Mehr als nur ein Wort - Für eine achtsame Sprache im Kita-Alltag

Im Gespräch transportieren Fachkräfte nicht nur Wörter. Auch Glaubenssätze werden auf das Kind übertragen, die es verinnerlicht. Wie dieser Kreislauf durchbrochen werden kann.

Ist doch nicht so schlimm!“, sagt Erzieherin Birgit zum 3-jährigen Jonas, der gerade hingefallen ist und weint. Ein kleiner Satz, eben mal gesagt, so nebenbei, fünf aneinandergereihte Worte, wenige Silben, die über Birgits Lippen rutschen.

Diese Worte zeigen Wirkung; eine größere, als man zunächst annehmen möchte. Sie senden eine Botschaft, die Jonas’ Entwicklung beeinflussen kann. Je nachdem, wie häufig Jonas diesen oder einen ähnlichen Satz hört, trägt die enthaltene Wertung dazu bei, welches Bild er sich letztendlich von sich selbst macht – zum Beispiel:
  • Das, was du fühlst, ist falsch!
  • Fühle anders!
  • So, wie du bist, bist du falsch!
  • Deinen Empfindungen kannst du nicht trauen!
  • Weinen ist nicht okay!

Auf diese Weise lernt Jonas, dass er falsch ist und falsch empfindet, dass er seine Gefühle lieber nicht zeigen sollte und aushalten muss, was schmerzt. Die damit abgespeicherte Selbstbildkomponente kann sich in negativer Weise auf sein Selbstvertrauen, sein Selbstbewusstsein und auch auf seine sozial-emotionalen Kompetenzen auswirken.

Kinder beobachten und erleben zwischenmenschliche Kommunikation in all ihren Facetten im Kita-Alltag. Pädagogische Fachkräfte können über ihre Art, sich auszutauschen, und ihre Wortwahl zu einem positiven Selbstbild der Kinder beitragen. Dadurch fühlen und begreifen sie von Anfang an: „Ich bin gut!“ – „Ich kann etwas erreichen!“ – „Ich bin wertvoll, so wie ich bin!“

kindergarten heute f 52 5 2022 38 41 mehr als nur ein wort fuer eine achtsame sprache im kita alltag Seite 2

Eine Frage der eigenen Haltung

Wenn ich zu einem Kind liebevoll „Du Dummi!“ sage und dabei zugewandt und freundlich bleibe, so kann ich hoffen, dass es den Spaß versteht und meine Worte richtig interpretiert. Und dennoch sollte das gesprochene Wort in seiner Wirkweise nicht unterschätzt werden. Ein Kind wird trotzdem unterschwellig hören: „Ich bin dumm!“ Auch hier gilt die altbekannte Weisheit: Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen ...

Es gibt nicht die eine Wahrheit und ein klares Abbild von der Welt. Jeder Mensch erschafft sich im Laufe seines Lebens seine eigene Sichtweise auf die Welt. Wahrnehmung ist also immer subjektiv. Aber Erwachsene prägen diese Wahrnehmung mit, indem sie mit den Kindern oder in ihrem Beisein über Kinder sprechen. Die darin enthaltenen Botschaften werden als Wahrheit abgespeichert. Wird einem Kind also immer wieder gesagt, es würde nerven, speichert es diese Botschaft als Wahrheit in seinem Gedächtnis ab. Die Botschaft, dass das Kind gut ist, wie es ist, alles schaffen kann und liebenswert ist, verfestigt sich ebenso.

Lange Zeit war intuitives pädagogisches Handeln gefragt, also aus dem Bauchgefühl heraus zu handeln und zu sprechen. Manchmal führt jedoch genau diese unmittelbare, vermeintlich authentische Reaktion dazu, dass spontan Botschaften übermittelt werden, die die Kinder in negativer Weise prägen. Deshalb ist es wichtig, Sprache bewusst zu wählen, sich immer wieder die Botschaften unserer Worte zu vergegenwärtigen und zu reflektieren, in welcher Weise unsere Sprache den Selbstwert und die Wahrnehmung des Kindes beeinflusst.

kindergarten heute f 52 5 2022 38 41 mehr als nur ein wort fuer eine achtsame sprache im kita alltag Seite 3

