Klischeefreie Bücher in der Praxis

Anwendungsbeispiele und Tipps

Co-Autorin: Melanie Kubandt

Aus Forschungsstudien weiß man, dass die Vermittlung von Geschlechterstereotypen nicht nur in geplanten Angeboten, sondern besonders häufig in Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern ganz nebenbei erfolgt. Kinder werden in diesem Zusammenhang wiederholt mit verkürzten und einengenden Vorstellungen von Mädchensein und Jungensein konfrontiert. Diese einschränkenden Zuschreibungen von Geschlechterstereotypen sind pädagogischen Fachkräften häufig nicht bewusst und werden unbeabsichtigt im pädagogischen Alltag geäußert. Das heißt: in der Regel liegt es nicht daran, dass Pädagog*innen nicht geschlechtergerecht agieren wollen, sondern, dass stereotype Sichtweisen auf Geschlechterverhältnisse bis heute einen so selbstverständlichen Teil unserer Weltanschauung darstellen.

So kommt es beispielsweise im pädagogischen Alltag, wenn Jungs mit Stöcken spielen oder Mädchen bunte Blätter sammeln, wiederholt zu Aussagen wie: „So sind sie halt die Jungs/ Mädchen“ oder Mädchen werden für Äußerlichkeiten gelobt und Jungen für Leistungen etc. Solche einengenden Rollenzuweisungen können aber durch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ursprung und der Sinnhaftigkeit dieser Rollen nach und nach aufgebrochen und durch differenziertere Sichtweisen auf das Thema Geschlecht erweitert werden. In diesem Zusammenhang können Anlässe geschaffen werden, die Kindern die Möglichkeiten bieten, ihre Tätigkeiten frei und unabhängig von Geschlechterstereotypen auszusuchen, auszuprobieren, verschiedenes zu testen etc. Hierzu ist es allerdings notwendig, dass sowohl die pädagogischen Fachkräfte als auch die Kinder sich von bestehenden, stereotypen Bildern im Kopf lösen können bzw. dies auch dürfen. So kann es beispielsweise sinnvoll sein, sich im Team zu fragen, wann sich Kinder trauen, Dinge zu tun, von denen ihnen eigentlich häufig suggeriert wird, sie passten nicht zu ihrem Geschlecht.

Darauf aufbauend kann dann überlegt werden, welche unterstützenden Rahmenbedingungen hierzu seitens der Fachkräfte geschaffen werden
können.

Hierbei kann das Material aus dem Klischee*esc-Medienkoffer helfen, bestehende, verkürzte Sichtweisen spielerisch sowohl auf Seiten der Fachkräfte als auch der Kinder zu erweitern und dabei Perspektiven jenseits von Geschlechterstereotypen in den Fokus des pädagogischen Alltags zu rücken. Diese Perspektiven als etwas ganz Selbstverständliches erlebbar zu machen, ist das Ziel einer professionellen Auseinandersetzung mit der Genderthematik.

Professionelle Auseinandersetzung mit dem Thema

Die folgenden Praxistipps bieten offene Ideen und vielseitige Übungen zu unterschiedlichen Bereichen an, die von den Kindern und Fachkräften, aber auch Eltern und anderen Interessierten individuell und flexibel gestaltet, variiert und ausgebaut werden können. Die Idee dahinter ist, dass nach der Beschäftigung mit einem Buch oder einer Geschichte gemeinsam mit den Kindern überlegt werden kann, wie die Inhalte handlungsorientiert umgesetzt werden können.

Mögliche Fragen, die eine entsprechende Auseinandersetzung im Team unter Kolleg*innen anregen können, lauten:
  • Wo begegnen uns die Themen des Buches im Alltag?
  • Was ist/war für uns neu, und was möchten wir gerne noch dazu wissen?
  • Wie kann die Geschichte zum Leben erweckt werden?
  • Was sind Inhalte aus der Geschichte, die wir hier im Kindergarten/Hort/Schule erlebbar machen können?

Diese Fragestellungen können ebenso gemeinsam mit den Kindern bearbeitet werden. Der Austausch kann helfen, über die Themen ins Gespräch zu kommen und mit den Kindern Ideen für eine praktische Umsetzung zu entwickeln. Dafür liefern die Praxistipps Ideen, wie, wo und mit was die Inhalte aus den Büchern für Kinder und Fachkräfte erlebbar werden. Die Ideen, die in den Praxistipps beschrieben werden, können und sollen kreativ und individuell abgewandelt oder situationsangemessen erweitert werden. Hierbei ist es wichtig, sich an den Bedürfnissen und Ideen der Kinder zu orientieren und prozessorientiert zu reagieren, damit die Motivation der Kinder, sich mit den Inhalten der Bücher auseinanderzusetzen, erhalten bleibt.

Dabei ist zu beachten, dass nicht das Genderthema primär im Fokus der Auseinandersetzungen stehen sollte, sondern dass die umfangreichen Materialien, die sowohl explizit als auch implizit auf die vielfältigen Bedeutungsebenen von Geschlecht verweisen, ein selbstverständlicher Teil des pädagogischen Alltags werden, ohne dass immer wieder bewusst auf die damit verknüpfte Genderthematik verwiesen werden muss. Ziel ist es vielmehr, dass alle Beteiligten, also sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen, in den Einrichtungen all jene Entfaltungs- und Erprobungsmöglichkeiten spielerisch ausprobieren und erleben können, auf die in den Materialien Bezug genommen wird.

