Das Bündnis für Kinder und Familien in Niedersachsen e.V. hat jetzt zum Thema Kita-Qualität in (und nach) Corona-Zeiten einen Offenen Brief an Politik und Träger verfasst und fordert "in aller Dringlichkeit die massive Reduzierung der pädagogischen Qualität schnellstmöglich zu beenden."



Gute Rahmenbedingungen für die Erziehung, Bildung und Betreuung der Kita-Kinder in und nach der Corona-Zeit schaffen!

Hannover, 24. Juni 2020

Sehr geehrter Herr Kultusminister,
sehr geehrte Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag,
sehr geehrte Vertreter*innen der kommunalen Spitzenverbände,

als unabhängiges Bündnis für Kinder und Familien in Niedersachsen haben wir uns seit unserer Gründung für gute Rahmenbedingungen und einen verbesserten Personalschlüssel in den niedersächsischen Kindertageseinrichtungen eingesetzt.

Wir sehen das Dilemma der aktuellen Situation und die unterschiedlichen Rechte aller Beteiligten:
  • das Recht der Kinder auf Unversehrtheit – gesundheitlich, aber auch ihr Recht auf Bildung, soziale Kontakte und eine persönliche Entwicklungsbegleitung
  • das Recht der pädagogischen Fachkräfte und Mitarbeiter*innen auf Gesundheitsschutz
  • das Recht der Eltern auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie
  • das Recht der Kita-Träger auf Unterstützung und Planungssicherheit
Seit dem 22. Juni gilt in Niedersachsen der eingeschränkte Betrieb. Im Gegensatz zum Regelbetrieb bleiben damit die Standards des Nds. Kita-Gesetzes noch für mehrere Wochen außer Kraft gesetzt. Daraus ergeben sich eine Reihe sehr spürbarer Qualitätseinbußen: Weder müssen die Betreuungskräfte qualifiziert sein, noch gibt ein Fachkraft-Kind-Schlüssel ein Mindestmaß an Betreuungsqualität vor. Stattdessen dürfen Hilfskräfte (eine pro Gruppe) ohne verpflichtende Vorlage eines Führungszeugnisses die Kinder betreuen. Hinzu kommen die räumlichen und pädagogischen Einschränkungen durch die Infektionsschutzempfehlungen, vor allem, dass die Kinder gezwungen sind, sich den ganzen Tag in streng begrenzten Räumen aufhalten zu müssen.

Die jetzige Situation ist nicht vereinbar mit dem, was im SGB VIII geregelt ist: Die Erziehungspartnerschaft wird durch die Kontakteinschränkungen verhindert, der Bildungsauftrag aufgehoben, der Kinderschutz durch die fehlenden qualifizierten Kräfte gefährdet und die Übergangsgestaltung von der Kita in die Schule stark reduziert. Die Situationen, mit denen viele Fachkräfte und Kita-Kinder in Niedersachsen dadurch konfrontiert sind, sind fernab ab von dem, was wir und auch andere Expert*innen unter frühkindlicher Bildung verstehen.

Wir fordern daher mit aller Dringlichkeit, diese massive Reduzierung der pädagogischen Qualität schnellstmöglich zu beenden und das politische Versprechen, die Kitas ab dem 1. August 2020 in den Regelbetrieb zu überführen, unbedingt einzulösen.

Die Corona-Krise darf auf gar keinen Fall dazu führen, dass Standards langfristig abgesenkt werden. Denn wenn für den Kita-Bereich Lehren aus der Pandemie zu ziehen sind, dann die, dass krisensichere Kitas personell und räumlich sehr gut ausgestattet sein müssen, um allen Kindern zu jeder Zeit gerecht werden zu können und gleichzeitig den langfristig steigenden Ansprüchen an Hygiene und Infektionsschutz zu genügen.

Unsere langjährige Forderung nach kleineren Gruppengrößen ist also in Pandemiezeiten aktueller denn je. Bis diese Forderung niedersachsenweit Umsetzung finden kann, muss übergangsweise mindestens eine dritte Fachkraft in jeder Kindergartengruppe die Regel sein.

Deshalb protestieren wir auch ausdrücklich gegen den Aufschub der Verpflichtung zu einer dritten Fachkraft in großen Krippengruppen um weitere fünf Jahre. Hier hätte man den Trägern u.E. besser durch Ausnahmegenehmigungen entgegenkommen können. Der pauschale Aufschub wird nun zur Folge haben, dass die dritten Fachkräfte in anderen Gruppen dauerhaft eingesetzt werden. In ihrer tatsächlichen Gruppe müssen sie in den kommenden fünf Jahren nicht durch Vertretungskräfte ersetzt werden. Eine Finanzierung entsprechender Vertretungsressourcen durch die Kommunen droht mit dem Aufschub daher ebenfalls um weitere fünf Jahre nach hinten verschoben zu werden.

Für die Qualität der frühkindlichen Bildung in Niedersachsen ist dies alles ein herber Rückschlag.

Die Corona-Krise zeigt uns, wie sehr die Kindertageseinrichtungen inzwischen ein systemrelevanter Bereich unserer Gesellschaft sind, und dass sich gerade jetzt die Versäumnisse an Investitionen in die Qualität des Elementarbereichs rächen. Das ohnehin von Fachkräftemangel gezeichnete Feld wird schweren Schaden nehmen, wenn die derzeitigen Einschränkungen der Qualität nicht möglichst schnell beendet werden, und die Fachlichkeit des Berufes weiterhin durch Dequalifizierungen in Frage gestellt wird. Eine steigende Fluktuation aus dem Berufsfeld wäre die Folge.

Auch mit Blick auf die Umsetzung der Kinderrechte (UN-Kinderrechtskonvention) müssen alle Kitas in Niedersachsen spätestens ab dem 1. August 2020 strukturell und auch konzeptionell zu dem zurückkehren, was wir alle gemeinsam seit Jahren unter frühkindlicher Bildung verstehen. Wo dies aufgrund der personellen Situation nicht möglich ist, muss zuvorderst die Quantität (z.B. die Öffnungszeiten) statt der Qualität eingeschränkt werden. Dass dies in Pandemiezeiten immer wieder der Fall sein kann, muss den Familien auch seitens der Landesregierung ehrlich und offen mitgeteilt werden.

Wir als Bündnis werden uns weiterhin aktiv für die Rechte der Kinder und für gute Rahmenbedingungen zur Umsetzung des Erziehungs- und Bildungsauftrags in den Kindertageseinrichtungen einsetzen! Gerne diskutieren wir unsere Themen mit Ihnen in einem persönlichen Gespräch.

Mit freundlichen Grüßen

Martina Ernst
(Mitglied im Vorstand des Bündnisses für Kinder und Familien in Niedersachsen e.V.)