Glaubenssätze sind machtvoll

So wie jeder Mensch im Laufe seines Lebens eine eigene subjektive Wirklichkeit entwickelt, die sich aus seinen Erfahrungen und aus der Beeinflussung durch andere bildet, verhält es sich mit Glaubenssätzen. Glaubenssätze sind innere Sätze, die einem Glaubenssystem entspringen und sich aus (Kindheits-) Prägungen entwickelt haben. Es gibt einerseits Glaubenssätze, die schwächen, bewerten, verurteilen und hemmen. Auf der anderen Seite gibt es Glaubenssätze, die motivieren, stärken, zufrieden und dankbar machen, kurz: ein positives Selbstbild fördern. Eigene Glaubenssätze bleiben oft im Hintergrund und sind nicht bewusst.

Manchmal treten sie jedoch zutage, wenn Situationen nicht so funktionieren wie gewünscht; wenn Dinge schiefgehen, Momente stressig und konfliktreich sind oder man den eigenen Ansprüchen nicht genügt. Dann wird geschimpft: „Schon wieder habe ich das nicht geschafft! Ich bin schlecht! Ich kann das nicht! Alle lassen mich alleine!“ In manchen Situationen wird die Kritik auch laut ausgesprochen: „Oh, ich Dussel!“
Jedes dieser Worte, das man sich in der Kita selbst sagt, und die Haltung hinter den Worten hat einen Einfluss auf die zu betreuenden Kinder. Denn pädagogische Fachkräfte sind ein Orientierungspunkt, ein Sprachvorbild auch in der Kommunikation mit sich selbst. Fällt einer Erzieherin etwas herunter und sie sagt zu sich selbst „Ich Dussel! Klar, dass das wieder mir passiert!“, schauen sich die Kinder ab, dass es üblich ist, streng mit sich selbst zu sprechen. Können Fachkräfte jedoch mit sich selbst einen freundlichen, liebevollen inneren Dialog führen und diesen auch bei Missgeschicken nach außen tragen, bemerken die Kinder: „Huch, naja, kann ja mal passieren!“

Auch in Bezug auf Selbstliebe und Selbstfürsorge, die ebenfalls durch Worte zum Ausdruck kommen, sind pädagogische Fachkräfte Vorbilder. Um friedvoll mit anderen sprechen zu können, lohnt es sich zu lernen, mit sich selbst achtsam zu kommunizieren. Die Glaubenssätze der Erwachsenen nehmen Einfluss auf die Glaubenssätze der Kinder. Pädagogische Fachkräfte transportieren ihre Glaubenssätze, ob bewusst oder unbewusst, in das gesprochene Wort und senden sie somit als Botschaft an das Kind. Diese Botschaft kann sich schließlich in einen Glaubenssatz des Kindes umwandeln.

Hat Fachkraft Tina zum Beispiel den unbewussten Glaubenssatz „Wut darf nicht sein!“, lässt er sich in der Wahl ihrer Worte wiedererkennen, indem sie zur wütenden Lara sagt: „Lara, mach doch jetzt nicht so ein Theater!“ Dieser Satz enthält die Botschaft: „Du sollst nicht wütend sein!“ Lara könnte unter bestimmten Umständen schließlich den Glaubenssatz ausbilden: „Ich darf nicht wütend sein!“

Gedanken lassen sich beeinflussen

Der innere Dialog lässt sich kognitiv steuern und dysfunktionale Glaubenssätze lassen sich umkehren. Es kostet unter Umständen einige Mühe, denn insbesondere hindernde Glaubenssätze sind unserem Bewusstsein oft nicht gleich zugänglich. Wir können jedoch damit beginnen, uns zu beobachten und darauf zu achten, welche Sätze wir über den Tag zu uns selbst sagen.



Übung zur Reflexion.

Von welchen Glaubenssätzen werden Sie beeinflusst?

