Nach dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz besteht jetzt die Herausforderung einer konsequenten Qualitätsentwicklung für die Bildung, Betreuung und Erziehung der Kleinsten. Wie dies gelingen kann und welche Herausforderungen dabei zu bewältigen sind, stand im Fokus der nifbe-Tagung „Was brauchen Krippen?“ im Schloss der Universität Osnabrück. Wie Moderatorin Maria Korte-Rüther vom nifbe ausführte, sollte mit dieser Tagung auch eine „Zwischenbilanz der Qualifizierungsinitiativen des nifbe zur Arbeit mit Kindern unter drei Jahren gezogen werden“.


zimmerZur Begrüßung der rund 150 TeilnehmerInnen ließ nifbe-Direktorin Prof. Dr. Renate Zimmer es sich nicht nehmen, einen kritischen Rückblick auf die jüngsten politischen Entscheidungen zum nifbe (s.a. nifbe in der Zukunftsdebatte) zu werfen. Mit ihnen steht das nifbe vor gravierenden Strukturveränderungen und Mittelkürzungen. „Aber“, so Zimmer kämpferisch und unter dem Applaus der TeilnehmerInnen, „wir lassen uns nicht kleinkriegen und gucken von heute an nur nach vorne, um weiterhin tatkräftig zur Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung in Niedersachsen beizutragen.“


"Frühkindliche Bildung ist kein Wettlauf"

In der Folge warf die nifbe-Direktorin einen näheren Blick auf das Kind und auf das aktuelle elementarpädagogische Bild von ihm: Das Kind sei vom ersten Tag an aktiv und erobere über seinen Körper und seine Sinne die Welt. Das Kind habe einen ausgeprägten Eigensinn und strebe nach Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit. Dafür brauche es in ganz besonderer Weise Spiel- und Bewegungsraum und frühkindliche Bildung dürfe nicht als Wettlauf missverstanden werden. „Bildung braucht Zeit und Muße“ unterstrich Zimmer und hob neben den großen „B’s“ der Bildung wie Beziehung, Bindung und Bewegung auch die großen „Z’s“ wie Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit heraus.

viernickelIn ihrem Eröffnungsvortrag stellte Prof. Dr. Susanne Viernickel von der Alice Salomon Hochschule in Berlin klar, dass ein Krippenplatz noch keine Bildungsbeteiligung garantiere. Entscheidend sei, was vor Ort passiere und dies sei von den Kompetenzen der Fachkräfte, der Unterstützung durch Leitung und Träger sowie von den zur Zeit noch häufig nicht ausreichenden Rahmenbedingungen (wie z.B. der Fachkraft-Kind-Schlüssel) abhängig.


"Bildung ist Beziehungsbildung"

Susanne Viernickel skizzierte die rasanten Veränderungen der Familie und der Arbeitswelt in den letzten Jahren und konstatierte: „Eltern stehen heute unter großem Druck“. Familien stünden zudem sehr unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung. Insbesondere bei alleinerziehenden Eltern, bei Familien mit Migrationshintergrund und aktuell bei Flüchtlingsfamilien seien Kinder erhöhten Entwicklungsrisiken ausgesetzt. Krippen als „familienergänzende und –unterstützende Infrastruktur“ könnten hier einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit in einer von zunehmender Diversität geprägten Welt leisten. Nach einer „enormen Ausbauanstrengung“ seien heute rund 1/3 der unter dreijährigen Kinder in der Krippe. Allerdings musste sie momentan noch einen „Herkunftseffekt bei der Bildungsbeteiligung“ sowie eine „schlechtere Prozessqualität“ in Einrichtungen mit einem hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund konstatieren.

Die „erst spät in den Blick genommenen“ Bildungsprozesse in Krippen beschrieb Susanne Viernickel grundsätzlich als „Wechselwirkung zwischen Kind und Umwelt“. Zentrale Aufgabe in den ersten Jahren sei der „Aufbau einer positiven und möglichst etablierten emotionalen Beziehung“ zwischen pädagogischen Fachkräften und dem Kind. Eine Schlüsselrolle spielten dabei „Empathie und Zugewandtheit“. ErzieherInnen seien im Krippenalltag herausgefordert, „parallel und zeitnah auf die Kinder und ihre je individuellen Signale und Bedürfnisse zu reagieren“.

