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Kultursensible Elternberatung bei Flüchtlingsfamilien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auswirkungen von Migration auf das Familienleben
  2. Kulturelle Unterschiede in der Eltern-Kind-Beziehung
  3. Wechsel von Großfamilie zu Kleinfamilie
  4. Fazit
  5. Literatur

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Fazit


Der Einblick in die migrationsspezifischen Folgen bei Flüchtlingsfamilien verdeutlicht, dass besonders in der Erziehungsberatung häufig Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und entsprechenden Vorstellungen über richtiges und falsches Erziehungsverhalten zusammentreffen. Nach Borke, Döge, Kärtner (2011) besteht in diesen Beratungssituationen häufig die Gefahr, unvertraute Verhaltensweisen und Einstellungen als nicht normal und unrichtig abzulehnen, sie defizitär zu interpretieren oder im schlimmsten Fall zu pathologisieren. Erfahrungen bei REFUGIO München zeigen, dass dies sowohl bei Flüchtlingseltern als auch bei professionellen Beratern und Beraterinnen zu beobachten ist. In der Elternberatung bei REFUGIO München im Rahmen des Elterntrainings Eltern Aktiv hat sich bewährt, den Entstehungskontext für die jeweiligen unterschiedlichen Vorstellungen zu erfragen und zu beschreiben. Das Füttern der Kinder, auch oft unter Zwang, wie es bei manchen Flüchtlingseltern zu beobachten ist, wird dann für Erzieher/innen und Berater/innen nachvollziehbarer, wenn sie erfahren, dass dies aus Fürsorge geschieht. Eltern berichten auf Nachfragen, dass dies in ihrer Heimat notwendig war, da man »ja nicht wissen konnte, ob es am nächsten Tag etwas zu essen geben würde«. Umgekehrt ist es für die Flüchtlingseltern sinnvoll, sich den neuen deutschen Lebenskontext verbunden mit anderen Gewohnheiten bewusst zu machen, damit sie das selbstständige Essen ihrer Kinder in der Kita nicht als Zeichen der Vernachlässigung durch die Erzieher/innen missverstehen. Häufig gelingt es den Flüchtlingseltern mithilfe des Perspektivenwechsels gut, das mitgebrachte Verhalten als sinnvolle Strategie unter früheren Lebensbedingungen zu begreifen. Mütter aus einer Elterntrainingsgruppe, die ihre Kinder früher oft auch unter Zwang gefüttert hatten, konnten ihr Verhalten auf die neue Lebenssituation umstellen, ohne befürchten zu müssen, ihre Kinder nicht ausreichend zu ernähren.

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass in einer kultursensiblen Elternberatung zuallererst eine Verständigung über kulturelle Hintergründe und Motive für Entscheidungen und Verhaltensweisen erfolgen sollte. Sowohl die Berater/innen als auch die Flüchtlingseltern erhalten dadurch ein besseres Verständnis für ein für sie fremdes Verhalten. In diesem ersten Schritt kann das notwendige Vertrauen für weitere Gespräche aufgebaut werden. Im weiteren Beratungsprozess sollten gemeinsam mit der Familie migrationsbedingte Folgen auf das eigene Familienleben analysiert und besprochen werden. Erst durch das Bewusstsein für migrationsbedingte Erziehungsprobleme und deren Ursachen kann die Suche nach entsprechenden interkulturellen Lösungen beginnen. Förderlich dafür ist, wenn das Suchen nach einer kulturellen Identität in Deutschland sowohl von Beratern/Beraterinnen als auch von Flüchtlingen nicht zwangsläufig als Aufgabe von vertrauten Wertvorstellungen verstanden wird, sondern als Chance, das mitgebrachte Handlungsrepertoire, im Sinne von Mehrsprachigkeit und interkulturellem Handeln, zu erweitern. Nichtsdestotrotz impliziert Migration in ein Land mit anderen Werten und Normen immer auch die Notwendigkeit, bisherige Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern, wenn diese nicht den rechtlichen Regelungen des Landes entsprechen.


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