Erziehung,
3. die Entwicklung der geistigen Anlagen und Befähigung der Kinder,
4. die sittliche Erziehung und
5. die künstlerische Erziehung (vgl. Anweiler 1992, S. 245 ff.).

Um all die verordneten Forderungen erfüllen zu können, wurde eine Verbesserung der Kindergärtnerinnenausbildung sowie der täglichen pädagogischen Arbeit im Kindergarten angestrebt:


"Deshalb wurde der Ausbildung der Kindergärtnerinnen große Aufmerksamkeit geschenkt und bereits 1946 neben den Kurzlehrgängen für Erziehungshelferinnen eine dreijährige Ausbildung für Kindergärtnerinnen eingeführt, in der theoretische Schulung und praktische Arbeit miteinander abwechselten.
Der Verbesserung der täglichen pädagogischen Arbeit diente vor allem auch die Fachzeitschrift mit einer Reihe grundlegender Artikel antifaschistischer Erzieher. Langjährige Mitglieder der Arbeiterparteien und anerkannte Kämpfer gegen den Faschismus bemühten sich durch die Fachzeitschrift und über andere Formen der Anleitung, den neuen antifaschistisch-demokratischen Erziehungsinhalt in allen Einrichtungen der Vorschulerziehung durchzusetzen.
Die Kinder wurden zur Liebe zum Frieden und zur Anerkennung anderer Völker erzogen. Es kam vor allen Dingen darauf an, ihnen im Spiel, in der Arbeitstätigkeit und während des gesamten Tages Gelegenheit für selbständiges Handeln und schöpferisches Gestalten zu geben. Dabei knüpften die Erzieher bei den Traditionen des Fröbelschen Kindergartens an, wie sie bis 1933 in Deutschland lebendig waren.
Aus dieser Zeit stammte auch eine Form der inhaltlichen Planung, die von Schrader-Breymann Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt worden war, die Planung täglicher Beschäftigungen nach dem 'Monatsgegenstand' oder dem Wochenthema. Diese Form der Planung half den Erziehern in den ersten Jahren, ihre pädagogische Arbeit unter einheitlichen Gesichtspunkten zu durchdenken und vorzubereiten" (Krecker 1977, S. 429 f.).


Ausgewählte Vorschulreferentinnen wurden bestimmten Kreisen zugeordnet, die u.a. die Aufgabe hatten, die politisch-pädagogischen Standpunkte und Meinungen der Kindergartenleiterinnen zu überwachen und zu überprüfen. Die "Kreisreferentinnen" mussten eine "politisch-fachliche Beurteilung" der ihnen unterstellten Kindergartenleiterinnen abgeben. In solch einer Beurteilung aus dem Jahre 1946 hieß es:


"Wohl ist Frl. ... Mitglied der SED, doch ist dies rein formaler Natur und ohne jede Aktivität. Es ist kaum anzunehmen, dass sie sich mit den grundsätzlichen Problemen der SED... intensiv beschäftigt. Frl. ... kann nur dann weiter befürwortet werden..., wenn sie dabei unter Kontrolle steht" (Ida-Seele-Archiv; Akte: Kindergarten/ DDR, Nr. 1/2/3/4).


Der "unermüdlichen Arbeit dieser Leistungskader, Kindergärtnerinnen und politischen Funktionäre war es zu verdanken", dass sich in der Zeit von vier Jahren die "Zahl der Kindergärten kontinuierlich erhöhte und bis zum Jahre 1949 auf etwa 4.000 Einrichtungen ansteigen konnte" (Krecker 1986, S. 434).



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