Bildung in der Krippe sei von Anfang an Beziehungs- und Persönlichkeitsbildung. Sie müsse daher ganz besonders den „subjektiven Sinn und die Bedeutsamkeit von Wissen und Können für das einzelne Kind“ ernst nehmen. Ziel der Bildung sei aus ihrer Sicht die „gesteigerte Selbstwirksamkeit und Handlungsautonomie des Kindes“. Dafür müsste die Gestaltung von Raum und Zeit „auf möglichst vielfältige Lerngelegenheiten und einen großen Erfahrungsreichtum“ ausgerichtet sein. Kinder müssten dabei auch einmal an ihre Grenzen gehen können, was aber in der Krippe aufgrund einer „gesetzlichen Überregulierung“ nicht ganz einfach umzusetzen sei.

Professionelles Handeln und professionelle Haltung weiterentwickeln

Für die Qualitätsentwicklung in Krippen forderte Susanne Viernickel abschließend eine „konsequente Absicherung und Weiterentwicklung des professionellen Handeln und der professionellen Haltung der pädagogischen Fachkraft“ ein. Eine zentrale Rolle nehme dabei die Selbstreflexion ein, aber auch die Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Entwicklung ein. Notwendig für den Qualitätsprozess sei ferner eine wertschätzende und reflexive Leitungs- und Teamkultur sowie eine ausgeprägte „Kooperations- und Netzwerkkultur“. Aus Studienergebnisse zeigte Viernickel drei idealtypische Herangehensweisen für die Umsetzung neuer Herausforderungen wie z.B. der Bildungspläne in der KiTa auf: Ablehnung und Verweigerung; konsequentes bedingungsloses Umsetzen; Umsetzung in Abhängigkeit von einem fest stehenden inneren Wertekanon - letztere wertete Viernickel dabei als die sowohl für das Wohl der Kinder als auch das des Teams angemessenste Variante.


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Nach der Vorstellung einer Wirksamkeitsanalyse der nifbe-Qualifizierungsinitiative mit bisher 8.000 TeilnehmerInnen (Sehr gute Noten für nifbe-Qualifizierungs-Initiative )durch Jörg Hartwig vom Regionalnetzwerk NordOst konnten die TeilnehmerInnen in acht verschiedenen Workshops zentrale Aspekte der Qualitätsentwicklung in Krippen vertiefen: Von der grundsätzlichen Haltung und dem Bild vom Kind über die Konzeptentwicklung, Beobachtung und Dokumentation oder Elternarbeit bis zur Raumgestaltung reichte das breit gefächerte Themenspektrum.

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Krippen brauchen maßgeschneiderte Angebote


Podiums PanoramaAbgerundet wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion zur Qualitätsentwicklung in Krippen. Viel Lob erntete dabei die nifbe-Qualifizierungsinitiative für Krippen, die auf Teams und die ganz individuellen Ausgangslagen und Bedarfe in den jeweiligen Krippen ausgerichtet ist. „Maßgeschneiderte Konzepte wie das des nifbe sind vorbildlich“ unterstrich so Susanne Viernickel und ergänzte: „Es macht keinen Sinn allen das Gleiche anzubieten.“ Die individuelle Ausrichtung stelle allerdings hohe Anforderungen an die ReferentInnen und hier sei eine „Kontinuität und nachhaltige Vernetzung sowie kollegialer Austausch“ förderlich. Aus Sicht der Weiterbildung hob auch Dr. Thomas Südbeck von der HÖB in Papenburg die „Bedarfsorientierung und ausgewiesene Kompetenz der ReferentInnen“ für die Qualitätsentwicklung in Krippen heraus. Er zollte den Pädagogischen Fachkräften höchste Anerkennung „für das, was sie heute schon leisten und umsetzen und für ihre ständige Weiterbildungsbereitschaft“. Besonderen Unterstützungsbedarf sah er noch bei Leitungskräften, nicht zuletzt, „um ihnen Mut zu machen auch einmal voran zu gehen“. Aus Sicht der Fachberatung forderte Stephanie Emmel aus der Stadt Langenhagen, in der Diskussion um die Qualität „noch viel stärker in Richtung Politik“ zu agieren.

wehrmann 150Hier schloss sich aus dem Plenum auch vehement Dr. Ilse Wehrmann an: „Wir müssen raus aus der pädagogischen Ecke, wir müssen neue Bündnispartner zum Beispiel in der Wirtschaft finden und Politik von der einzelnen Kommune bis hin zur Bundesebene überzeugen.“ Unter dem Applaus der Tagungs-TeilnehmerInnen unterstrich sie abschließend: „Und eines dürfen wir ganz und gar nicht: Uns mit den jetzigen Bedingungen zufrieden geben.“






Präsentation Susanne Viernickel