Raumgestaltung für Kinder unter drei

Das Konzept „bewegte Kinderkrippe“


Mara steht auf einer Holzplastik, zählt bis drei und springt in einen großen Sitzsack. „Aua“ – sie kam etwas hart auf, da die Füllung des Sitzsacks von vorherigen Sprüngen verrutscht war. Gabriel und Lea stehen schon zum Sprung bereit, die Reihenfolge haben sie vorher genau abgesprochen. Nun ist Gabriel an der Reihe und verschiebt den Sitzsack zuerst so, dass er nicht auf dem harten Boden landen muss. Nach seinem Sprung bleibt er liegen, dreht sich auf den Rücken, streckt die Hände aus und ruft vergnügt „Komm Lea, spriiing“. Lea landet neben ihm. Dann klettern Mara und Gabriel wieder hoch, zählen gemeinsam bis drei und springen Hand in Hand.

Mara, Lea und Gabriel haben an dieser Aktion augenscheinlich eine große Freude. Nebenbei sprechen sie Regeln ab, schulen ihren Gleichgewichtssinn und ihr Sprachvermögen, stellen ihre motorische Geschicklichkeit unter Beweis und finden durch eigenes Ausprobieren heraus, was sie tun können, um weich zu landen.

Die Bewegungsaktion fördert ihre Entwicklung und ihre Kinderkrippe unterstützt dies, indem sie ihnen Raum und Objekte bereitstellt, die zum Experimentieren und Erforschen einladen und indem die Fachkräfte ihnen gleichzeitig viel Freiraum und Vertrauen schenken. Diese Mischung wurde von der "Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung" gerade als besonders entwicklungsfördernd zertifiziert.

Bewegung als Basis für frühkindliches Lernen


Bewegung ist für die Entwicklung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren von elementarer Bedeutung. Säuglinge und Kleinkinder lernen über Bewegung die Welt kennen. Vielfältige Bewegungs- und Sinneserfahrungen sind Voraussetzung für die Entwicklung von Denkstrukturen und Wahrnehmungsleistungen. Greifen ist Begreifen, Fassen ist Erfassen (Zimmer 2004). Bewegung und Lernen bilden in den ersten Lebensjahren eine untrennbare Einheit. Kleine Kinder lernen vornehmlich aus ‚erster Hand’ – durch eigenes Erfahren und durch Nachahmen. Der ‚Forschungsdrang’ bzw. die Neugierde der Kinder gilt als angeborenes Verhaltenssystem – aus eigenem Antrieb erkunden sie ihre Umwelt, experimentieren und probieren aus. Bewegung, Wahrnehmung oder im weiteren Sinne Körperlichkeit sind für das Lernen in den ersten Lebensjahren ausschlaggebend. Zugleich müssen Kinder lernen, sich fortzubewegen, um die Welt aktiv erkunden zu können. Durch das alltägliche freie Spielen und Bewegen erweitern sie Stück für Stück ihr Bewegungsrepertoire, lernen ihre Stärken und Fähigkeiten kennen und entwickeln Selbstvertrauen. Zwischen null und drei Jahren durchlaufen Kinder verschiedene Phasen der motorischen Entwicklung. Damit jedes Kind Anreize findet, um selbständig die nächste Stufe der Bewegungsentwicklung zu erreichen, müssen Krippenräume eine große Breite an Bewegungs- und Wahrnehmungsoptionen abdecken (vgl. Pikler 2001). Sie müssen herausfordern, auffordern und jedem Kind Gelegenheit bieten zum richtigen Zeitpunkt eigenständig üben zu können.

Bewegungsräume sind Entwicklungsräume


Aus den Bildungs- und Erziehungsplänen der Länder lässt sich für die Arbeit mit unter dreijährigen Kindern eine Bildungsvision herausstellen: starke, gesunde, kommunikationsfreudige und aktiv lernende Kinder (vgl. Bertelsmann 2006). Für das Erreichen dieser Vision wird die Stärkung bestimmter Kompetenzen in den Mittelpunkt gesetzt. Dazu gehören emotional-soziale, kommunikative, körperbezogene, kognitiv lernmethodische Kompetenzen und die Stärkung des Selbstkonzepts. Das Konzept „bewegte Kinderkrippe“ basiert auf der Annahme, dass diese Schlüsselkompetenzen in den ersten drei Lebensjahren insbesondere über Bewegungsaktivitäten und eine wertschätzende, ressourcenorientierte Grundhaltung der pädagogischen Fachkräfte gestärkt werden können.

