Kinder (1) im Kontext von häuslicher Gewalt

Inhaltsverzeichnis

  1. Gewalt in Geschlechter- und Generationenverhältnissen
  2. Häusliche Gewalt und Kindeswohl (8)
  3. Häusliche Gewalt und die Entwicklungsrisiken für Kinder und Jugendliche
  4. Frauenhäuser als vorübergehende Schutz- und Unterstützungsorte
  5. Häusliche Gewalt und die Bedeutung von Kindertagesstätten
  6. Ressourcen stärken und Resilienz durch Partizipation befördern
  7. Fazit und Ausblick
  8. Anmerkungen
  9. Literatur

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Häusliche Gewalt und die Entwicklungsrisiken für Kinder und Jugendliche

Das Aufwachsen unter den Bedingungen von Partnerschaftsgewalt kann für Kinder (und Jugendliche) mit zahlreichen Entwicklungsrisiken verbunden sein. Darüber hinaus können die in diesem Kontext mitunter zusätzlich erfahrbaren unmittelbaren Gewalterfahrungen, wie sie sich in unterschiedlichen Ausprägungen von Kindesmisshandlung oder Kindesvernachlässigung zeigen können, die Leiden der Kinder und Jugendlichen potenzieren. Die Gewalterfahrungen können auf die weiteren Sozialisationsverläufe dahingehend Einfluss nehmen, dass Identitätsentwicklungs- und Persönlichkeitsbildungsprozesse negativ und nachhaltig beeinflusst werden. So kann es u. a. zu Verhaltensauffälligkeiten kommen, wie beispielsweise starke Unruhe, Aggressivität, Unaufmerksamkeit, Abwesenheit, überhöhte Ängstlichkeit, sozialer Rückzug, oder es kommt zu Überangepasstheit und zu körperlichen und kognitiven Entwicklungsverzögerungen. Auch mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Lernbereitschaft bis hin zu Schulabsentismus und Schulversagen lassen sich beobachten. Zudem können körperliche Beeinträchtigungen und posttraumatische Ausprägungen bei Kindern und Jugendlichen beobachtet werden und es lassen sich mangelnde Bindungstoleranz und eingeschränkte Bindungsfähigkeit bei denjenigen ermitteln, die in ihrer Familie mit Partnerschaftsgewalt konfrontiert sind. Nicht selten korrespondieren diese Auswirkungen mit elterlichen Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit (vgl. Kindler et al. 2004) und je nach Häufigkeit und Schweregrad von Partnerschaftsgewalt wächst auch die Wahrscheinlichkeit von Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung. Je nach Alter, Geschlecht und persönlichen Ressourcen der Kinder und Jugendlichen, aber auch abhängig von der Anzahl, Intensivität, Dauer und den Umständen der Gewalt, gelingt die Gewaltverarbeitung mehr oder minder gut. In der Regel bedeutet es jedoch, dass sich Störungen in der emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen verzeichnen lassen (vgl. Enzmann/Wetzels 2001, S. 246 ff.; Köckeritz 2002, S. 5-25; Strasser 2001; Kindler 2013, S. 27-47).

Das kindliche Miterleben von Partnerschaftsgewalt innerhalb der Familie kann für die Betroffenen bedeuten, dass sie sich an dem Ort, an dem sie sich eigentlich beschützt und sicher fühlen sollten, mit einer Atmosphäre von Wut und Hass bzw. Angst und Verzweiflung konfrontiert sind. Sie fühlen sich daher oft hilflos, traurig, ohnmächtig oder sogar schuldig, da sie der Gewalt nicht Einhalt gebieten können oder sie verstehen sich gar selbst als Auslöser für die Gewalt. Diese direkten oder indirekten Gewalterfahrungen können für die Kinder und Jugendlichen bedeuten, sich in ihrer Not und Verzweiflung nicht an die eigenen Eltern wenden zu können, da diese die Auslöser ihrer Angst- und Ohnmachtsgefühle sind. So fühlen sie sich auf sich gestellt und mit ihren verwirrenden Gefühlen allein gelassen. Der Abwertung der eigenen Mutter durch den Vater oder Partner und den mittelbar bzw. unmittelbar erlebten körperlichen, seelischen oder sexuellen Misshandlungen sehen sie sich schutzlos ausgeliefert und die Angst um die Mutter, die Geschwister und um sich selbst bestimmen mitunter ihren Alltag (vgl. Landespräventionsrat Niedersachsen 2006; Henschel 2019, S. 29-32).

Neben den hier beschriebenen Folgen und möglichen Entwicklungsbeeinträchtigungen sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Kinder und Jugendliche auch über innere Schutzfaktoren und individuelle Ressourcen verfügen, die es zu stärken gilt. ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese.  (psychische Widerstandskraft) lässt sich durch äußere Schutzfaktoren unterstützen, wie die Studie der Autorin (Henschel 2019) deutlich macht. Die Entwicklung von Copingstrategien im Umgang mit Stress und Gewalt kann bei Kindern und Jugendlichen durch einen ressourcenorientieren Zugang unterstützt werden, auch wenn dies den Staat und die Institutionen des Sozialsystems nicht von der Verantwortung hinsichtlich der Beseitigung von Gewalt innerhalb der Familie und in Partnerschaften entbindet.



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