Beobachten Sie sich im Alltag und halten Sie fest, welchen inneren Dialog Sie führen. Welche Worte sagt Ihre innere Stimme insbesondere in stressigen Momenten zu Ihnen? Schreiben Sie belastende, immer wiederkehrende Glaubenssätze auf und kehren Sie sie um – zum Beispiel:
  • „Ich schaffe das nicht, durch den Tag zu kommen“ wird zu „Ich schaffe das, weil ich an mich glaube“
  • „Das muss ich alleine schaffen“ wird zu „Ich darf mir Hilfe holen“
  • „Ich muss alles ertragen“ wird zu „Ich darf meine Gefühle und Grenzen zeigen“
  • „Immer ruhig bleiben“ wird zu „Ich darf wütend sein“
  • „Ich muss stark sein“ wird zu „Ich darf mich auch verletzlich zeigen“



Um sich die stärkenden Sätze zu vergegenwärtigen, können Rituale im Alltag eingebaut werden, zum Beispiel mit den sogenannten Affirmationskärtchen. Eine Karte, auf der stärkende Worte stehen, wird pro Tag als festes Ritual in der Kita (vor-)gelesen. Fachkräfte können sich auch eine bestimmte Karte heraussuchen, die sie an diesem Kita-Tag stützen und stärken kann. Stärkende Sätze, die Kraft geben, können ebenfalls prominent im Gruppenraum aufgehängt werden oder an einer Stelle, an der sie besonders hilfreich sind. Zum Beispiel kann in der Garderobe, wo häufig Stress entsteht, der Glaubenssatz „Ich gehe einen Schritt nach dem anderen“ entlastend wirken.

Wichtig ist, sich aus einer Opferhaltung zu befreien und die Verantwortung zu übernehmen. Es geht darum, sich bewusst zu machen: Ich selbst bin die/der Entscheidungsträger*in für jedes Wort und jede Tat. Menschen können alles sein und tun, können liebevoll zu sich selbst sein und positiv auf die Welt blicken. Sie können sich mit Worten stärken, unterstützen, motivieren, trösten, achten und annehmen – positive Selbstgespräche sind also willkommen! Auf diese Weise werden auch Kindern positive Botschaften vermittelt.
  • Ich bin selbst für mich verantwortlich.
  • Ich darf freundlich mit mir selbst umgehen.
  • Ich verzeihe mir Fehler.
  • Ich kann mich selbst stärken.
  • Ich kann mir gut zureden, wenn es schwierig wird.
  • Ich erlaube mir, traurig, wütend oder frustriert zu sein.

Sprache zu verändern braucht Zeit

Wenn Menschen eine Sprache lernen, muss das Gehirn neue synaptische Verbindungen aufbauen, durch Wiederholungen, Vertiefungen und immer wieder neue Anwendungen. Genauso ist es mit dem Überdenken gewohnter Sprachmuster. Zu Beginn fühlt sich dieser Lernprozess etwas komisch und wenig authentisch an. Das Gehirn kennt die neuen Sprachmuster noch nicht. Es braucht Zeit und Muße, Beharrlichkeit und Freundlichkeit. Es bedeutet jedoch auch, dass eine Entwicklung geschieht. Um neue Kommunikationsmuster zu erlernen, ist deshalb kontinuierliche Übung ausschlaggebend. Bei Rückschlägen ist es wichtig, immer wieder das angestrebte Ziel in den Fokus zu nehmen. Bei der Veränderung ihrer Sprachgewohnheiten durchlaufen Menschen gewöhnlich drei Phasen:
  • Wahrnehmung: Es fällt auf, wie oft bestimmte Wörter oder Satzmuster genutzt werden.
  • Anwendung: Es wird versucht, Sätze umzuformulieren, Worte wegzulassen oder zu ersetzen. Das fällt am Anfang schwer und wird mit der Zeit immer einfacher.
  • Integration: Die neuen Wörter und Sätze werden nun ohne Anstrengung und automatisch angewandt.

Auch wenn es nicht immer sofort gelingt, achtsam zu sprechen, ist es wichtig, nachsichtig mit sich zu sein. Letztlich kommt es nicht darauf an, jederzeit zuverlässig alle Formulierungen gezielt zu nutzen. Ein Kind spürt, welche Haltung Fachkräfte einnehmen, welche Wertschätzung sie ihm entgegenbringen und ob sie Achtung vor ihm haben.


Text leicht verändert entnommen aus: Wedewardt, L. (2022): Wörterzauber statt Sprachgewalt. Achtsam sprechen in Kita, Krippe und Kindertagespflege. Freiburg: Herder.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus


Verwandte Themen und Schlagworte