„Das Auge schläft, bis es der Geist mit einer Sprache weckt.“ (L. Malaguzzi)

Lernprozesse können nach Erkenntnissen aus der Neurologie vor allem dann in Gang gesetzt werden, wenn Kinder in einer positiven, entspannten Atmosphäre in ihrem Entdeckerdrang unterstützt werden. Dabei entwickelt sich das Gehirn am besten in interaktiver Auseinandersetzung mit der Umwelt. Die förderlichsten Anregungen für das kindliche Gehirn sind diejenigen, die das Kind aus sich selbst heraus entwickelt (Hüther 2012). Ein Raumkonzept, welches die Entwicklung von Kindern fördern soll, muss sich daher an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientieren. Bewegung ist ein Bedürfnis und ein Interesse des Klein(st)kindes. Der Krippenraum wird dem Bewegungsbedürfnis gerecht und fungiert gewissermaßen als Weltwerkstatt, in der Kinder experimentieren und erkunden können. Für die Gestaltung der Spiel- und Bewegungslandschaften werden die Stufen der motorischen und kognitiven Entwicklung einbezogen. Kinder, die sich noch nicht fortbewegen können, werden ebenso angesprochen, wie Kinder die bereits hüpfen, klettern und rennen können. Alle Kinder sollten vielfältige Gelegenheiten finden um ihre Bewegungen zu üben, ihre Umwelt zu erforschen, mit Bewegungen, Gegenständen, Materialien zu experimentieren und altersspezifisch zu spielen. Für eine gesunde Entwicklung brauchen Kinder lösbare Herausforderungen. Das Meistern von Herausforderungen hilft ihnen, sich selbst als wirksam zu empfinden. Selbstwirksamkeit zu spüren, ist für den Aufbau eines positiven Selbstkonzepts von essentieller Bedeutung (vgl. Schmitz 2007). Neue Erkenntnisse, die das Kind über selbständiges Finden von Lösungen für ein (motorisches) Problem gewinnt, sind der Antrieb zur Bewältigung neuer, noch etwas schwierigerer Aufgaben und stärken das Selbstvertrauen. In den ersten drei Jahren finden Kinder vorzugsweise über Bewegung Herausforderungen, die sie bewältigen können. Um diesem Anspruch in einem Raum gerecht zu werden, steigen die motorischen Anforderungen der Räume in Richtung Raumdecke. Ein dreijähriges Kind findet Herausforderungen auf höheren Ebenen, während Säuglinge in Beckenlandschaften auf dem Boden Geborgenheit und Spiel- und Entdeckungsmöglichkeiten finden. Der Raum wird durch die verschiedenen Ebenen in seiner Dreidimensionalität von den Kindern erlebbar – gleichzeitig soll möglichst viel freie Bodenfläche für Bewegung und eigene Gestaltung des Raumes bleiben. Die Wege der Bewegungslandschaften führen zu Orten im Raum die zum Spielen, Beobachten und Ruhen einladen. Diese Orte werden in unterschiedlichen Größen angeboten, es können darin nur ein bis zwei Kinder Platz finden oder auch Gruppen von mehreren Kindern und Erwachsenen. Der Raum bleibt skizzenhaft, transparent, durch die eigene Fantasie interpretierbar.

Zusammenspiel Raum und stärkenorientierte Pädagogik


Allein eine gute Ausstattung reicht nicht aus, um kindliche Lernprozesse zu unterstützen. Die pädagogische Gestaltung von Bildungsprozessen ist ein sozialer Prozess. Die Erwachsenen müssen Kindern auf Augenhöhe begegnen, sich auf die Welt der Kinder einlassen, um sie auf ihrem Lernweg unterstützend begleiten zu können. Eine nach den Bedürfnissen der Kinder gestaltete Lernumwelt kann vor allem dann wirken, wenn die Kinder durch ihre pädagogischen Fachkräfte Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Ermutigung erfahren. Dies erfordert eine ressourcenorientierte Grundhaltung: Die pädagogischen Fachkräfte setzen an den Stärken und Interessen des Kindes an, nicht an seinen Defiziten. Die Fachkräfte zeigen ein Interesse an den kindlichen Weltansichten und an den verschiedenen Wegen, die Kinder nutzen, um sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen und sich Wissen über die Welt anzueignen. Fachkräfte, die nach dem Leitprinzip Maria Montessoris: „Hilf mir, es selbst zu tun“ arbeiten und im Sinne eines ko-konstruktivistischen Lernverständnisses den Entwicklungsstand jedes Kindes beobachten und einschätzen, können die Entwicklung der Kinder in „bewegten“ Krippenräumen unterstützen.

 

Literatur:


  • Bertelsmann - Stiftung (Hrgs.) (2006). Wach, neugierig, klug - Kinder unter 3. Gütersloh

  • Hüther, G. (2012) Verschaltungen im Gestrüpp: kindliche Hirnentwicklung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte: Frühkindliche Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, APuZ 22-24/2012

  • Pikler, E. (2001). Lasst mir Zeit: Die selbständige Bewegungsentwicklung des Kindes bis zum freien Gehen. München: Pflaum

  • Schmitz, G. (2007). Was ich will, das kann ich auch: Selbstwirksamkeit – Schlüssel für gute Entwicklung. Freiburg: Herder

  • Zimmer, R. (2004). Handbuch der Bewegungserziehung. Freiburg: Herder, Auflage: 13

  • Ungerer-Röhrich, U. (Hrgs.) (2011) praxis kompakt: Bewegungsförderung. Angebote und Projekte. Themenheft von kindergarten heute. Freiburg: Herder

  • Ungerer-Röhrich, U,. Eisenbarth, I., Popp, V., Wolf, S. (2012) Auf dem Weg zur bewegten Kita. In: kindergarten heute – Das Leitungsheft 3/2012,16-20


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