Übergeordnetes Ziel ist es folglich, spielerisch und kindgerecht diejenigen Möglichkeitsräume, die durch die Materialien exemplarisch veranschaulicht werden, in den eigenen Kita-/Hort- bzw. Schulalltag als selbstverständlichen Bestandteil zu integrieren und nicht als etwas Besonderes oder Abweichendes spezifisch hervorzuheben. Aus diesem Grund steht bei den nachfolgenden Vorschlägen zur Integration der Materialien in den eigenen pädagogischen Alltag nicht vordergründig die Thematisierung von Geschlecht/Gender im Fokus, sondern vielmehr der spielerische Umgang und der Spaß mit den Materialien.

Praxistipp 1: Sich identifizieren


Dauer:
ca. 20–30 Min.

Gruppengröße:
5–8 Kinder

Material:
Schminke, Kostüme bzw. unterschiedliche Kleidungsstücke, Hüte, Schals o.ä., Karteikarten und Stifte

Spielideen:
  • Verkleiden: Die anderen Kinder raten, welche Figur aus der Geschichte dargestellt wird (dies kann auch mit dem Rollenspiel verknüpft werden).
  • Schminken: Die Kinder dürfen sich Figuren, Tiere, Pflanzen aus dem Buch aussuchen und werden dementsprechend geschminkt oder schminken sich selbst. Hier ist es hilfreich ein Buch mit ein paar Schminkideen oder Tipps in Petto zu haben, falls es benötigt wird.
  •  Rollenspiel: Dies kann sich in Folge von Verkleidungs- oder Schminkaktionen anschließen, kann aber auch für sich stehen. Kinder suchen sich Rollen aus dem Buch aus, in welche sie schlüpfen dürfen. Um sich in die Rolle hineinversetzten zu können und in einen Spielfluss zu kommen, sind Requisiten oder Gegenstände und Material hilfreich, mit denen Situationen aufgebaut werden können, in denen dann gespielt werden kann.
> Es werden Karten erstellt, auf denen die einzelnen Figuren des Buches stehen. Jedes Kind darf eine Karte ziehen, in die Rolle schlüpfen und es wird eine kurze Szene aus dem Buch spontan nachgespielt oder ausgearbeitet, geprobt und aufgeführt.
> Pantomime: Eine kleine Gruppe setzt eine Szene aus der Geschichte pantomimisch um und die anderen dürfen erraten, um welche Stelle in der Geschichte es sich handelt.
> „Pärchen suchen“: Zwei Kinder, die möchten, gehen vor die Tür (Sucher). Die anderen „Pärchen“-Kinder gehen paarweise zusammen und überlegen sich zu einer Figur oder einem Gegenstand in dem Buch eine pantomimische Darstellungsform. Alle Kinder verteilen sich durchmischt im Raum. Die „Sucher“-Kinder vor der Tür werden hereingerufen. Immer abwechselnd tippen sie zwei „Pärchenkindern“ auf die Schultern, die dann ihre pantomimische Darstellung vorführen. Die „Sucher“-Kinder versuchen alle Pärchen richtig zu zuordnen. Die Sucher- Kinder können miteinander oder gegeneinander spielen.

Mögliche Herausforderungen:
Sind Spielangebote mit Identifikationsprozessen verbunden, müssen für Kinder sichere Rahmenbedingungen gegeben sein, damit sich die Kinder stress- und angstfrei auf die oben aufgeführten Spielideen einlassen können. Dafür ist es zwingend notwendig, dass absolute Freiwilligkeit bei der Teilnahme an den Spielen herrscht. Auch müssen Kinder jederzeit das Recht haben, sagen zu können, dass sie z. B. eine gezogene Rolle nicht spielen wollen. Rückzug aus Spielsituationen darf nicht als störendes Verhalten gewertet werden, sondern als die Reaktion des Kindes auf eine unpassende Spielsituation. Um typische Genderfallen zu vermeiden, ist es hilfreich, möglichst nicht auf stereotype Materialien und Verkleidungsmöglichkeiten zurückzugreifen, sondern eher Material und Kostüme bereit zu stellen, die keiner engen Vorstellung von Geschlechtszugehörigkeiten folgen.

Praxistipp 2: Weitererzählen


Dauer:
ca. 20–30 Min.

Gruppengröße:
12–15 Kinder

Material:
Stifte, Papier, Bildpostkarten, Materialkiste oder -beutel

Spielideen:
  • Mit den Kindern über die Inhalte des Buches ins Gespräch kommen. Wie hört die Geschichte auf? Wie könnte sie weitergehen? Wir überlegen uns ein anderes Ende der Geschichte. Wir denken uns einen neuen Anfang für die Geschichte aus – was verändert sich dadurch in der Geschichte?
  • Die Kinder überlegen sich in 3–4 Gruppen eine Fortsetzung für die Geschichte und erzählen ihre Version dann der ganzen Gruppe.
  • Es werden Postkarten mit Bildern ausgelegt und jedes Kind wählt 2–3 Postkarten aus, zu denen es eine Idee hat, wie die Geschichte unterstützt durch das Postkartenbild weitergehen könnte.
  • Jedes Kind zieht aus einer Kiste, die mit unterschiedlichen Gegenständen gefüllt ist (z. B. Knöpfe, Taschentücher, Kastanie, Brille, Pflaster etc.) einen oder zwei Gegenstände heraus und erfindet einen neuen Erzählstrang.

Mögliche Herausforderungen:
Bei diesen Spielideen geht es nicht darum zu lenken, um explizit auf das Genderthema zu sprechen zu kommen. Ziel ist die Integration der Materialien aus dem Medienkoffer und der spielerische Umgang und Spaß mit den Materialien beim Weitererzählen. Die Ideen der Kinder beim Weitererzählen sollten nicht gewertet werden und auch noch so abwegige Entwicklungen in der Geschichte sind legitim.



Dieser Fachbeitrag ist ein Auszug aus dem  Begleitheft zum klische*escc-Medienkoffer, in dem sie noch mehr Praxis-Tipps finden.

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